Arbeit für Alle. Lynn Blattmann
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Um der Ausgrenzung von Langzeitarbeitslosen wirksam entgegentreten zu können, sind eine Vielzahl ähnlicher Initiativen nötig. Diese müssen jeweils auf die lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten zugeschnitten werden, denn was in St. Gallen funktioniert, kann in Leipzig oder Bukarest leicht danebengehen. Unser Modell ist daher auch keine Handlungsanleitung, sondern es fokussiert auf die Haltung und die Art und Methoden der Lösungsfindung. Wir sind überzeugt davon, dass wir mit unserem Modell eigentlich ein zutiefst schweizerisches Modell entwickelt haben, das geprägt ist durch enorm viel Konsensfähigkeit und Vertrauen zwischen unterschiedlichen Partnern.
Ohne unsere Kunden wäre unsere Geschichte undenkbar. Ihr Vertrauen in unsere Qualität und Termintreue, ihre tatkräftige Mithilfe, wenn es mal Probleme gab, haben unseren Erfolg begründet. Dasselbe lässt sich von der Politik sagen: Ohne die beharrlichen Bitten und die unkomplizierte Unterstützung anderer Kommunen und Kantone hätten wir nie den Mut aufgebracht, ein so breit gestreutes Feld an Betrieben aufzubauen.
Im Alltag und in der oft schwierigen und hektischen Umsetzung des St. Galler Modells waren es unsere Mitarbeiter und die zugewiesenen Arbeitnehmenden, die mit ihrer unermüdlichen Schaffenskraft, ihrem Humor und ihrer Zuversicht den Erfolg unseres Modells vorangetrieben haben. Ja, und ohne den Großmut und das Vertrauen unseres Stiftungs- und Verwaltungsrates wäre das St. Galler Modell für Arbeitsintegration auf das Sittertal beschränkt geblieben.
Weil unser Modell jedoch stark auf einer unternehmerischen Grundhaltung aufbaut, kann es auch leitend sein für die Entwicklung von unternehmerisch geführten Sozialfirmen außerhalb der Schweiz. Marktwirtschaftliche Nischen und gesellschaftspolitische Spielräume gibt es auch anderswo. Diese zu finden und zu erschließen ist jedoch eine Aufgabe, die einen langen Atem und viel sozialunternehmerische Energie erfordert. Mit diesem Buch möchten wir zeigen, dass sich das Engagement lohnt!
Eine solche Geschichte funktioniert nur, wenn es gelingt, auch in schwierigen Zeiten immer wieder alle ins Boot zu holen und immer wieder neue Lösungen zu finden, mit denen die Beteiligten leben können. So gesehen ist das St. Galler Modell ein »Willensmodell«, ähnlich wie die Schweiz eine Willensnation ist, die ihren Erfolg der kleinräumigen und hartnäckigen Lösungsfindungskompetenz aller Beteiligten verdankt.
Lynn Blattmann und Daniela Merz
Unter Arbeitsintegration versteht man einen ganzen Strauß von Methoden, die angewendet werden, um jemanden, der keine Arbeit hat, wieder in Arbeit zu bringen. Klassischerweise wird Arbeitsintegration als Voraussetzung für eine gelungene gesellschaftliche Integration betrachtet. Wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, hat optimale Voraussetzungen, sich zu einem nützlichen und finanziell unabhängigen Mitglied der Gesellschaft zu entwickeln. Mittels Arbeitsintegrationsmaßnahmen wird versucht, das Individuum an die Anforderungen des Arbeitsmarktes (wieder) anzupassen. Darum gehören Qualifikations- und Trainingsmaßnahmen zu den klassischen Instrumenten der Arbeitsintegration.
Um persönlichen Integrationsproblemen entgegenzuwirken, wird mit agogischen oder Coachingmethoden gearbeitet; diese versagen jedoch alle angesichts einer Sockelarbeitslosigkeit. Irgendwann gelingt es nicht mehr, alle potenziellen Arbeitnehmenden an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen; besonders in einem Hochlohnland wie der Schweiz zeigen sich die Grenzen rasch.
Um sogenannt arbeitsmarktferne Personen integrieren zu können, müssen die Arbeitsplätze an die Fähigkeiten und die Bedürfnisse dieser Zielgruppe angepasst werden. Dieser Ansatz setzt dann nicht agogisch bei den Menschen an, sondern beim System, also beim Arbeitsmarkt. Denn wenn es für eine wachsende Gruppe von Menschen im Ersten Arbeitsmarkt keine Perspektiven mehr gibt, muss man im Zweiten Arbeitsmarkt reelle Perspektiven schaffen. Genau dies haben wir mit der Idee der unternehmerisch geführten Sozialfirmen getan.
Der Unterschied und seine Folgen
Wir werden oft gefragt, was eine Sozialfirma genau ist und ob es eine Definition für solche Unternehmen gebe. Eine unternehmerisch geführte Sozialfirma ist keine Firma, die ein bisschen sozial ist, sie ist auch kein gut gemanagtes Beschäftigungsprogramm; sie ist ein wertegetriebenes Unternehmen. Sie trägt die Bezeichnung »Firma«, weil sie betriebswirtschaftlich organisiert ist und weil sie ihre Betriebskosten zu einem möglichst großen Teil aus Kundenaufträgen erwirtschaftet und so in möglichst geringem Ausmaß von Staatsgeldern abhängig sein will; der Wortteil »Sozial« verweist auf ihren Zweck. Dieser besteht darin, Arbeitsplätze zu schaffen für Menschen ohne Arbeit. Er verweist aber auch auf den Stellenwert der Werte im Unternehmen: Respekt, Ehrlichkeit und Vertrauen bilden die wichtigsten Pfeiler, auf denen unternehmerisch geführte Sozialfirmen aufgebaut sind. Diese Werte bilden das Kapital und das Rückgrat dieser Organisationsform, und sie prägen das Handeln und die Haltung auf allen Ebenen. Die unternehmerische Führung dient dazu, diesen Ansprüchen gerecht zu werden.
Es wird viel darüber geschrieben, dass Sozialfirmen eigentlich hybride Organisationen sind, weil ihre soziale Komponente ebenso wichtig ist wie ihre betriebswirtschaftliche Ausrichtung. Es ist jedoch nicht korrekt, die beiden Triebkräfte nebeneinanderzustellen. Unternehmerisch geführte Sozialfirmen sind betriebswirtschaftlich organisiert, um ihrem sozialen Zweck gerecht werden zu können, die Betriebswirtschaftlichkeit ist das Mittel, das Soziale der Zweck. Dies bedeutet, dass Sozialfirmen nicht in erster Linie in Bezug auf ihr Führungspersonal sozial sind; ihr Management muss hohen Ansprüchen genügen und den Grundwerten der Organisation auch im Alltag gerecht werden können. Es obliegt der Führungscrew, Respekt, Ehrlichkeit und Vertrauen im Alltag mit greifbaren Inhalten zu füllen. Sie müssen den Boden schaffen, um das Vertrauen der zugewiesenen Arbeitnehmenden zu gewinnen. Sie müssen den vormals langzeitarbeitslosen Menschen den Respekt entgegenbringen, den sie brauchen, um wieder einsteigen und die Qualitätsarbeit leisten zu können, die vom Kunden verlangt wird. Sie müssen den Boden schaffen, um das Vertrauen der zugewiesenen Arbeitnehmenden zu gewinnen. In einer herkömmlichen Firma können auch führungsschwache, distanzierte und charakterlich wenig integre Kaderangestellte ein Unternehmen wirtschaftlich voranbringen, in einer unternehmerisch geführten Sozialfirma gefährden solche Chefs den Betrieb.
Die Bedeutung der Werte
Viele vergessen, dass vormals oft lange Zeit arbeitslose und vom Sozialamt abhängige Menschen nicht mit Geld motiviert oder durch Druck angetrieben werden können. Wer in eine Sozialfirma zugewiesen wird, hat trotz seiner Tätigkeit am Ende des Monats finanziell kaum mehr in der Tasche als jemand, der nur Sozialhilfe bezieht. Die Differenz zwischen einem in eine Sozialfirma zugewiesenen Arbeitnehmenden und jemandem, der nicht arbeitet, beträgt heute inzwischen im besten Fall noch CHF 200/Monat. Dies bedeutet zwar nicht, dass jemand in einer unternehmerisch geführten Sozialfirma pro Monat nur CHF 200 verdient, wie einige Schlaumeier meinen, aber es ist so, dass nach der Verrechnung mit der Sozialhilfe durch das Sozialamt Ende des Monats vom Lohn für die meisten nur CHF 100–200 netto mehr im Geldbeutel bleiben. In einer Sozialfirma kann darum auch schlecht mit Entlassung gedroht werden: Wer durch das Sozialamt unterstützt wird, hat Stellenverluste erlebt und befindet sich bereits auf der niedrigsten sozialen Stufe. Explizite Entlassungsdrohungen sind in der Arbeitswelt auch nicht an der Tagesordnung, aber unterschwellig hat die Angst vor einem Stellenverlust in der Wirtschaft eine ungleich stärkere Wirkung als in einer Sozialfirma.
Eine Sozialfirma wird untergehen, wenn es nicht gelingt, die Belegschaft mit anderen Mitteln als mit Druck oder höheren Löhnen zur