Auroville – Stadt der Morgendämmerung. Die (d.i. Mira Alfassa) Mutter
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Unter allen Geschöpfen der Erde ist es allein für den Menschen notwendig, um richtig zu leben, die rechte Erkenntnis zu haben, sei es dadurch, dass er, wie es der Rationalismus behauptet, allein oder vorwiegend die Erkenntnismittel seiner Vernunft verwendet, sei es – umfassender und vielseitiger – durch Einsatz all seiner Befähigungen. Was er erkennen muss, ist die wahre Natur seines Wesens und wie sich diese ständig in den Werten des Lebens zur Auswirkung bringt. Weniger abstrakt gesprochen: Er muss das Gesetz der Natur, besonders seiner eigenen Natur, ebenso die Kräfte, die in seinem Inneren und in seiner Umgebung wirken, verstehen. Dadurch soll er lernen, sie zu seiner höheren Vervollkommnung und Freude, für die eigene wie für die höhere Vervollkommnung und Freude seiner Mitgeschöpfe zu verwenden. Nach einem alten Wort ist es seine Aufgabe, im Einklang mit der Natur leben zu lernen. Jedoch dürfen wir uns unter „Natur“ nicht mehr, wie man das einst tat, eine ewige gerechte Ordnung vorstellen, von der der Mensch abgeirrt ist, denn die Natur ändert sich dauernd. Sie macht Fortschritte, entwickelt sich und steigt von Stufe zu Stufe empor. So dehnt sie ihre Möglichkeiten und Grenzen weiter aus. Doch herrschen bei dieser stetigen Verwandlung bestimmte ewige Grundsätze oder Wahrheiten des Seins, die stets dieselben bleiben. Unser Fortschritt und unsere Vervollkommnung müssen sich auf diesen ewigen Grundsätzen wie auf einem Fundament von Urgestein vollziehen, und diese sind ihr eigentliches Material und ihre Grundstruktur. Sonst würde ein unendliches Chaos herrschen und nicht eine Welt, die selbst noch im Zusammenprall ihrer Kräfte von Ordnung bestimmt wird.
Das Tier- und Pflanzenleben unterhalb des menschlichen Bereichs ist diesem Zwang zur Erkenntnis nicht unterworfen. Darum wird von ihm auch nicht jener notwendige Begleiter der Erkenntnis gefordert, der bewusste Wille, der das ausführen muss, was die Erkenntnis als richtig wahrnimmt. Dank dieser Freistellung bleibt dem Pflanzen- und Tierleben eine Masse von Irrtum, Verzerrung und Krankheit erspart. Es entwickelt sich spontan im Einklang mit der Natur. Seine Erkenntnis und sein Wille sind die ihrigen und können weder bewusst noch unbewusst von ihren Gesetzen und Geboten abweichen. Im Gegensatz dazu scheint der Mensch die Macht zu haben, seine mentalen Kräfte und seinen Willen der Natur gegenüberzustellen. Dadurch wird es ihm möglich, ihre Prozesse zu lenken, sie gar auf einen Kurs zu dirigieren, der verschieden ist von dem, den sie ihm sonst vorschreibt. Wenn man dies aber so ausdrückt, fällt man einem Trick der Sprache zum Opfer. Denn die mentale Struktur des Menschen ist selbst Teil der Natur. Die mentalen Kräfte sind geradezu der wichtigste, wenn auch nicht umfassendste Teil seines Wesens. Das Mental-Bewusstsein ist gewissermaßen die Natur, die sich ihrer eigenen Gesetze und Kräfte zum Teil bewusst geworden ist. Sie ist sich im Bewusstsein des Menschen ihres eigenen Ringens um das Vorwärtsschreiten der Evolution bewusst geworden. Sie wird von einem bewussten Willen inspiriert, ihren eigenen Lebensvorgängen und Daseinsabläufen ein immer höheres Gesetz aufzuerlegen. Im Leben auf der Ebene unterhalb des Menschen gibt es nur einen vitalen und physischen Kampf, keinen mentalen Konflikt. Der Mensch dagegen ist diesem mentalen Konflikt unterworfen und steht darum nicht nur mit den anderen, sondern auch mit sich selbst im Widerstreit. Zu diesem Ringen mit sich selbst fähig, hat er jenen Vorzug, der dem Tier versagt ist: Er kann eine innere Evolution durchmachen, Fortschritte vom höheren zu immer höherem Typus. Er kann auf diese Weise ständig über sich selbst hinauswachsen.
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Der Mensch beginnt seine Entwicklung nach oben als der vitale und physisch tierhafte Mensch. Es ist aber die wahre Aufgabe des Menschen auf der Erde, im Typus des Menschenwesens ein immer deutlicher hervortretendes Ebenbild des Göttlichen zum Ausdruck zu bringen. Ob er es weiß oder nicht, so wirkt doch die Natur unter der dichten Verhüllung durch ihre inneren und äußeren Vorgänge auf dieses Ziel hin. Der materielle oder tierhafte Mensch weiß aber nichts vom inneren Sinn und Ziel des Lebens. Er kennt nur dessen Bedürfnisse und Begehren und hat darum notwendigerweise für das, was von ihm verlangt wird, keinen anderen Führer als sein eigenes Empfinden des für ihn Notwendigen und das Drängen seines eigenen Begehrens, das ihm den Weg weist. Das erste natürliche Gebot für seine Lebensführung muss also sein, vor allem die Ansprüche und Bedürfnisse seines Körpers und seines Vitals zu befriedigen. Danach muss er alle emotionalen und mentalen Sehnsüchte, die Vorstellungen seiner Phantasie oder die dynamischen Erkenntnisse, die in ihm aufsteigen, verwirklichen. Diesen drängenden natürlichen Anspruch kann allein (durch Abänderung oder Widerspruch) das übergeordnete ausgleichende Gesetz einschränken, jene Forderungen, welche die Ideen, Bedürfnisse und Wünsche seiner Familie, seiner Gemeinschaft oder seines Stammes, also die Herde und das Rudel, deren Glied er ist, an ihn richten.
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Das Selbst des Menschen ist etwas Verborgenes, Dunkles. Es ist nicht sein Körper, es ist nicht sein Leben, es ist nicht – obwohl der Mensch auf der Stufenleiter der Evolution das mentale Wesen ist, der manu (Vater und Symbol des Menschen, der Denker) – sein Mental. Daher kann weder die Fülle seiner physischen noch seiner vitalen noch seiner mentalen Natur das letzte Wort oder das wahre Maß seiner Selbstverwirklichung sein.
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Uns entgeht die göttliche Wirklichkeit im Menschen und das Geheimnis menschlichen Daseins, wenn wir nicht erkennen, dass jeder Einzelne dieses Selbst ist und alle menschliche Möglichkeit in seinem Wesen vereint. Diese Möglichkeit muss er von innen her finden, entwickeln und erarbeiten.
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Die Erkenntnis Gottes kann nicht gewonnen werden, indem man die schwachen Argumente des Verstandes für oder gegen sein Dasein wägt. Sie kann allein durch Selbstüberschreitung gewonnen werden, durch eine absolute Weihung, durch Aspiration und Erfahrung. Diese Erfahrung gewinnt man jedoch nicht durch einen rational-wissenschaftlichen Versuch oder durch rational-philosophisches Denken.
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Der Weg des Menschen zum spirituellen Zukunftsmenschen wird sich erst auftun, wenn er kühn erklärt, dass alles, was er bislang entwickelt hat, einschließlich des Intellektes, auf den er so sehr zu Recht und dennoch vergeblich stolz ist, ihm jetzt nicht länger genügen, und dass es fortan seine ihn völlig beanspruchende Aufgabe sein wird, jenes größere, innere Licht zu enthüllen, zu erforschen und freizusetzen. Dann werden Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Ethik, soziales Sein und vitale Zielsetzungen nicht länger allein Handlungen seines Mentals und seines Lebens sein, um ihrer selbst willen getan, im Kreis sich drehend, sondern sie werden ihm als Mittel dienen, um hinter dem Mental und dem Leben eine größere Wahrheit zu erkennen und deren Macht in das menschliche Sein hineinzutragen. Dann werden wir auf dem rechten Weg zu uns selbst sein, zu dem wahren Gesetz unserer Vollendung, zu unserem wahren, befriedigenden Sein, unserem wirklichen Wesen, unserer göttlichen Natur.
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