Der Serienmörder von Paris. David King
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Serienmörder von Paris - David King страница 17
Am Morgen des 13. März setzte sich dann eine Verkäuferin des Warenhauses Grand Magasins du Printemps am Boulevard Haussmann mit der Polizei in Verbindung, um ihre Geschichte zu erzählen: „Ich wäre beinahe umgebracht werden“, sagte sie mit sich überschlagender Stimme. Ihr Apotheker hatte sie am 11. März – wegen eines verstauchten Handgelenks – zu Dr. Petiot überwiesen. Petiot sah eher wie ein Maurer aus und nicht wie ein Arzt, denn sein Anzug war stark mit Kalk verdreckt.
„Mir lief ein kalter Schauer den Rücken herunter“, beschrieb sie ihren Gemütszustand beim Anblick Petiots, der sie während der Untersuchung des Handgelenks mit durchdringenden Augen anstarrte.
„Seine schwarzen Augen bohrten sich förmlich in meinen Körper. Ich dachte, er ist verrückt.“ Petiot röntgte die Hand, diagnostizierte eine Verstauchung und riet ihr wegen des fragilen Knochenaufbaus zu einer zusätzlichen Calcium-Einnahme. Er verschrieb eine Behandlung. Da er in der Praxis nicht über die notwendigen Instrumente verfügte, schlug er ihr eine „Spezialklinik“ vor. Sie lag in der Rue Le Sueur Nummer 21.
Obwohl es sicherlich nicht einfach war, wertvolle Informationen aus dem Geknäuel an Gerüchten und Anschuldigungen, die ihn erreichten, zu extrahieren, besaß Massu doch schon einige wertvolle Spuren. Die dringlichste Aufgabe bestand im Moment in der Verhaftung des Arztes. Der naheliegendste Aufenthaltsort war die Adresse, die Petiot auf dem Zettel in der Rue Le Sueur angegeben hatte und an die ihm die Post nachgestellt werden sollte: Rue des Lombards Nummer 18, Auxerre, das nur 150 Kilometer von Paris entfernt lag, in der burgundischen Region von Yonne. Bei näherer Untersuchung des Zettels fand Massu heraus, dass der Arzt zuerst eine andere Adresse aufgeschrieben, dann ausradiert und die neue in einer anderen Handschrift darübergeschrieben hatte. Ursprünglich stand dort nämlich Rue du Pont, Auxerre 55 oder 56.
Massu bat einen der Assistenten, die Reisevorbereitungen zu erledigen. Während der Besatzungszeit gab es nur einen unregelmäßigen und unzuverlässigen Fahrplan, und der nächste Zug war erst in einigen Tagen eingeplant. Doch Massu wollte natürlich nicht warten. Er rief einen Freund vom Fuhrpark der Polizeipräfektur an und sicherte sich für die Reise das Automobil Nummer 3313 inklusive genügend Treibstoff, der bei der strengen Rationalisierung nicht leicht erhältlich war, sogar für einen Leiter der Mordkommission. Sein Sekretär und zwei Inspektoren begleiteten ihn. Um 6 Uhr morgens befanden sich die vier schon auf der Fahrt nach Auxerre.
Massu beschäftigte sich immer noch mit der Frage, wie der Mörder seine Opfer ausgewählt hatte, wie er sie sodann in das Stadthaus lockte und – so stellte er sich das schreckliche Szenario vor – wie er ihnen die lange Nadel in eine Vene stach, um die tödliche Injektion zu verabreichen. Danach zerhackte er die Körper, entledigte sich der inneren Organe und warf die Überreste in die Grube mit dem Kalk. Der Löschkalk entzog den Leichenresten aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften das Wasser, wodurch der Täter sie später leichter verbrennen konnte. Massus Verdacht klang, wie er selbst einräumte, „grauenhaft und eiskalt wie die Geschichten von Edgar Allan Poe“.
Der Kommissar musste unbedingt herausfinden, wer dem Arzt den Löschkalk verkauft hatte und wer ihm bei der schrecklichen Arbeit geholfen hatte. Eines stand fest: Der Doktor – oder wer auch immer der Mörder war – konnte nicht so viele Menschen allein umgebracht haben. Und eine weitere Frage drängte sich auf: Wie gelang es dem Täter, sich der Aufmerksamkeit der Nachbarn zu entziehen? Massu war noch weit davon entfernt, den Fall zu verstehen, ganz abgesehen davon, den Mörder zu finden und genügend Beweise zu seiner Verurteilung vorzulegen. Zum ersten Mal während seiner langen Dienstzeit plagten Massu Schlafprobleme.
„Chef“, fragte der Sekretär während der Fahrt, „stimmt es, wie so geredet wird, dass in der Praxis in der Rue Caumartin Schnitzereien mit dem Antlitz des Teufels gefunden wurden?“
„Ja, da gab es aber noch viel interessantere oder schlimmere Entdeckungen, je nachdem, wie man es sieht.“ Der Kommissar wollte sich nicht näher dazu äußern, sondern nuschelte nur etwas von „bestialischen, obszönen und schweinischen Zeichnungen“, die bei Petiot entdeckt worden seien.
„Ist der Doktor ein Drogensüchtiger?“, fragte ein Inspektor und griff damit ein weiteres Gerücht auf.
„Das kann man beinahe mit Bestimmtheit sagen“, antwortete Massu, eventuell ein wenig vorschnell. Drogen waren eine naheliegende, aber allzu leichte Erklärung, warum sich ein bei Tageslicht respektierter und angesehener Arzt in der Nacht in ein Monster verwandelte.
Vor der Ankunft in Auxerre machten die Ermittler einen Zwischenstopp in Villeneuve-sur-Yonne, der Stadt, in der Petiot das Amt des Bürgermeisters bekleidete. Oberinspektor Marius Battut und Inspektor Rochereau suchten zuerst das ehemalige Haus des Mordverdächtigen in der Rue Carnot 56 auf. Der derzeitige Bewohner, ebenfalls Arzt, erzählte ihnen, dass Petiot dort bis zum Juli 1934 wohnhaft war. Er hatte Petiot nur ein einziges Mal gesehen und sich nicht weiter mit ihm unterhalten. Der neue Besitzer, so vermerkte Battut, „wollte keine interessanten Informationen liefern“.
Die Gendarmen der Polizeiwache in Villeneuve-sur-Yonne waren hingegen hilfsbereiter. Sie erzählten ihren Kollegen, dass Petiot „einen sehr schlechten Ruf“ genoss. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister sei er in den Verdacht geraten, mehrere Diebstähle begangen zu haben, darunter Kanister mit Öl und Treibstoff. Einmal wurde er beschuldigt, die Elektrizitätswerke betrogen zu haben, indem er den Zähler in seinem Haus manipulierte. Darüber hinaus erfuhren die Pariser Ermittler, dass eine seiner Geliebten unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war.
Am 11. März 1930, 14 Jahre vor der Entdeckung in der Rue Le Sueur, ließ sich Armand Debauve, der Besitzer einer Molkereigenossenschaft vor den Toren von Villeneuve-sur-Yonne ein Gläschen Wein in Frascots Bistro schmecken. Um ungefähr 20 Uhr kam ein aufgeregter Bewohner angerannt: Die Molkerei brenne! Debauve kehrte auf dem schnellsten Weg nach Hause zurück. Auch das Privathaus stand in Flammen, und seine Frau lag – wie ihm die Feuerwehrmänner berichteten – tot auf dem Boden der Küche, den Kopf mit Blut verschmiert.
Die Ermittler fanden schnell heraus, dass das Feuer absichtlich gelegt worden und das Opfer, die 54-jährige Henriette Debauve, durch mehrere Schläge mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf ums Leben gekommen war. Die Größe der Wunden wies auf einen Hammer hin. Unter den gestohlenen Gegenständen befand sich exakt ein solches Werkzeug.
Nicht lange nach dem Unglück sahen Nachbarn, wie Bürgermeister Petiot mit seiner Frau zu der Ruine des Bauernhauses fuhr. Er kam wohl – wie Augenzeugen anfänglich vermuteten –, um der Familie des Opfers sein Beileid auszusprechen. Für einen erfahrenen Arzt und Weltkriegsveteranen wirkte er allerdings merkwürdig beunruhigt, ja sogar nervös. Dann, und das erstaunte die Zeugen, stieg er recht bald wieder in den Wagen und fuhr nach Sens, um mit seiner Frau ins Kino zu gehen.
Petiot hatte das Opfer mit Sicherheit gekannt. Die beiden waren einander vor einigen Jahren von „dem alten Frascot“ vorgestellt worden, der schon zuvor den Kontakt zwischen Petiot und dessen Geliebter Louisette Delaveau hergestellt hatte. Frascot traf sich sogar einige Male mit dem Doktor und Henriette zum Abendessen. Die beiden schienen sich ineinander verliebt zu haben. Sie wurde seine Patientin und – so glaubten es zumindest die Ermittler – mit ziemlicher Sicherheit seine Mätresse.
Den Fall kennzeichneten viele Auffälligkeiten: Das Feuer brach an einem Dienstag aus, als Debauves Mann in ein Bistro gegangen war. Es handelte sich um den zweiten Dienstag im Monat – tags darauf