Kapitalismus Forever. Wolfgang Pohrt

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dann gab es noch die Lehrer, echte Lehrerstudenten oder Studierende von Studienfächern, bei denen es zum Brotberuf in der Schule kaum Alternativen gibt. Schon die Bolschewiki hatten das Problem, dass unter den Mitgliedern die Lehrer in der Überzahl waren. Lehrer besitzen eine natürliche Neigung zum Dogmatismus und zur Engstirnigkeit. Es gibt Leute, welche den Dogmatismus der KPDSU aus der Berufszugehörigkeit ihrer nach Anzahl bedeutendsten Mitgliedergruppe ableiten.

      Diese Gruppe war auch im SDS stark vertreten gewesen – Germanistik, Geschichte etc. Die Geis­teswissenschaftler hatten sich nach dem Zusammensacken der Protestbewegung als Quartier fürs Überwintern den Marxismus ausgesucht, und sie stellten sich dabei nicht ungeschickt an.

      Nach der Devise »Konkurrenz ist gut fürs Geschäft« verteilten sie sich auf verschiedene, einander heftig befehdende Vereine, so dass es nun neben den eigentlichen Marxisten die Marxisten-Leninisten gab, die Maoisten, die Trotzkisten etc. Ein kluger Schachzug, weil durch den Streit zwischen ihnen alle diese gegeneinander rivalisierenden Gruppen beschäftigt waren. Denn eine andere Beschäftigung hätten sie nicht gefunden, weil es für sie keine gab, und Mitglieder erwarten von ihrem Verein, dass er ihr Leben mit Beschäftigung, d.h. mit Sinn erfüllt.

      Es scheint sich dabei um eine Naturkonstante zu handeln. Verhaltensforscher fanden heraus, dass unter Stressbedingungen der Streit beim Überleben hilft. Sie setzen dazu in einem Rattenkäfig den Metallrost unter Strom. War nur eine Ratte allein im Käfig, ging sie jämmerlich ein. Waren mehrere Ratten im Käfig, fingen sie an, einander zu beißen. Am Ende des Experiments waren sie verletzt, aber sie hatten überlebt.

      Die Frauenbewegung hat das Kapital vom Arbeitskräftemangel befreit

      Viele finden im Rückblick die Protestbewegung irgendwie liebenswert. Verblichenen soll man nichts Schlechtes nachsagen. »Irgendwie liebenswert« – ach ja, wir waren damals schon eine süße kleine Rasselbande. Das ist der Sound beim Klassentreffen vierzig Jahre später, wenn alle, die nun schon etwas aus dem Leim gegangen und verwittert sind, sich an die Zeit erinnern, wo sie noch anders ausgesehen haben. Das ist, was die Protestbewegung betrifft, heute die gängige Einschätzung im Feuilleton. Schließlich klopfen dort dauernd einander Leute anerkennend auf die Schulter, die alle aus dem gleichen Stall kommen, also unter dem gleichen Stallgeruch leiden und ihn verströmen.

      Aber die Protestbewegung war nie liebenswert, sondern teils tragisch, teils ausgesprochen ekelhaft, mal abgesehen von ihren wenigen heroischen Momenten. Obwohl – wenn man die Sache aus der Perspektive der happy few betrachtet, aus der Perspektive der Publizisten und Verleger, die sich im Geschäft gehalten haben, mag man sie ja ganz neckisch finden. Für diejenigen, die jahrelang im Knast gesessen haben, die zu Tode gekommen oder sonstwie vor die Hunde gegangen sind, war sie es sicher nicht. Und für diejenigen, die doch etwas mehr wollten als die überfällige Modernisierung der BRD, war sie es auch nicht.

      Ein Beispiel: Alle waren dafür, dass die Frau nicht länger an Heim und Herd, an Kinder und Küche gefesselt bliebe. Alle haben am Ende nicht die Frau von Heim und Herd, von Kindern und Küche befreit, sondern das Kapital vom Arbeitskräftemangel.

      Das war die »Modernisierung«. Damit waren viele zufrieden, und manche waren darüber traurig. Traurig war, wer von der Frau­en­emanzi­pa­tion sich einen Beitrag zur Emanzipation der Menschheit im revolutionären Sinne versprochen hatte, denn eingetreten war das Gegenteil. Zufrieden war, wer in der Existenz des Doppelverdienerehepaars als Mischung aus Zugewinngemeinschaft und Konsumgemeinschaft das Ziel seiner bescheidenen Wünsche gefunden hatte.

      Zur Verniedlichung gehört natürlich die Verharmlosung, also die Meinung, die revolutionären Ambitionen damals seien realitätsfern und vor allem lächerlich gewesen. Und wieder sehen wir eine Verkehrung der Perspektive.

      Aus der Perspektive des Gewinners sehen Verlierer immer lächerlich aus. Das heißt aber keineswegs, dass sie auch lächerlich gewesen waren. In den Jahren vor 1968 schien die ganze Welt im Aufbruch zu sein – Afrika, Asien, Lateinamerika –, und die Protestbewegung hat sich damals als Teil des internationalen Kampfes gegen Imperialismus und Kapitalismus verstanden, als »Teil des weltweiten Kampfes aller Menschen gegen Aus­beutung, Unterdrückung und tagtägliche Ent­mündigung«, wie es in einem Flugblatt für die große Vietnamdemo in Berlin im Februar 1968 hieß.

      Solange die Protestbewegung noch auf dem Vor­marsch war und Vitalität besaß, bis etwa 1968, hat natürlich keiner sich eine Revolution in Deutschland vorstellen können und sie sich ausmalen oder sogar vorantreiben wollen. Man hat sich für den Vietcong und die Guerilleros interessiert, aber doch um Gottes Willen nicht für das deutsche Proletariat oder überhaupt für die trostlose und langweilige Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Mir geht das bis heute so. Die einzigen Namen, die ich kenne, sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und vielmehr als die Namen weiß ich von denen auch nicht. Man hat sich damals als verlängerter Arm der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt verstanden, auf sie projizierte man die eigenen Wünsche und Sehnsüchte, und in ihnen sah man den Ursprung einer kommenden Weltrevolution.

      Die Phase »Student ans Band«, aus der dann schließlich bei den Ökos die Phase »Student aufs Land« wurde, kam erst später und war ein Verfallsprodukt, ebenso wie der sie begleitende Leninismus und der Proletkult oder die Hausbesetzerei. Statt »Weltrevolution in den Tropen« war die Perspektive nun »Bleibe daheim und nähre dich redlich«. Man versuchte noch eine Weile, mit linkem Getue den Schein zu wahren, man gab beispielsweise vor, sich aus revolutionären Motiven für den »roten Wedding« zu interessieren. Aber bald kam heraus, wohin die Reise wirklich ging: Richtung Heimat, Volk, Vaterland, eigene Hütte und Naturkost.

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