England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage
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Die isolierten Leute aus Cleveland hatten zwei Möglichkeiten, diese Ablehnung auszuleben. Die erste war, ihren ganzen Zorn herauszuschleudern. Die zweite, das Drehbuch der Selbstzerstörung zu schreiben, ein Drehbuch, das die Intensität des Begründers des Teenagermythos, James Dean, wieder anklingen ließ. »Ain’t it fun when you know you’re gonna die young«, sang Peter Laughner Anfang 1975: In zweieinhalb Jahren hatte er sein Ziel erreicht. Mit siebzehn hatte Laughner in einer Lederjacke posiert und sich eine schwere Kette mit Vorhängeschloss um den Hals gelegt. Seine unausgesetzten Bemühungen, die Negationen der Velvet Underground und der Stooges fortzuführen, machten ihn »zu einer zentralen Figur des Underground in Cleveland«.
1973 gründete Laughner Rocket from the Tombs mit David Thomas, ein Bär von einem Mann, der eigentlich Englisch-Professor werden wollte. Nachdem Laughner ausgestiegen war, wurde die Gruppe zu Pere Ubu. Ihre erste Single stand in der Tradition der romantischen Vorstellung von Avantgarde, die in Alfred Jarrys Paris begonnen hatte. Scott Krauss’ federnde Schlagzeugrhythmen und Tim Wrights finstere Bassläufe reisten ohne Umweg ins »Herz der Finsternis«: »Image Object & Illusion: go down to the corner / Where none of the faces fit a human form / Where nothing I see there isn’t deformed.«
Pere Ubu entstand aus einer losen Gruppe von Leuten, die alle in der Nähe desselben Wohnblocks, dem Plaza, wohnten. »Es war ein wirklich schönes altes Gebäude in einer schrecklichen Gegend«, sagt David Thomas. »Wir standen auf diesen urbanen Pioniergedanken, ein Haufen Kids, die in Mittelklassefamilien in den Vorstädten geboren worden waren und zurück in die Stadt zogen, weil sie fanden, dass die Stadt leben sollte. Die Stadt, die ich liebte, wurde von allen anderen gehasst: Sie war völlig verlassen, die Leute flohen, sobald die Sonne unterging. Sie war heruntergekommen, aber wir fanden sie als romantisch veranlagte Jugendliche schön. Ich fragte mich, an welchem Punkt eine Zivilisation ihren Höhepunkt überschreitet und wann der Niedergang beginnt. Diese ganzen ausgestorbenen Städte werden vom Dschungel überwuchert. Wann stirbt die Stadt? Wann verstehen die Leute, die dort leben, die Vision der Bauherren nicht mehr? Wir hatten das Gefühl, dass uns Cleveland gehörte, weil es niemand sonst haben wollte. Aber das ist jetzt alles verschwunden. Die Stadt wurde wieder zum Leben erweckt. Und nun reißen sie das wirklich hübsche unbewohnte alte Zeug ab und stellen Eigentumswohnungen hin.«
Pere Ubu waren die erste neue Gruppe aus Cleveland, die es außerhalb der Stadt schaffte. Im Winter 1975 fuhren sie nach New York, um im Max’s und CBGB’s zu spielen. Im März 1976 veröffentlichten sie »Final Solution«, eine zu einem »dumpfen Teenager Angstsong« vereinfachte Version von »Summertime Blues« von Blue Cheer. Das Stück war so nihilistisch, dass sich die Gruppe weigerte, es live zu spielen, wegen der Nazisymbole, die in der neuen Kultur kursierten. Es war ihre erste A-Seite, welche die Traumlandschaft umriss, die sich Pere Ubu zu eigen machte. Unterbrochen von einem Synthesizer, der wie tosender Wind polterte, wurde man von »30 Seconds Over Tokyo« auf einen »selbstmörderischen Trip« mitgerissen, der einem derart zusetzte, dass man sich in einer Zukunft aufzulösen schien, die gleichermaßen hoffnungsvoll und entsetzlich war.
»Lose his senses«, sangen Television in »Little Johnny Jewel«. Mit solchem Ergründen des Unbewussten wurden die fremden Götter der Zeit wieder ausgegraben. Unter dem Mantel des Nihilismus verbarg sich ein undeutlicher, aber hartnäckiger Hinweis auf die rechtsgerichtete Reaktion, die sich im Westen seit Mitte der Siebziger zusammenbraute. »Wir glauben nicht an Liebe oder diese Scheiße«, sagt einer der Herausgeber von Punk in der ersten Ausgabe, und im Interview mit den Ramones war zu lesen: »Dee Dee mag Comics, alles mit Hakenkreuzen drin, besonders Enemy Ace.«
Endgültige Lösungen der unterschiedlichsten Art wurden heraufbeschworen, um den Tod der alten Kultur zu beschleunigen, aber die Nazisymbole blieben. Die Ramones waren ursprünglich von einem Künstler namens Arturo Vega ausstaffiert worden, der im Obergeschoss des Hauses neben dem CBGB’s wohnte: »Alle hingen da rum«, sagt Legs McNeil: »Arturo war ein schwuler Mexikaner und ein minimalistischer Künstler, der Hakenkreuze herstellte, die im Dunkeln leuchteten.« Das frühe Material der Ramones war mit militaristischen Anspielungen auf akronyme Organisationen wie dem CIA oder der SLA (Symbionese Liberation Army) übersät, am deutlichsten in »Blitzkrieg Bop« und »Today Your Love, Tomorrow The World«. »What they want, I don’t know«, sangen die Ramones über ihre Generation. Die formale Strenge ihrer Musik verlieh solchen Slogans eine faszinierende Vieldeutigkeit. »Ich stritt mich mit ihnen über dieses Zeug«, sagt Mary Harron, »Arturo hatte ein paar wirklich eklige Ideen, aber Joey Ramone war ein netter Kerl, er war kein fieser Rechter. Die Ramones waren problematisch. Es war schwer dahinterzukommen, wie sie politisch dachten.«
»The Dictators kamen aus Co-op City in Detroit, die Ramones aus Forest Hills, wir kamen aus Cheshire«, sagt McNeil. »Wir hatten alle dieselben Bezugspunkte: White Castle Hamburger, Muzak, Einkaufszentren. Wir waren alle weiß: Schwarze hatten damit nichts zu tun. Die Hippies wollten in den Sechzigern immer schwarz sein. Wir sagten:
›Scheiß auf Blues, scheiß auf black experience.‹ Wir hatten damals mit schwarzen Leuten nichts gemein: Wir hatten zehn Jahre lang political correctness, und jetzt wollten wir Spaß, so wie das bei Kids eben ist. Es war merkwürdig: Man sah Typen, die in einen Punk-Club gingen und auf dem Weg in die Disco an schwarzen Leuten vorbeiliefen. Sie sahen sich gegenseitig an, nicht mit Abscheu, aber man sah, wie sich die einen fragten: ›Ist es nicht komisch, dass die da rein wollen.‹ Es gab ganz klare rechte Zwischentöne, aber wir fühlten uns nicht nach ›lasst uns eine faschistische Jugendbewegung starten‹ oder so. Ich glaube, niemand wollte da zuviel hineininterpretieren. Es war mehr emotional. Wenn die Symbolik benutzt wurde, war das mehr wie: ›Schaut euch diese Typen an, ist das nicht blöd?‹«
Dieser Aspekt der Polemik und der Pose verschleierte die wahre Wiederkehr des Verdrängten: Ein weißer, vorstädtischer, pubertärer Nihilismus, der seit den sechziger Jahren in Vergessenheit geraten war. Ebenso wie die Musik von jedem schwarzen Einfluss zugunsten eines monolithischen, unsynkopierten Sounds befreit wurde, verhießen einige der dazugehörigen Haltungen sowohl auf den Kitzel des Tabubruchs als auch auf einen üblen Beigeschmack aufgrund der möglichen Implikationen. Dennoch war diese Erkundung des Verbotenen im Punk der Ursprung seiner Macht.
Nichts verdeutlicht das besser als das Kleidungsstück, das vor allen anderen mit Punk in Verbindung gebracht werden muss; das Kleidungsstück, das Punk aus dem Tabu heraus und in die Einkaufsstraßen brachte. »Man musste eine schwarze Lederjacke kaufen«, sagt Legs McNeil. »Man musste diese Grundinvestition tätigen. Wir sahen uns die Ramones im CBGB’s an. Wir trugen diese trotteligen T-Shirts und Jeansjacken. Es war peinlich. Die Ramones trugen Lederjacken: Joey sagte, sie hätten sie von The Wild One. Ich ging am nächsten Tag los und kaufte mir meine erste. Niemand in New York trug schwarzes Leder: wenn doch, machten einem die Leute auf der Straße Platz. Es war nicht wie jetzt. Die Leute wollten zurück zur Aggression, wollten beweisen, dass sie keine Weicheier waren und zogen eine Lederjacke an.«
In der neuen von Punk definierten Ästhetik gab es ein letztes Problem: Homosexualität. Das Wort mochte alle schon bekannten rockspezifischen Bedeutungen haben, aber ein anderer Ursprung kam aus dem Knast, wie Peter Crowley in Punk Nummer 3 erklärte, wo es »die Jungs bezeichnet, die ihren Arsch für die ›Wölfe‹ hergeben.« Gleichzeitig piesackten die Ramones die Liberalen, sie sangen »53rd and 3rd«, ein Song, in dem Dee Dee Ramone seine Erfahrungen beschrieb, als er sich auf einem Stricher-Treffpunkt herumtrieb. Die zerrissenen Jeans und engen T-Shirts, Elemente ihres Stils, der schnell um die Welt gehen sollte, waren den Jungs dort abgeguckt.
Punk