Deep Purple. Jürgen Roth

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Deep Purple - Jürgen Roth

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dauert bloß drei Stunden, von der Mitwirkung auf der Bühne ist er wegen seiner ­Purple-Verpflichtungen befreit, und es soll ja auch gutes Geld herausspringen: Je einhundert Pfund bieten Lloyd-Webber und Rice allen Beteiligten. Tony Edwards jedoch verläßt sich, nachdem ihm das Duo ein paar Ausschnitte auf dem ­Klavier vorgespielt und -gesungen hat, lieber auf seinen Riecher und fordert Tantiemen statt Bargeld: zwei Prozent in Großbritannien, ein Prozent im Rest der Welt. Die im November 1970 veröffentlichte Platte findet mehr als acht Millionen Abnehmer, und Ritchie Blackmore findet sich mit einem Mal einem nicht nur reichen, sondern auch enorm selbstbewußten innerbetrieblichen Rivalen gegenüber, der nicht mehr nur Mitbestimmung, sondern einen Platz im zuletzt (seit Jon Lords orchestralem Rückzieher) eineinhalbköpfigen Vorstand fordert.

      Daß die Grenze zwischen Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung durchlässiger ist als die zwischen Gut und Böse, die er in „Child In Time“ küchenphilosophisch thematisiert hat, erfährt Gillan, als Tim Rice versucht, ihn als Jesus für die Filmversion des Musicals zu gewinnen. Von Hollywood- und Oscar-Träumen entflammt, beschließt er gleichwohl, die finanziellen Belange diesmal selbst auszuhandeln, um gar nicht erst in Gefahr zu geraten, unter Wert verscherbelt zu werden. Mit seinem neuen Rolls-Royce fährt Gillan zu Casting und Verhandlung vor, man schlürft Kaffee in der Suite des Produktionsleiters Jewison, tauscht Höflichkeiten und „Sehr interessiert“-Phrasen aus, und als man sich mit viel Schulterklopfen und Breitgrinsen vertagen möchte, macht Gillan seinen großen Fehler: „Einen Moment noch“, sagt er, und Jewison, die Türklinke in der Hand, fragt: „Haben wir etwas vergessen?“

      „Meine Motive waren absolut klar und gut gemeint“, betont Ian Gillan in seiner Autobiographie, „denn ich wußte, wenn ich für drei Monate aus dem Verkehr gezogen bin, wird die Band das nicht stillschweigend hinnehmen. Es ging mir nicht um persönlichen finanziellen Gewinn, sondern darum, die Jungs für jeden verpaßten Gig und sonstige Gelegenheiten zum Geldverdienen zu entschädigen.“ Also stellt er die entscheidende Frage: „Wie lautet das Angebot?“ – „Well“, sagt der distinguierte Mister Jewison, „eintausend Pfund die Woche.“ Gillan glaubt, sich verhört zu haben, murmelt etwas in der Richtung, damit seien wohl die Spesen gemeint, und Jewison, der sich möglicherweise ebenfalls verhört hat, bestätigt: „Korrekt, aber für Ihre Getränkerechnungen müßten Sie selbst aufkommen.“ Erleichtert fragt Gillan noch mal nach: „Wunderbar – und wieviel bekommen wir nun bezahlt?“ – „Ich sagte doch: eintausend Pfund die Woche.“ – „Mister Jewison“, braust der entgeisterte Neurockstar auf, „meine Band verdient zwanzigtausend Pfund pro Abend!“ Für eine viertel Million sei er bereit, sich die Sache zu überlegen. Schon auf dem Weg in den nächsten Pub dämmert Gillan, daß er gerade einen seiner größten Jugendträume mutwillig in die Tonne getreten hat. Tony Edwards und John Coletta, der mit dem Sänger sowieso seine Probleme hat, weil er ihm nie in die Augen sieht (Gillan zufolge aus Angst, Colettas vorstehende Zähne und der Spucknebel, den er beim Reden versprüht, könnten in ernsten Momenten einen Lachkrampf verursachen), sind von dem Reinfall ihres dilettantischen Interimsverhandlungsführers erwartungsgemäß wenig begeistert. Ihre Versuche, mit Jewison Kontakt aufzunehmen, um die Sache auszubügeln, bleiben vergeblich, und Gillan ahnt, daß nun nicht mehr nur Ritchie Blackmore jeden seiner weiteren Schritte mit großer Aufmerksamkeit und geringem Vorschuß an Wohlwollen beobachten wird.

      Es ist an dieser Stelle angebracht, ein paar Worte über den Kerl mit der „Katastrophenalarmstimme“ (eine Information der Plattenfirma – „Das ist kein Schreien, es ist nur hoher Gesang“, meint Gillan selbst) zu verlieren, der sich da offenbar alle Mühe gibt, sich so schnell wie möglich aus der Gnadensituation, in die es ihn gerade erst hineingepfeffert hat, wieder hinauszumanövrieren. Den Mann, der seinem Manager ebensowenig in die Augen schauen kann wie seinem Gitarristen, weil er beide, wie so vieles, nicht ernst zu nehmen vermag – den einen wegen seiner Karnickelzähne, den anderen wegen seiner Frisur. Dessen eigene Augen sich bei jeder Gelegenheit mit Rührungstränen füllen, der seine Texte in letzter Minute auf Servietten schreibt, der Zwanzigminutensoli seines Gitarristen nutzt, um derweil unter dem Bühnenklavier Groupies zu plätten – und sich nicht scheut, derlei stolzstrahlend zu verkünden. Der mit dem Rolls durch London gondelt und alten Freunden im Pub so lange eine Rockstarrunde nach der anderen ausgibt, bis sie ihn rauszuwerfen drohen. Dem seine Mahlzähne nicht nur körperlich näher sind als Jon Lords Mahler, der für die Polizeifußballmannschaft von Pangbourne im Tor steht, zu einer Zeit, als Polizisten für gewöhnlich als „Pigs“ klassifiziert werden, Fantumulte in Deutschland für ein Ergebnis „kommunistischer Propaganda“ hält (mit dem Zweck, den störungsfreien Geschäftsbetrieb der Rockfirma zu behindern) und seine eigene Rolle in der Struktur Deep Purple anhand des typischen Verlaufs einer „Geschäftssitzung“ mit dem Management so beschreibt: „John Coletta lud zwei von der Band zum Essen ein, Tony Edwards die anderen zwei, und ich wurde zurückgelassen und mußte selber schauen, wo ich bleibe. Also verzog ich mich in die Kneipe, und schließlich versammelten wir uns alle wieder, um die gewichtigen Überlegungen der großen Köpfe zu vernehmen. Der Ablauf folgte einem vorhersehbaren Muster, etwa so: ‚Nun, Jon, was meinst du?‘, worauf er sagte, er halte was auch immer für eine gute Idee. Dann: ‚Na, Ritchie?‘, was er denke, und Ritchie war alles vollkommen egal; dann Roger, der sagte, er schließe sich der Mehrheit an, und Paice, der fragte: ‚Wieviel Geld werden wir damit verdienen?‘ Und das Management rieb sich die Hände und sagte: ‚Gut, Jungs, dann machen wir’s also, richtig?‘ Und wenn alle irgendwie nickten, kam ich daher: ‚Ihr verdammten Trottel – das glaube ich einfach nicht!‘“

      Ian Gillan kam am 19. August 1945 in Hounslow als Sohn einer Lehrerin und eines gewerkschaftlich engagierten Fabrikarbeiters zur Welt. „Die Familie meiner Mutter war eine lange Linie viktorianischer Konservativer, die meines Vaters waren radikale Sozialisten“, sagte Gillan später in einem Interview mit Shelley Harris. „Daher gab es immer Spannungen, politisch und soziologisch, und das hat mich furchtbar viel über Ideologie gelehrt, linke wie rechte.“ Sein Großvater Arthur Watkins war Opernsänger (und später Boxer), der Onkel Jazzpianist, die Oma Ballettlehrerin; die Mutter – dies prägte sich dem Buben als früheste Erinnerung ein – kam zwar auf dem Klavier bei „Blue Rondo A La Turk“ über eine bestimmte komplizierte Stelle nie hinaus, doch reichte dies aus, sich einer musikalischen Familie entsprungen zu fühlen. Das Erweckungserlebnis des geplagten Schülers und Kirchenchorsoprans, den eigener Aussage zufolge Lehrer „mehrmals ins Krankenhaus“ prügelten (ebenso wie andere Kinder aus der Sozialsiedlung, in der er als einziger Privatschüler aufwuchs), war Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“, vorgespielt von einem Schulfreund (eher nicht Pete Townshend, obwohl … wer weiß?). Dessen Schmalztollen-Singles-Sammlung festigte Gillans ersten Berufswunsch: Filmstar wollte er werden, und der beste Weg dorthin schien, dem Beispiel von Presley, Cliff Richard und anderen Vorbildern gemäß, das Singen. Noch 1969, dies nur am Rande, wird Ian Gillan bei einer Umfrage des New Musical Express nach den Lieblingssängern bekannter Pop­vokalisten als einziger von zweiunddreißig Befragten Elvis Presley auf Platz 1 setzen – Mick Jagger, dies noch weiter am Rande, bevorzugt Yoko Ono. „Ich traf einen Typen namens Andy, der Gitarre spielte, sagte ihm, daß ich eine Band gründen wolle, und er erzählte überall rum, am nächsten Samstagmorgen finde bei mir die erste Probe statt. Um die zwölf Leute tanzten an, alle hatten Akustikgitarren dabei; die mit fünf oder sechs Saiten spielten Rhythmus oder Lead, die anderen Baß. Wir hauten ein paar einfache Songs runter, ‚Peggy Sue‘ von Buddy Holly und so was. Nach einer guten Stunde flogen wir aus dem Haus, weil wir solchen Krach machten.“

      Die derart zusammengewürfelte Combo nannte sich fortan The Moon­shiners und durfte einmal die Woche im St.-Dunstan’s-Jugendklub spielen und proben. Gewisse Züge früher Selbstüber- (oder Unter-?)schätzung mag man darin erkennen, daß Gillan nicht zögerte, sich den Künstlernamen Garth ­Rockett zu geben. Gewisse Wurzeln seiner späteren, zumindest optischen Verbindung von perkussivem und vokalem Wirken könnten in seiner Rolle bei den Moon­shiners gründen: Er sollte nicht nur singen, über einen Cassettenrekorder, der mit festgestellter Aufnahmetaste als Verstärker diente, sondern, da alle anderen Gitarristen waren, auch das aus einer Snare Drum, einer Heilsarmee-Baß­trommel und einem halben Hi-Hat bestehende Schlagwerk bedienen. Mit der Kombination war er überfordert: „Wenn ich sang, gab es kein Schlagzeug,

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