Grundschule im Kontext von Flucht und Migration. Группа авторов

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Grundschule im Kontext von Flucht und Migration - Группа авторов

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ein komplexer und im besten Fall wechselseitig angelegter Prozess ist, untermauern auch soziologische Reflexionen. Sie machen sichtbar, dass die soziale Integration in weitere Faktoren ausdifferenziert werden kann. So unterscheidet Heckmann strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Integrationsaspekte (Heckmann 2015: 71). Seine Analysen zeigen, dass diese Dimensionen in wechselseitigen Kausalbeziehungen stehen (ebd.: 73); denn identifikative Prozesse gehen z. B. auf als erfreulich erlebte soziale Bezüge zurück, die sich in geteilten kulturellen Erlebnissen ereignen können; genauso wie die kulturelle Integration durch die Zunahme von Kontakten und Austauschmöglichkeiten profitiert, die sich über »die zunehmende Einbindung in Kernsituationen der Aufnahmegesellschaft« (ebd.) vollzieht.

      Dementsprechend besteht eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung darin, Familien und ihren Kindern sowohl soziale als auch kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist, die unterschiedlichen Sprachen, Lebens- und Bildungserfahrungen der zugewanderten Kinder und ihrer Familien kennenzulernen, wertzuschätzen und in den Unterricht einzubinden. Vor diesem Hintergrund stehen folgende Fragen im Mittelpunkt des Buches:

      image Welches Wissen brauchen Lehrkräfte und zukünftige Lehrkräfte darüber, welche Erfahrungen Kinder und ihre Familien vor der Flucht und auf der Flucht gemacht haben, um das Handeln von Kindern und Eltern im schulischen Kontext zu verstehen?

      image Wie kann es gelingen, die sprachliche und kulturelle Vielfalt so zu nutzen, dass alle, die an Schule beteiligt sind, mit- und voneinander lernen können?

      Diese Fragen werden in den verschiedenen Beiträgen des Buches ausdifferenziert.

      Heike de Boer diskutiert in ihrem Beitrag Migration, Wohlbefinden und Schule, wie soziale und kulturelle Inklusionsprozesse zusammenhängen und durch welche Faktoren die schulische Inklusion neu zugewanderter Kinder gefördert werden kann. Dazu werden aktuelle Studienergebnisse im Kontext der Well-Being-Kindheitsforschung vorgestellt. Darauf aufbauend wird reflektiert, welche blinden Flecken in der Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie in der Professionalisierung von Lehrkräften im Umgang mit Flucht und Migration bestehen. An einem Projektbeispiel werden Bildungsprozesse Studierender dokumentiert, die in einem Mentoring-Projekt durch Fremdheitserfahrungen, Irritationen und antinomische Herausforderungen angestoßen wurden und eine Reflexion der individuellen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster ausgelöst haben. Abschließend werden Faktoren gebündelt, die elementar zur Entstehung von Teilhabegerechtigkeit für Kinder mit Flucht- und/oder Migrationsgeschichte im schulischen Alltag beitragen.

      Sabine Andresen zeigt in ihrem Beitrag »Bisschen mit Bus, bisschen mit Zug.« Zugänge der Kindheitsforschung zum Themenfeld Flucht auf sehr eindrückliche Weise, dass Interviews mit Kindern mit Fluchtgeschichte die Routinen der meisten Kindheitsforscher*innen durchbrechen. So auch bei den neun Interviews der World Vision Studie 2016, denn existenzielle Themen wie Abschiede, Beziehungsabbrüche, lange Trennungen, Angst um das eigene Leben und Gewalt können die Forschungssituation prägen und Fremdheit zwischen Forscher*innen und Kindern verstärken. Forscher*innen geraten in Anbetracht der Erzählungen der Kinder über ihre Flucht immer wieder an die Grenze des Vorstellbaren. Vor diesem Hintergrund betont Sabine Andresen die zentrale Bedeutung der Vorstellungskraft für die Kindheitsforschung, ebenso die Bedeutung autobiographisch angelegter Texte von Autor*innen mit Fluchterfahrung, die den Forscher*innen eine Möglichkeit geben, sich dem kaum Vorstellbaren zu nähern. Die World Vision Studie 2016 stellt in dem Wissen um die prinzipiellen Ressourcen der Kinder und ihre Verletzlichkeit und Angewiesenheit auf Schutz dar, wie Kinder unter den extremen Bedingungen von Flucht ihre Welt ordnen. Am Beispiel der Bereiche Familie und Freunde, die für das Wohlbefinden von Kindern zentral sind, gibt Sabine Andresen bewegende Einblicke in die Sicht einzelner geflüchteter Kinder. Der Beitrag schließt mit konkreten Fragen für die zukünftige Kindheitsforschung.

      In ihrem Beitrag Soziale Netzwerke, Peerkontakte und schulisches Selbstkonzept neu zugewanderter Kinder in der Schule arbeitet Charlotte Röhner heraus, dass flucht- und migrationsbedingte Zuwanderung Kinder und Jugendliche vor eine hohe Anpassungs- und Akkulturationsleistung stellt, die nicht nur das Sprachlernen, sondern vor allem auch die kulturelle und psychosoziale Integration umfasst. Sie stellt Ergebnisse einer empirischen Studie zu sozialen Netzwerken, Peerkontakten und schulischem Selbstkonzept vor, die an der Schnittstelle von Migrations- und Kindheitsforschung der Frage nachgeht, welche Bedeutung einheimische Peers für den Akkulturationsprozess neu zugewanderter Kinder haben. Aus den Befunden werden pädagogische Schlussfolgerungen für die kulturell-soziale und sprachliche Integration gezogen, die den Kontaktaufbau und das Sprachlernen sowohl unter einheimischen als auch unter neu zugewanderten Kindern als Schlüssel für ein gemeinsames Miteinander versteht.

      In dem Beitrag Mehrsprachige Kinder zum Sprechen ermutigen: Dialogische Gespräche führen reflektieren Heike de Boer und Daniela Merklinger die Bedeutung eines auf Reziprozität und Dialog ausgerichteten Gesprächshandelns. Diskutiert wird, wie die interaktive Hervorbringung von Erzählwürdigkeit im gemeinsamen Gespräch von Kindern und Erwachsenen durch die Gesprächsführung der Erwachsenen verhindert oder ermöglicht werden kann. Im Anschluss an empirische Forschungen aus der anglo-amerikanischen Interaktionsforschung werden Faktoren herausgearbeitet, die zu einem reziproken Gesprächshandeln führen können. An zwei Fallbeispielen aus dyadischen Erzählsituationen zwischen Kindern mit mehrsprachigem Hintergrund und Studierenden wird dargelegt, wie Kinder trotz sprachlicher Hürden Erzählungen entfalten und diese gemeinsam mit dem erwachsenen Gegenüber im interaktiven Prozess weiterentwickeln. Expliziert wird zum einen, dass dialogisch-reziproke Momente im Gespräch besonders dann hervorgebracht werden, wenn Kinder als Experten ihrer Lebenswelt adressiert werden und zeigen können, was sie wissen und was sie interessiert; zum anderen werden Gesprächshandlungen gesprächsanalytisch ausdifferenziert, an denen eine dialogische und reziproke Grundhaltung erkennbar werden kann.

      Christiane Bainski und Ursula Neumann legen in ihrem Beitrag Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule in der Migrationsgesellschaft dar, wie bedeutend die Entwicklung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften für eine produktive Verständigung zwischen Eltern und Vertreter*innen der Schule sind. Am Beispiel des Projektes »Rucksack-Schule« werden wichtige Faktoren expliziert, die zu einer gelingenden Verständigung beitragen. Gezeigt wird, wie vor allem die Defizitperspektive auf die vielfältigen familiären Lebensbedingungen und Lebensweisen verlassen werden kann und die Ressourcen, die Eltern mitbringen, fokussiert werden. Die Autorinnen belegen mit Beispielen aus der empirischen Begleitforschung des Projektes »Rucksack-Schule«, wie bedeutend umfassende Partizipationsmöglichkeiten für Eltern sind. Zugleich wird sichtbar, dass Lehrkräfte Qualifizierungsangebote für die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule benötigen.

      Klaus Fröhlich-Gildhoff, Maike Rönnau-Böse und Sabrina Döther stellen in ihrem Beitrag Resilienz im Klassenzimmer zunächst das Resilienzkonzept dar und illustrieren es dann in seiner Anwendung im schulischen Kontext. Dies geschieht auf der Grundlage von zwei Praxisforschungsprojekten des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg, an denen insgesamt 24 Grundschulen teilgenommen haben. Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation dieser Projekte, an denen auch zahlreiche Familien mit Migrations- und Fluchthintergrund teilgenommen haben, werden diskutiert und in ihren positiven Wirkungen auf der Ebene der Institutionen, der Lehrer*innen, der Kinder und Eltern reflektiert. Daraus werden im Weiteren spezifische Hinweise zur Resilienzförderung in der Grundschule bei Kindern mit Fluchterfahrung entwickelt.

      Um Geflüchtete Kinder und Traumatisierung geht es in dem Beitrag von Christine Bär. Dabei wird zunächst ein Verständnis von Flucht zugrunde gelegt, nach dem diese kein punktuelles, traumatisierendes Ereignis, sondern vielmehr einen langjährigen Prozess darstellt, der nach der Ankunft im Aufnahmeland noch lange nicht aufhört. Denn insbesondere in den ersten Jahren nach gelungener Flucht können die unsicheren und bedrohlichen Aufenthaltsbedingungen zu weiteren Traumata führen, die die Traumata der Flucht chronifizieren. Bär reflektiert

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