Die Faxen Dicke. Reiner Hänsch

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Die Faxen Dicke - Reiner Hänsch

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und Erbrechen, Toiletten ständig besetzt … ach, wird das herrlich!

      Und dann erst: Ankommen, wo man noch nie war und wo man nix kennt, sich alles ganz anders vorgestellt hat, wieder ein wenig Familienstreit hat, außerdem Kopfschmerzen und kotzende Kinder. Wunderbar! Hitze, Mücken, fremde Währung, Diebe, Betrüger und schlechtes Essen, Krankheiten, Seuchen, Verletzungen, Entstellungen und erste Todesfälle. Die Reihen lichten sich. Vierzehn Tage! Das ist nur was für die ganz Harten. Doch wir kämpfen Tag für Tag unerbittlich. Dieser scheiß Urlaub wird uns nicht kleinkriegen. Nein. Uns nicht!

      Und dann … geht es doch so schnell und unerwartet dem plötzlichen Ende entgegen und wir sagen “schade!”

      Warum?

      Ernste drängende Fragen und Unsicherheiten tauchen plötzlich in der letzten Minute auf. Alles gesehen? Nichts verpasst? Genug gekauft? Braun geworden? Bin ich erholt? Alles gemacht?

      Denn man macht ja den Urlaub, das Land, die Region. “Lätz’s Johr homma Ägüppten gemocht! Soogenhofft! Näch’s Johr moch mer Dailond!”

      Und jeder macht ja anders Urlaub. Man kann sogar nach Nationalitäten unterscheiden. Die Japaner zum Beispiel schaffen es locker, in fünf Tagen die Highlights Europas zu machen. Klar, da wird es schon mal etwas hektisch. Das ist aber kein Problem für das ohnehin recht emsige asiatische Völkchen. Ein durchschnitt-licher Sauerländer zum Vergleich macht in vierzehn Tagen gerade mal Neuharlingersiel und drei Fischbuden. Er urlaubt einfach intensiver und auch akribischer, wie es scheint. Die Japaner bekommen ja während ihrer Überfall-Blitztour überhaupt nichts mit. Eiffelturm, Brandenburger Tor, Colosseum. Sashimi Futomaki. Nix gesehen! Brauchen sie ja auch nicht. Sie fotografieren einfach alles und schauen gar nicht erst hin. Das spart richtig Zeit und hinschauen kann man ja dann hinterher zuhause hinter dem Papierparavent in Tokio bei einem schönen Glas Sake. Ist ja viel bequemer. Jaja, die Japaner saufen also. Aber in dezenter Zurück-haltung erst zuhause wieder.

      Aber im Urlaub und ohne Zurückhaltung da saufen die alten Schweden und sind dementsprechend auch zwei Wochen ohne eigentliche Besinnung. Die Italiener machen Krach, streiten sich ständig und saufen natürlich auch. Auch die Engländer saufen, sind aber außerdem noch tätowiert, haben erst gar keine T-Shirts in den Urlaub mitgenommen und sind einfach eben asi. Und die Russen … naja, also die Russen … die saufen natürlich … aber nee, lassen wir die Russen mal lieber ganz außen vor.

      Ach, ist das schön mit den Vorurteilen! Herrlich. Und meistens stimmt ja alles. Wir zum Beispiel, die Deutschen, saufen selbstverständlich auch und tragen außerdem noch weiße Socken in Sandalen. Wir legen abends Handtücher auf die morgendlichen Pool-Liegen und würden am liebsten auch einen Zaun drum bauen. Und wir haben in den urläublichen Speisesälen als Erste einen riesigen, äußerst belastbaren, hochrandigen Teller in der Hand und sind durchaus in der Lage, ganze Buffets leerzufressen, bevor die anderen kommen. Weil ja alles bezahlt ist. Oll Inkel eben. Nee, nee, wir haben alles unter Kontrolle und alles im Griff. Und wir verstehen nicht viel Spaß im heiligen Urlaub. Es muss eben alles geregelt sein. Man ist ja schließlich nicht zum Vergnügen hier.

      Und dann spuckt uns endlich der unbarmherzige Urlaubsmoloch doch wieder aus - irgendwo auf einem heimatlichen fernen, fast vergessenen Flughafen. Und nun sind wir die Gezeichneten, die Anderen, die Urlauber. Fremde Wesen, zurück aus einer unwirklichen Zwischenwelt.

      “Boah, is dat kalt hier! Komm, Hättwich, lass we schnell widder umdreh’n, woll!”

      Ja, ja, das alles wollen wir erleben.

      Also, Urlaub: Das muss sein!

      Dann lies mal schön weiter. Jetzt fängt es an!

       Oktober im Sauerland: Et plästert und man plant

      „Was heißt denn SupZiDuTeKliMe?“, frage ich Steffi, die neben mir auf dem Teppich unseres großen, schönen Wohnzimmers inmitten der ausgebreiteten Prospekte liegt und mit lüsternen Blicken und bereits leicht geröteten Augen durch die Angebote der Urlaubsparadies-Kataloge hechelt.

      „Superior-Zimmer mit Dusche, Terrasse, Klimaanlage und Meeresblick. Ist doch klar, Alex!“, wirft sie mir kopfschüttelnd meine Ahnungslosigkeit vor.

      Hach. Ja. Ist ja schon gut.

      „Und StaziRadVenoDu?“, wage ich trotzdem noch zu fragen.

      „Standardzimmer mit Radio, Ventilator, ohne Dusche. O-Du! ALEX! Das Allerletzte! Du denkst doch wohl noch nicht mal im Traum dran! Keine Dusche, keine Air Con! Ts, ts, ts“, entrüstet sie sich fassungslos, schüttelt noch mal ihren hübschen Kopf mit der neuen Frisur, die sie seit gestern hat, die aber der seit Wochen andauernde Sauerländer Scheißregen auf dem Weg vom Friseur nach Hause leider wieder komplett zerstört hat. Sie sieht aber auch ohne Frisur schön aus. Natürlich.

      Meine Steffi.

      Doch jetzt funkelt sie mich geradezu böse an. Nein, nein, liebe Steffi, ein StazioDu und ohne Air Con käme natürlich nicht in Frage. Obwohl es recht günstig zu sein scheint, wenn man durch die hochwissenschaftlich aufgebauten Preiskategorie-Tabellen erst mal durchsteigt und die Preise dann auch wirklich lesen kann. Also weiter.

      Urlaub?! Muss das sein? Nach Meinung meiner Kollegen in der Redaktion unbedingt.

      Ich bin Redaktionsleiter einer kleinen Zeitung, dem wöchentlich erscheinenden, kostenlosen Sauerlandbeobachter mit Sitz in Leckede-Hintersten mitten, nein, leider ganz hinten im besagten Sauerland eben. Wir sind ein bescheidenes Anzeigenblättchen mit immer schon ein paar Tage alten Neuigkeiten und Berichten aus der Region. Mit mir im Ausguck beobachtet unser Blatt schon seit ungefähr vier Jahren äußerst kritisch und aufmerksam das gesamte Sauerland – und hat meistens leider nichts Bemerkenswertes zu berichten.

      Natürlich könnte ich es mir zwischen Schützenfestreportagen, Fotos von preisgekürten Kühen und dem dramatisch sinkenden Milchpreis gemütlich machen, aber das will ich nicht. Nein, ich will aus diesem Heftchen eine richtige Zeitung machen. Mit Anspruch, Richtung und Haltung.

      Das muss gehen!

      Leider passiert eben nur meistens wirklich so rein gar nichts, was Anspruch, Richtung und Haltung überhaupt verlangt. Ungerechtfertigte Spritpreiserhöhungen und hemmungslos bejubelte und überbewertete Aufführungen der Volksbühne sind hier zwar brandheiße Themen, die die Bevölkerung aufwühlen, aber ich hoffe sehr, dass mal wirklich was passiert.

      Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre das ein korrupter Politiker oder so. Unser Bürgermeister Blömecke würde sich dafür gut eignen. Er ist ein aufgeblasenes Großmaul und hat irgendwie schon so was Korruptes an sich.

      Aber es tut sich nichts. Rein gar nichts.

      Ich bin unzufrieden, gelangweilt und frustriert – und seit einiger Zeit auch nicht mehr richtig nett. Und das war ich doch eigentlich immer. Oder?

      Besonders meine lieben Kollegen haben schwer unter mir zu leiden. Ich glaube, dass sie tagelang feiern, wenn ich mal für eine Weile verschwinde. Seit einiger Zeit bin ich einfach leicht widerlich zu ihnen. Ein echter Kotzbrocken sozusagen. Voll die Pest. Die Seuche. Man meidet mich wie einen Leprakranken.

      Ich gehe allen so richtig auf den Sack, nehme ich mal an. Weil ich aber auch so richtig die Faxen dicke habe. Das ist so was wie der Sauerländer Burn-out. Alles regt mich auf.

      Letzte Woche hat mir einer mit einem dicken, schwarzen Marker das Wort „URLAUB!“

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