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Bei Ausbruch des Bürgerkrieges war die Pasionaria (Dolores Ibarruri) die bekannteste kommunistische Abgeordnete in den Cortes, dem spanischen Parlament.
Ehe Ernesto im Herbst mit der höheren Schule beginnt, will er drei Monate allein auf dem Fahrrad, das mit einem Hilfsmotor ausgerüstet ist, durch das nördliche Argentinien fahren.
An einem Vormittag, die Ferien haben schon begonnen, putzt er sein Rad auf der Straße vor dem Haus. Nur einen Steinwurf weit fällt die Straße in eine Senke ab. Dort liegen die Baldios.
Durch die Kinderspiele und Träume der Jungen und Mädchen in der Calle de Chile geistert der Mann mit den Hunden, eine Albtraumgestalt, wie aus einer Zeichnung von Goya entsprungen. Er lebt unten in der Senke in einer Hütte mit drei oder vier Hunden zusammen. Der Mann hat beide Beine verloren und fährt jeden Morgen auf einem kleinen hölzernen Wagen, den zwei Hunde ziehen, in die Stadt. Manche Leute sagen, er fahre zu einer Kirche, wo er bettle, andere wollen wissen, er verkaufe Lotterielose. Da es den Hunden jedesmal schwerfällt, die Last den Hügel hinaufzuziehen, ist zuerst immer ein Wimmern und Kläffen zu hören. Dann taucht der Mann auf, mit einem Stock gestikulierend, hochrot im Gesicht vor Wut.
Diese Szene wiederholt sich fast jeden Vormittag. Ernesto sieht von seinem Fahrrad auf, als er wieder das Winseln und Wimmern der geschundenen Hunde hört.
Als der Bettler über den Rand des Hügels gefahren kommt, erscheinen einige kreischende »Baldio«-Kinder, die Steine nach ihm werfen und ihm Schimpfworte nachrufen.
Ernesto ist der einzige Junge; aus den besseren Häusern in dieser Straße, der bei den Kindern aus dem Elendsviertel respektiert wird. Er ruft ihnen zu, sie sollten gefälligst den alten Mann in Frieden lassen. Die barfüßigen Blagen verkriechen sich in ihre Wohnlöcher.
Der Bettler zügelt das Hundegespann. Unmittelbar vor Ernesto bringt er sein Gefährt zum Stehen. Ohne ein Wort zu sagen, blickt er ihn hasserfüllt an. In seinem eisigen Schweigen gibt er ihm zu verstehen, er könne sich seine freundliche Geste ersparen.
Es sind nicht diese barfüßigen Kinder, die er als seine Feinde betrachtet, es sind die Kinder aus den Häusern der wohlhabenderen Leute in der Calle de Chile.
Ernesto unternimmt mit dem Fahrrad die Ferienreise durch die Pampas. Das ist eine Landschaft ohne Städte, mit nur wenigen ausgebauten Straßen, eine Landschaft, in der die Abstände von Siedlung zu Siedlung so groß sind, dass man in den stillen Stunden der Nacht vergebens auf das Gebell von Hunden in der Ferne horcht, eine Landschaft, in der auf einem Gehöft am Morgen der Hahn nur einmal kräht, weil kein anderer Hahn ihm antwortet.
Um die einsamen Häuser haben die Menschen Wäldchen von Eukalyptusbäumen gepflanzt, damit etwas Schatten die Wucht des Himmels, der so unerhört hoch und leer wirkt, dämpft.
Ernesto verdient sein Reisegeld als Gelegenheitsarbeiter. Er kommt auf die Estancias, deren Produkte den Reichtum der Oligarquia in diesem Land begründen: Rinderherden, Weizen, Mais. Er sieht Güter, auf denen es noch kein elektrisches Licht gibt, die kein Telefonkabel mit der Außenweit verbindet. Kleine Staaten für sich! Die Verwalter sind Vizekönige. Die Könige wohnen in Buenos Aires und lassen sich hier draußen höchstens einmal im Jahr sehen, wenn die Erträge gar zu augenfällig zurückgehen.
Ernesto sitzt mit den Peones, den Landarbeitern, zusammen, die in winzigen Schuppen untergebracht sind und siebzig Euro im Monat verdienen. Ihre Familien dürfen nicht mit ihnen zusammen wohnen. Sie bleiben im Baldio der nächsten Stadt, hausen in Wellblechhütten und Erdlöchern, in denen es manchmal noch schlimmer aussieht, als in den Quartieren der Peones zur Erntezeit.
Er hört von den Zuständen in den Kohlengruben der Provinz Jujury. Dort zieht man den Arbeitern die Zeit vom Lohn ab, die sie auf der Latrine verbringen. Keine Luftfilter in den Schächten. Mit 30, 35 Jahren hat der Staub den Männern die Lungen zerfressen. Sie schuften, bis sie tot zusammenbrechen. Sie wissen, wenn sie nicht mehr sind, erhalten ihre Angehörigen noch den Lohn für die laufende Woche, aber keinen Peso mehr. Bettelnd ziehen die Frauen und Kinder dann durchs Land.
Die Zuckerrohrplantagen beschäftigen hauptsächlich Indios. Jeder dritte von ihnen hat Tuberkulose und kaum einer kann lesen oder schreiben. Der Plantagenverwalter hat erklärt: »Um ein guter Zuckerrohrschneider zu sein, braucht man nicht lesen zu können.«
Ernesto müht sich damit ab, einer Gruppe von Indios, die als Wanderarbeiter herumziehen, Zahlen beizubringen, damit sie bei der Lohnabrechnung nicht übers Ohr gehauen werden. Als er am nächsten Morgen aufwacht, liegt er unter freiem Himmel. Sie haben ihm sein Zelt gestohlen und sind auf und davon. Er ist enttäuscht. Wenn sie mich darum gebeten hätten, ich hätte es ihnen geschenkt! Gleich darauf entschuldigt er sie: »Für sie bin ich jemand aus einer anderen Welt.«
Als er von seiner Reise zurückkehrt, sitzt der Onkel nicht mehr im Café »Bolo« beim Mate, vor sich einen Stoß Blätter, die er mit einem Aschenbecher zu beschweren pflegte. Jemand aus der Verwandtschaft hat ihm eine Anstellung als Korrespondent bei einer großen Export-Import-Firma in Buenos Aires verschafft.
Man hat ihn versorgt. Wer wird jetzt die Geschichten aus dem Spanischen Bürgerkrieg aufschreiben?
Die Lehrer in der Oberschule urteilen über Ernesto:
»Er nutzt jede Gelegenheit, um die katholische Kirche anzugreifen, hat marxistische Ideen und ist der Anführer der Linken in der Klasse.«
»Er ist ein hervorragender Schüler. Er sieht älter aus, benimmt sich älter, als er ist. Eine ausgeprägte Persönlichkeit, aber launisch und undiszipliniert: Ernesto setzt sich Ziele, die seine Möglichkeiten weit übersteigen.« Als sich die Mutter wegen einer krebsartigen Wucherung an der Brust einer Operation unterziehen muss, richtet er sich ein Amateurlaboratorium ein und beginnt mit Experimenten an Meerschweinchen in der verrückten Hoffnung, dem Geheimnis dieser Krankheit auf die Spur zu kommen. Eine Zeitlang trägt er sich mit dem Gedanken, ein Lexikon der Philosophie zu verfassen.
Und er verliebt sich. In Chichina Ferreyra. Sie stammt aus einer der reichsten Familien Cordobas. Ihre Eltern besitzen eine große Ranch, zu der Polofelder, Schwimmbäder, ein Gestüt mit arabischen Pferden und ein Musterdorf für die Peones, die in den Kalkbrüchen der Familie arbeiten, gehören.
Chichinas Eltern sind von dem schäbig gekleideten, manchmal schüchternen, dann wieder beißend arroganten Jungen irritiert.
Er selbst fühlt sich bei den Ferreyra unbehaglich. Ein paar Stunden imitiert, ja parodiert er den Konversationston und die Gesten der jungen Leute aus der Oligarquia, dann wird ihm das zu mühsam, und er löscht das vorgetäuschte Image mit einer boshaften Bemerkung wieder aus. Er weiß, er wird einen schlechten Eindruck hinterlassen. Er kann es nicht ändern. Sie sind, wie er nie sein wird.
In vierzig endlosen Liebesbriefen versucht Ernesto, Chichina klar zu machen, was er denkt, was er empfindet.
Da heißt es:
»Die Summe des Elends durch Ausbeutung ist zu groß, die Schuld dieser Klasse, in die Du hineingeboren bist, ist zu groß, als dass ich sein möchte, sein könnte wie sie. Ich verspüre diese Schuld manchmal nachts als einen Albdruck, und selbst Dein Bild, meine Liebste, meine Schöne, vermag nichts dagegen. Der schwankende Knochenturm, der Bottich der Tränen ... verdammt, was sollen diese poetischen Vergleiche! Komm einmal in die Calle de Chile heraus, und wir werden hinuntersteigen in die stinkende Senke. Man muss etwas dagegen tun. Ich kann nicht die Augen davor verschließen. Genauer: ich verschließe die Augen, und ich sehe es trotzdem. Deine Fingerspitzen können meine Lider nicht derart behexen, dass ich diese Bilder vergesse, der Duft Deines