Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Selma Lagerlöf

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Читать онлайн книгу Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf страница 36

Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf

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      Als die Wildgänse sich an den Dämmerschein in der Höhle gewöhnt hatten, sahen sie die Schafe recht gut. Die Erwachsenen waren ihnen wohl an Zahl gleich, aber außerdem waren noch einige Lämmer da. Ein großer Widder mit langen, gewundenen Hörnern schien der vornehmste von der kleinen Herde zu sein, und unter vielen Verbeugungen gingen die Wildgänse auf ihn zu. „Gott zum Gruß hier in der Wildnis!“ begrüßten sie ihn. Aber der Widder lag ganz still, und kein einziges Wort des Willkommens drang über seine Lippen.

      Da glaubten die Wildgänse, die Schafe seien mißvergnügt über ihr Eindringen in die Höhle. „Es ist euch vielleicht nicht angenehm, daß wir hier hereingekommen sind,“ sagte Akka. „Aber wir können nichts dafür, der Wind hat uns hierher verschlagen. Wir sind den ganzen Tag im Sturm umhergeflogen, und es wäre uns eine große Wohltat, wenn wir hier übernachten dürften.“

      Es dauerte eine gute Weile, bis eines von den Schafen nur ein Wort erwiderte, dagegen hörten die Gänse deutlich, wie einige von ihnen tief aufseufzten. Akka wußte wohl, daß Schafe immer schüchtern sind und sonderbare Manieren haben, aber diese schienen ganz und gar keinen Begriff davon zu haben, was sich gehörte.

      Schließlich begann ein altes Mutterschaf, das ein längliches, gramdurchfurchtes Gesicht hatte, mit klagender Stimme: „Von uns verweigert euch gewiß keines den Aufenthalt hier; aber dies ist ein Haus der Trauer, und wir können nicht mehr wie in frühern Zeiten Gäste bei uns aufnehmen.“

      „Darüber braucht ihr euch keine Sorge zu machen,“ sagte Akka. „Wenn ihr wüßtet, was wir heute ausgestanden haben, würdet ihr gewiß verstehen, wie froh wir sind, wenn wir nur ein sicheres Plätzchen bekommen, wo wir schlafen können.“

      Als Akka dies sagte, richtete sich der alte Widder auf. „Es wäre gewiß besser für euch, im stärksten Sturm umherzufliegen, als hierzubleiben. Aber jetzt sollt ihr euch doch nicht wieder auf den Weg machen, ehe wir euch mit dem besten, was das Haus vermag, bewirtet haben.“

      Er führte sie zu einer mit Wasser gefüllten Vertiefung im Boden. Dicht daneben lag ein Haufen Spreu und Häcksel, und er bat die Gänse, es sich gut schmecken zu lassen. „Wir haben einen sehr strengen Schneewinter gehabt,“ sagte er. „Die Bauern, denen wir gehören, brachten uns Heu und Haferstroh, damit wir nicht verhungerten. Und dieser Haufen ist alles, was noch davon übrig ist.“

      Die Gänse machten sich eifrig über das Futter her. Sie fanden, daß sie es herrlich getroffen hätten, und waren in allerbester Laune. Sie sahen ja wohl, daß die Schafe voller Angst waren; aber da sie wußten, wie leicht Schafe sich erschrecken lassen, glaubten sie nicht, daß es sich um eine wirkliche Gefahr handeln könne. Sobald sie satt waren, dachten sie darum auch an nichts andres, als sich nun an einem guten Schlafe zu erfreuen. Aber da richtete sich der große Widder abermals auf und kam auf sie zu. Die Gänse meinten, noch nie ein Schaf mit so langen, starken Hörnern gesehen zu haben. Und auch sonst sah der Widder merkwürdig aus. Er hatte eine große, knochige Stirn, kluge Augen und eine vornehme Haltung, wie ein recht stolzes, mutiges Tier.

      „Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen, euch hier schlafen zu lassen, ohne euch zu sagen, daß es hier durchaus nicht sicher ist,“ sagte er. „Wir können für den Augenblick keine Logierbesuche bei uns aufnehmen.“

      Jetzt erst merkte Akka, daß dies Ernst war. „Wenn ihr es durchaus wünscht, so werden wir uns entfernen,“ sagte sie. „Aber wollt ihr uns nicht vorher sagen, was euch bekümmert? Wir wissen nichts, ja wir wissen nicht einmal, wohin wir geraten sind.“

      „Dies ist die Kleine Karlsinsel,“ erwiderte der Widder. „Sie liegt westlich vor Gotland, und es wohnen nur Schafe und Meeresvögel hier.“

      „Vielleicht seid ihr wilde Schafe?“ fragte Akka.

      „Ja, man könnte uns beinahe so nennen,“ antwortete der Widder. „Mit den Menschen haben wir eigentlich nichts zu tun. Es besteht ein altes Übereinkommen zwischen uns und den Bauern eines Hofes auf Gotland; demgemäß müssen uns diese in bösen Schneewintern mit Futter versehen, und dafür dürfen sie die Überzähligen von uns mitnehmen. Die Insel ist so klein, daß sie nur eine begrenzte Anzahl von uns ernähren kann. Aber sonst versorgen wir uns das ganze Jahr hindurch selbst, und wir wohnen in keinen Häusern mit Türen und Riegeln, sondern halten uns in solchen Höhlen wie diese hier auf.“

      „Was! Bleibt ihr auch im Winter draußen?“ fragte Akka verwundert.

      „Jawohl,“ antwortete der Widder. „Es gibt das ganze Jahr hindurch Futter genug hier.“

      „Das klingt ja fast, als hättet ihr es besser als andre Schafe,“ sagte Akka. „Aber was ist das nun für ein Unglück, das euch betroffen hat?“

      „Im vergangenen Winter,“ sagte der Widder, „war es so bitter kalt, daß das Meer zufror. Da kamen drei Füchse übers Eis herüber, und sie sind seitdem hier geblieben. Außer ihnen ist auf der ganzen Insel nicht ein einziges lebensgefährliches Tier.“

      „Wie, wagen es die Füchse, solche Tiere, wie ihr seid, anzugreifen?“

      „O nein, bei Tage nicht, da kann ich mich und die Meinigen wohl verteidigen,“ sagte der Widder und schüttelte seine Hörner. „Aber bei Nacht, wenn wir in der Höhle schlafen, da schleichen sie heran und überfallen uns. Wir geben uns zwar alle Mühe, wach zu bleiben, aber einmal muß man ja schlafen, und das benutzen sie. In den benachbarten Behausungen haben sie schon alle Schafe getötet, und es waren Herden darunter, die ebenso groß waren wie die meinige.“

      „Es ist nicht angenehm, eingestehen zu müssen, daß wir so hilflos sind,“ sagte jetzt das alte Mutterschaf, „und es wäre viel besser für uns, wenn wir zahme Schafe wären.“

      „Meint ihr, die Füchse werden auch heute nacht kommen?“ fragte Akka.

      „Es ist nicht anders zu erwarten,“ antwortete das Mutterschaf. „Gestern nacht sind sie hier gewesen und haben uns ein Lamm gestohlen, und sie werden nicht ausbleiben, so lange noch eins von uns am Leben ist. So haben sie es bei den andern Herden auch gemacht.“

      „Aber wenn die wenigen, die übrig geblieben sind, noch länger hierbleiben, dann sterbet ihr ja vollständig aus,“ sagte Akka.

      „Ja, es wird nicht mehr lange dauern, bis es keine Schafe mehr auf der Kleinen Karlsinsel gibt,“ seufzte das Mutterschaf.

      Sehr unschlüssig stand Akka da. Wieder im Sturm umherzufliegen, war kein Vergnügen, aber in einem Haus zu bleiben, wo solche Gäste erwartet wurden, war auch nicht gut. Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, wendete sie sich an Däumling. „Sag, möchtest du uns diesmal nicht auch helfen, wie schon so oft?“ fragte sie ihn.

      „Jawohl,“ erwiderte der Junge, „recht gern.“

      „Du tust mir zwar leid, wenn du nicht schlafen darfst,“ fuhr Akka fort, „aber trotzdem möchte ich dich bitten, heute zu wachen und uns zu wecken, wenn du die Füchse kommen siehst, damit wir wegfliegen können.“

      Der Junge versprach, es zu tun. Er wußte ja, daß die andern müder waren als er und also auch mehr Recht zum Schlafen hatten.

      Er trat an die Öffnung der Höhle, kroch hier zum Schutz vor dem Sturm unter einen Stein und begann seine Wache. Allmählich klärte sich der Himmel auf, und der Mondschein spielte auf den Wogen. Der Junge trat unter den Höhleneingang und schaute hinaus. Die Höhle befand

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