Basaltbrocken. Christoph Kloft

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Basaltbrocken - Christoph Kloft

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der Beschäftigung gewidmet, der sie in den Kampfpausen so gerne nachgingen, nämlich den französischen Bauern mit ihren Pferden beim Einfahren der Ernte zu helfen! Aber nein, man mußte sich ja durch diesen Morast quälen, und das neuerdings sogar bei Tageslicht, was bedeutete, daß die ausgebauten Wege noch weiter zu umgehen waren als nachts, damit einen die feindliche Artillerie nicht bemerkte. Dabei war es fast unmöglich, mit den großen Wagen, die immerhin von sechs Pferden gezogen werden mußten, unentdeckt zu den vordersten Gräben der Front zu gelangen.

      Johannes hatte es deutlich vor Augen: er selbst hatte wie immer auf einem Gaul in der mittleren Reihe gesessen, einen Nachbarn gab es nicht, dafür einen Vordermann, der ebenso wie er vom linken Pferde aus die Richtung dirigierte, während die hinteren beiden Gäule vom Wagen aus gelenkt wurden. Und Johannes erinnerte sich auch genau, daß er bei diesen Fahrten immer an den Vater gedacht hatte, der ihm früher, als er noch zu Hause war, so oft gezeigt hatte, wie man mit Pferden umging. An diesem Tag war er jedoch aus seinen Gedanken gerissen worden, und zwar nicht etwa durch den sich allmählich nähernden Granatenlärm, sondern dadurch, daß das Silscheit seines Zuggeschirrs brach. Ohne dieses Stück Holz, das die beiden Pferde einer Reihe auf Abstand hielt, konnte die Fahrt nicht fortgesetzt werden, und Johannes mußte darum seine Kameraden bitten anzuhalten, damit er Gelegenheit hatte, das Scheit wenigstens provisorisch zu reparieren. Natürlich waren die anderen nicht sehr froh darüber, doch Johannes hatte schon immer seinen eigenen Kopf gehabt, um sich aus dem, was andere Leute redeten oder dachten, wenig zu machen. So störte es ihn auch kaum, daß der nachfolgende Wagen überholte – schließlich hatte man es im Krieg immer sehr eilig. Er hatte den Kameraden noch entschuldigend zugewinkt, sah sie sich dann an der Stelle einfädeln, wo er mit seinem Wagen jetzt eigentlich angekommen wäre – als vor ihm eine Granate niederging und den Weg in ein hell loderndes Flammenmeer verwandelte: Den Munitionstransport, der eben noch an ihm vorbeigezogen war, hatte es voll getroffen, und es war schon in diesem Augenblick klar, daß man nicht nach Überlebenden suchen müßte, denn die konnte es nicht geben. Zum Glück nur waren im Konvoi große Lücken gewesen, denn sonst wären nicht nur die sechs Mann da vorne gestorben, von denen ihn einer im Vorbeiziehen eben noch an einen Nachbarn aus dem Dorf erinnert hatte. Johannes hatte dank des gebrochenen Silscheites damals großes Glück gehabt, denn ohne dieses wäre sein Wagen jetzt dort gewesen, wo der Tod Einzug gehalten hatte. Er war verschont geblieben, und seitdem wußte er, daß er einmal steinalt werden würde, denn so leicht wie damals an der Front würde man es wohl nie wieder haben, ihn ins Jenseits zu befördern. Der Herrgott hatte ihm einen Wink gegeben, daß er noch sehr viel Leben vor sich hatte, einen Wink allerdings, der ihm Jahre später auch einmal sehr schmerzlich bewußt wurde, da nämlich, als er immer wieder gebeten, ja regelrecht gefleht hatte, man möge doch statt seines kranken Sohnes ihn selbst sterben lassen, aber auch da hatte man ihn im Himmel noch nicht haben wollen …

      Immer wieder wog Johannes jetzt seinen gewaltigen Knüppel in den Fäusten – mit dem konnte man den lieben Gott schon ein wenig unterstützen, notfalls sogar einem Ochsen den Schädel einschlagen, redete er sich ein, und er wußte nicht, daß er dies mit dem Mut der Verzweiflung tat, denn er war sich durchaus darüber im klaren, daß sein Jüngster, der damals zur Welt kam, kurz nachdem Herbert gestorben war, und die große Tochter ihn noch eine ganze Weile brauchen würden.

      Im Gebüsch waren plötzlich Geräusche zu vernehmen, leise Stimmen hörte er, die jetzt wie auf ein Kommando hin verstummten. Am Bahnhof, der schon längst in Sichtweite lag, war noch nichts vom Zug des Pfarrers zu sehen. Johannes schritt langsam weiter, und nur noch ein gelegentliches Knacken von Ästen machte ihm klar, daß da irgendwo in der Dunkelheit eine ganze Meute junger Parteigänger verborgen liegen mußte.

      In der Ferne sah er jetzt zwei allmählich stärker werdende Lichter. Wieder wog er den Knüppel in seiner Hand – denen da drüben würde er schon kräftig eins überziehen, wenn sie Anstalten machten, sich an ihm oder dem Pfarrer zu vergreifen. Was waren das doch für dumme Jungs! Vielleicht war der Gedanke gar nicht so falsch, auch sie einmal in eines der Kohlebergwerke zu schicken, in denen er selbst wertvolle Jahre seiner Jugend verbracht hatte!

      Jedenfalls war er früher niemals auf dumme Gedanken gekommen, aber vielleicht, so dachte der gutgläubige Mann, war das heute auch alles anders – schließlich hatte man ihm in seiner Jugend auch nicht solche Flöhe ins Ohr gesetzt, wie man das bei diesen jungen Leuten heute tat.

      Der Zug war nun ganz nahe, und Johannes wußte, daß nichts passieren würde. Wahrscheinlich hatten schon seine mächtige Statur und der eine Reihe von unmißverständlichen Bewegungen ausführende Knüppel die verborgene Meute ins Bockshorn gejagt, und als sie dann auch noch erkannt hatten, mit wem sie es zu tun bekommen würden, da hatten sie sich wohl endgültig dazu entschlossen, in ihren Büschen versteckt zu bleiben.

      Der Pfarrer merkte von all dem vorerst nichts. Zwar wunderte er sich, daß er vom Bürgermeister persönlich abgeholt wurde, doch waren die beiden führenden Köpfe im Dorf in der Vergangenheit ohnehin bereits sehr viel näher zusammengerückt, als dies zu anderen Zeiten der Fall gewesen wäre. Und so unterhielten sich die Männer auf ihrem Weg über unwesentliche Dinge, schimpften daneben gemeinsam auf das vor zwei Monaten herausgekommene »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«, das die Judenhetze, die sie beide schon lange störte, nun auch noch schriftlich festhielt, und taten ansonsten so, als ob die Gefahr, die die Buckel-Anna heraufbeschworen hatte und die ja auch wirklich dagewesen war, niemals bestanden hätte.

      Erst das Geräusch von sich rasch entfernenden Schritten gab dem Pfarrer, der längst bemerkt hatte, daß etwas nicht in Ordnung war, Anlaß, die Frage zu stellen, die ihm auf den Lippen lag, seitdem er am Bahnsteig die hohe Gestalt des Bürgermeisters entdeckt hatte. »War wohl nicht ganz ohne Grund, daß du mich heute abgeholt hast, Johannes?« wollte er wissen. »Nicht der Rede wert«, antwortete der Bürgermeister nur, und er blieb auch stumm, als sein Begleiter zum Abschied meinte: »Ich will dir aber trotzdem einmal ein herzliches Merci sagen«, und ihm kräftig die Hand schüttelte. Damit war die Angelegenheit für Johannes abgeschlossen: allein der Pfarrer, dem später noch das lose Mundwerk der Buckligen die volle Wahrheit offenbaren würde, war schon jetzt von einer tiefen Dankbarkeit dem Mann gegenüber erfüllt, den er seiner geringen Bildung wegen anfangs nur wenig geschätzt hatte.

      Daß es zwischen ihnen teilweise sehr unterkühlt zugegangen war, hatte auf Gegenseitigkeit beruht: auch Johannes war es anfangs schwergefallen, dem Gottesmann den nötigen Respekt zu zollen. Sicher, ihm lag viel an der Kirche, aber die den Herrgott auf Erden vertraten, schienen ihm oft zu weltfremd und zu sehr von sich selbst überzeugt, als daß sie sich noch in die Seele kleiner Leute hätten hineinversetzen können. Auch Pfarrer Wagner hatte er seinerzeit für einen solchen Vertreter gehalten, und es hatte schon fast der gesamten acht Jahre bedurft, die vergangen waren, seit er damals, 1927, die Pfarrgemeinde übernommen hatte, bis die beiden Männer zu einem halbwegs normalen Umgang gelangt waren. Die meisten Reibereien gab es dadurch, daß Johannes auch Mitglied des Kirchenvorstandes war und er hier, im Gegensatz zu denen, die seiner Ansicht nach immer nur brav zu den Worten des Pfarrers nickten, ebenfalls nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg hielt. Wie immer war es Agnes, die mäßigend auf ihn einzuwirken versuchte, ebenso wie dies im Lager des Kontrahenten dessen Schwester tat, die er mit nach Kleeberg gebracht hatte, damit sie ihm den Haushalt führte.

      Beide Frauen konnten dann aber doch nicht verhindern, daß es zu einer Auseinandersetzung kam, die den Höhepunkt der ständigen Rangeleien markierte: Johannes hatte sich in einer Vorstandssitzung wieder einmal fürchterlich geärgert, was Agnes ihm an diesem Sonntag morgen natürlich gleich ansah. Dennoch sagte sie nichts, wollte nicht in ihren Mann dringen, denn soviel wußte sie: wenn er reden wollte, dann mußte das von ihm aus kommen. So setzte sich Johannes mit verkniffenem Gesicht an den Mittagstisch, wo die Familie schon auf ihn gewartet hatte, betete laut – wie er es immer tat – das Vaterunser und stand danach aber plötzlich wieder auf, um ins Büro zu gehen. Agnes, die nicht gleich begriff, vergegenwärtigte sich erst, als sie Johannes durch die offene Tür sprechen hörte, daß das Bürgermeisteramt ja seit kurzem mit einem Telefonapparat ausgestattet war. Nun war es zu spät, ihr Dickkopf hatte den

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