Als Oma noch mit Kohlen heizte. Willi Fahrmann

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Als Oma noch mit Kohlen heizte - Willi  Fahrmann

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es damals längst nicht mehr. Gar nicht weit von Alsum entfernt wurden mitten im niederrheinischen Bauernland neue Kohlenschächte in die Erde getrieben und eine Fabrik nach der anderen entstand.

      Viele Bergleute und Werksarbeiter wurden gebraucht. Die strömten aus ganz Deutschland herbei. Sogar aus dem fernen Polen kamen Männer und Frauen, die ihr Geld in dem Gebiet an Rhein und Ruhr zu verdienen hofften.

      In einer guten halben Stunde Fußweg konnte man von Alsum nach Hamborn gelangen. Das war eine schnell wachsende Stadt mit düsteren Straßen und dunklen Mietshäusern.

      Tilla war in dem Jahr der großen Brücke in der siebenten Schulklasse. Der Lehrer Pannbeckers hatte schon zu Beginn des Schuljahres gesagt: „Tilla, was du bei mir lernen konntest, das hast du gelernt“, und er setzte das Mädchen als Hilfslehrerin ein.

      Sie musste mit den drei Kindern der dritten Klasse das kleine Einmaleins üben und dem halben Dutzend Schüler der Klasse vier das Gedicht „Gefroren hat es heuer“ abhören.

      Tilla machte ihre Sache geschickt. Lehrer Pannbeckers war mit ihr zufrieden. Obwohl er alle dreiundsechzig Kinder des Dorfes vom ersten bis zum achten Schuljahr zusammen in einem einzigen Klassenraum unterrichtete, fand er doch gelegentlich Zeit, während der Schulstunden einen Blick in die Zeitung zu werfen.

      Auf Tilla Meurer und seinen anderen Hilfslehrer konnte sich Lehrer Pannbeckers verlassen. Der zweite Hilfslehrer hieß bei den Schülern „der eisenharte Friederich“. Er war sehr gefürchtet. Der Lehrer hatte ihn nämlich eigenhändig aus der Nusshecke von Bauer Drevenaar herausgeschnitten. Der eisenharte Friederich wurde von Lehrer Pannbeckers noch häufiger zur Hilfe geholt als Tilla Meurer.

      Der Unterschied zwischen den beiden Hilfskräften war: Tilla wandte sich an den Verstand der Kinder, der eisenharte Friederich aber sprach bei Mädchen die Handflächen an und bei den Jungen den Hosenboden. Bei Tillas Lehrkunst ging den Kindern ein Licht auf, beim Einsatz des eisenharten Friederich brannten die Handflächen und das Hinterteil wie Feuer. Wenn Lehrer Pannbeckers auf den eisenharten Friederich zurückgriff, dann war sein Kopf rot vor Zorn. Wenn Tilla ihm half, dann lächelte er zufrieden.

      Auf Tilla hatte der Lehrer sogar ein Gedicht gemacht. Weil die Kinder fast alle Gedichte auswendig lernen mussten, die der Lehrer schrieb, deshalb war das Gedicht für Tilla im ganzen Dorf bekannt. Die erste Strophe hieß:

      „Tilla ist ein Sonntagskind.

      Unter ihrem blonden Zopf

      in dem klugen, hellen Kopf

      wohl tausend und mehr Ideen sind.“

      Wie Recht Lehrer Pannbeckers mit den tausend Ideen hatte, das konnte in jenem Jahr allerdings noch niemand wissen.

      Es war ein gutes Jahr gewesen. Das Heu war trocken in die Scheunen gekommen und die Getreidefelder hatten reiche Frucht getragen. Die Kinder fanden Anfang November so dicke Runkelrüben wie selten zuvor. Am Martinsabend leuchteten die Kerzen in den ausgehöhlten Rüben und beim Fackelzug schwebten die Fackeln wie große Köpfe durch die Dunkelheit. Die Nussbäume hatten tausend und abertausend Nüsse ins Gras geworfen. „Viele Nüsse, harter Winter“, sagte Tillas Mutter voraus und strickte ein weiteres Paar schafswollene Socken für ihren Mann.

      Zunächst jedoch ließ der Winter auf sich warten. Einige wenige Nachtfröste im Dezember und zu Weihnachten Schneematsch auf den Straßen, das war alles, was er bis zum Jahresende aufzubieten hatte. Schon glaubte Tillas Mutter, die Nussbäume hätten sich getäuscht, da fiel Mitte Februar, als die Menschen im Dorf schon auf das Frühjahr warteten, ein scharfer Frost über das Land am Niederrhein. Eine dünne Schneeschicht knirschte unter den Füßen.

      Der eisige Ostwind fegte den Himmel blank. Innerhalb weniger Stunden krauste sich eine Eishaut auf Tümpeln und Teichen.

      Ob der Rhein in diesem Winter endlich mal zufriert?, dachte Tilla. Seit drei Jahren wartete sie darauf. Ihre Mutter hatte erzählt, dass Tilla zwei Jahre alt gewesen sei, als der Rhein sogar drei Wochen lang unter einem festen Eispanzer gelegen habe. Der Schmied Peerenbosch von der anderen Rheinseite habe es damals als Erster gewagt, über die Schollen von einem Ufer zum anderen zu klettern, und er sei heil herübergekommen.

      Tilla stieg zum Rheindamm hinauf. Oben stand bereits der Knecht Christian van Bemmel. Er schaute auf das gewaltige bleigraue Wasser, das sich in dem breiten Flussbett auf Holland zuwälzte.

      „Wohin fließt das viele Wasser, Tilla?“, fragte er.

      „Nach Holland, Christian, nach Holland ins Meer.“

      „Muss wohl groß und tief sein, das Meer“, sagte Christian.

      „Muss es wohl“, stimmte Tilla zu. „Noch kein Eis zu sehen, Christian?“

      „Noch kein Stückchen Eis, Tilla.“

      „Wann, Christian, wann kommt das Eis?“

      „Weiß ich auch nicht, Tilla. Vielleicht morgen?“

      Sie gingen nebeneinander ins Dorf zurück, das kleine schmale Mädchen und Christian, der Knecht von Drevenaars Bauernhof.

      Tilla mochte den Christian gut leiden. Im Winter, wenn die Arbeit für die Knechte nicht so hart war wie zu den anderen Jahreszeiten, dann redeten sie oft miteinander.

      „Kommst du morgen wieder auf den Deich?“, fragte Tilla.

      „Soll ich das?“

      „Ja. Ich sage dir dann, wie groß das Meer ist.“

      Als Christian sie ungläubig anschaute, da erklärte sie ihm: „Lehrer Pannbeckers hat ein Buch, da steht alles drin. Alles über die ganze Welt.“

      „Komisch“, sagte Christian.

      „Was ist denn daran komisch?“

      „Na, dass in ein einziges Buch die ganze Welt hineinpasst.“

      „Ist aber so.“

      „Gut“, sagte Christian. „Ich komme.“

      Am nächsten Tag aber dachten die beiden nicht an das Meer. Mitten im Rhein erspähten sie die ersten Eisschollen. Sie glitzerten in der Sonne und waren so leicht, dass der Strom sie wie im Spiel auf den Wellenkämmen tanzen ließ.

      Von Tag zu Tag wurden die Schollen dicker und größer und schwerer. Bald ächzte und knirschte es, wenn die Strömung ihre Last rheinabwärts schob. Längst standen Christian und Tilla nicht mehr allein auf dem Deich. Einige Kinder versuchten sogar, am Ufer auf besonders große Schollen zu springen und sich auf dem schwankenden Eis ein Stückchen übers Wasser tragen zu lassen. Das war streng verboten, aber die Kinder wagten es dennoch.

      Sie glaubten Lehrer Pannbeckers’ Geschichte nicht so recht, die er in jedem Winter von Stina Basendongk erzählte.

      Stina sollte, kaum vierzehn Jahre alt, vor langer Zeit auf einer Eisscholle sehr schnell abgetrieben worden sein. Niemand habe das Mädchen retten können. Noch lange habe man ihr Schreien gehört und immer noch sei es bis zum Ufer gedrungen, als das Kind schon längst von den Nebelbänken über dem Fluss verschluckt worden war.

      Die Geschichte des Lehrers schloss stets mit den Worten:

      „Manchmal

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