Chinas neuer Imperialismus. Anton Stengl
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Da lohnen sich die rund 1000 Milliarden Dollar, die China bereits investiert hat. 26.000 Milliarden Dollar sind laut CSIS insgesamt notwendig. Zum Vergleich – vorstellbar sind diese Summen alle nicht –: die italienische Staatsverschuldung betrug im Februar 2018 genau 2363 Milliarden Euro.22
Der eigentliche Anstoß für diese astronomischen Investitionen, für dieses Jahrhundertprojekt, für dieses Weltwunder, ist in erster Linie ein banaler Überschuss an Produktionskapazitäten.
Nehmen wir den Stahl als klassisches Beispiel für Überproduktion – wir kennen das Problem aus Deutschland. Von der Stahlkrise aktuell betroffen ist der frühere chinesische »Ruhrpott«: Nordostchina, die Mandschurei.
Beispiel einer klassischen Überproduktionskrise: Stahl
Krisen der Stahlindustrie gab es im Kapitalismus immer und überall. Was kann man dagegen tun? Mitte der 1960er-Jahre bildeten die 31 Stahlproduzenten in der Bundesrepublik Deutschland ein Verkaufskartell, um der ruinösen Konkurrenz aufgrund der weltweiten Überkapazitäten zu entgehen. Die eingehenden Aufträge wurden nach einem Quotensystem unter den Unternehmen aufgeteilt. Nach den Wirtschaftswunderjahren war der Bedarf an Stahl zuerst einmal gedeckt, dazu kamen einerseits der zunehmende Einsatz von Ersatzmaterialien – Keramik und besonders Kunststoffe – und andererseits die zunehmende internationale Konkurrenz durch staatlich hoch subventionierte Wettbewerber. Während z. B. Japan auf dem internationalen Stahlmarkt keinerlei Rolle gespielt hatte,23 änderte sich dies in den 1970er-Jahren. Auch Länder wie Brasilien, Algerien, Indonesien und Indien begannen mitzumischen – aber schließlich überholte China alle anderen Staaten.24
Stahlproduktion nach Regionen (Anteile in %) 25
Region | 1950 | 1970 | 1990 | 2000 | 2010 | 2011 | 2012 |
NAFTA | 47,7 | 22,6 | 14,4 | 15,8 | 7,9 | 7,7 | 7,8 |
EU | 32,5 | 32,4 | 24,9 | 22,8 | 12,2 | 11,7 | 10,9 |
SU/GUS | 13,5 | 19,4 | 20,1 | 11,6 | 7,6 | 7,5 | 7,2 |
Japan | 2,5 | 15,7 | 14,3 | 12,5 | 7,8 | 7,1 | 6,9 |
China | 0,3 | 3,0 | 8,7 | 15,1 | 44,3 | 45,1 | 46,3 |
andere Länder | 3,5 | 6,9 | 17,6 | 22,2 | 20,2 | 21,0 | 20,9 |
In den frühen 1980er-Jahren wurde die Konkurrenz innerhalb der EG wiederum durch ein Kartell, Eurofer, geregelt: Die Stahlhersteller durften ihre Produkte in den Nachbarländern nicht unter den Preisen der dortigen Konkurrenten anbieten. Zusätzlich gab es staatliche Beihilfen zum Abbau der Überkapazitäten. Trotzdem wurden Fabrikanlagen wie die Westfalenhütte und die Phönix-Hütte von Hoesch in Dortmund sowie die Heinrichshütte von Thyssen in Hattingen geschlossen – und die Anlagen in die Volksrepublik China verkauft. Gleiches geschah mit der Kokerei Kaiserstuhl, der damals modernsten Kokerei Europas: Das gesamte Werk wurde demontiert, an den chinesischen Bergwerkskonzern Yanzhou Coal Mining in der Provinz Shandong verkauft und dort wieder aufgebaut.
Diese Krise kostete vor allem im Ruhrgebiet rund 200.000 Arbeitsplätze. Die Überkapazitäten sind aber bis heute ein Problem geblieben: In Europa betragen sie immer noch 40 bis 50 Millionen Tonnen. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl errechnete allerdings für China 2016 einen gigantischen Kapazitätsüberhang von 430 Millionen Tonnen – weltweit wurden im Jahr 2015 rund 1,6 Milliarden Tonnen Rohstahl erzeugt, davon die Hälfte in China.26 China hat in den Jahren 2018 und 2019 so viel Stahl produziert wie England in 150 Jahren – also seit Beginn der Industrialisierung.27
Das traditionelle Zentrum der chinesischen Stahlindustrie liegt im Nordosten des Landes, in den Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang.28 Die Zentralregierung will dort Kapazitäten abbauen – aber die Provinzverwaltungen wollen Betriebsschließungen und Entlassungen verhindern. Der »Chinesische Traum vom Wohlstand« soll nicht ins Wanken gebracht werden. Bis 2017 wurde ein Zehntel der Kapazitäten in der Stahl- und Kohleproduktion abgebaut. Allein der staatliche Konzern Wuhan, der achtgrößte Stahlerzeuger der Welt, kündigte an, nur 30.000 seiner 80.000 Stahlarbeiter noch länger zu beschäftigen. Insgesamt sollen in China in der näheren Zukunft 1,8 Millionen Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie wegfallen.
Ist der Wahnsinnsaufwand der »Belt & Road«, sind die Fantastilliarden29 für seine Verwirklichung die Lösung dieses Problems? Eine Überproduktion dieser Dimension zeigt wohl bereits eindeutig, dass von einer Planwirtschaft in China nicht mehr die Rede sein kann. Nur der weltweite Export von Waren und Kapital kann noch helfen. Der Westen ist ökonomisch und finanziell gegenüber seinem asiatischen Konkurrenten im Defizit – und zwar in einem hohen Ausmaß. 2018 betrug das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber China 621 Milliarden Dollar, bei den EU-Staaten waren es 215 Milliarden Dollar, zusammen 836 Milliarden Dollar. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl bedeutet dies, dass jeder der 1,4 Milliarden Chinesen für 600 Dollar mehr Waren in den Westen exportiert, als er von dort bekommt. Xi Jinpings Erklärungen zur Förderung des Handels im Innern sind reine Propaganda.
Einige Daten von 2017:30
China: Export 2500 Mrd. US-Dollar, Import 2135 Mrd., Überschuss: 365 Milliarden. Handelswachstum 2,3 % – weltweit 3,5 %, also bedeutend geringer. Der Export entspricht 19,5 % des Bruttosozialprodukts (BSP), der Import 18,7 %.
Deutschland: Export 1560 Mrd. US-Dollar, Import 1290 Mrd., Überschuss 270 Milliarden. Handelswachstum: 3,15 %. Der Export entspricht 47,4 % des BSP, der Import 41,25 %.
Die Bedeutung des Exports für die deutsche Wirtschaft ist weltweit einzigartig. Der vergleichsweise geringe Anteil von Export/Import am BSP in China ist die Konsequenz der enormen Größe und Vielfalt dieses Landes – China ist eine Nation, die sich überwiegend selbst versorgt.
6 Italy’s plan to join the Belt and Road Initiative a pragmatic path to boosting its economy; Global Times vom 21. März 2019; http://www.globaltimes.cn/content/1142986.shtml (chinesische Tageszeitung in englischer Sprache)
7 F. Santelli, Italia-Cina, dai porti all’energia ai reperti archeologici: ecco i 29 accordi firmati; Repubblica vom 23. März 2019
8 »As of today, CCG has grown into the largest non-governmental think tank in China with headquarters in Beijing and offices in Shanghai, Shenzhen, Guangzhou, Qingdao and Hong Kong as well as representatives in major cities abroad, hiring nearly 100 in-house researchers and staff«. http://en.ccg.org.cn/