Basaltbrocken. Christoph Kloft

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Basaltbrocken - Christoph Kloft

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oben, in dem Zimmer, in dem Mutter gestorben ist«, hatte er nur geantwortet und sich überhaupt nicht gewundert, es schon gar nicht bedauert, daß der Vater daraufhin wortlos abgezogen war und sich ein Nachtquartier im nahegelegenen Kloster gesucht hatte. Nach dieser Begegnung waren sich Vater und Sohn nie wieder begegnet.

      Johannes hatte sich wegen der schlimmen Erfahrungen eines ganz fest vorgenommen, nämlich sein Leben von Anfang an in geordnete Bahnen zu lenken: Schwer arbeiten wollte er, für die Familie dasein und vielleicht irgendwann einmal das wiedergutmachen, was sein Erzeuger – er bemühte sich, in seinen Gedanken nur diese Bezeichnung vorkommen zu lassen – an ihnen allen verbrochen hatte. Und denen im Dorf würde er es sowieso noch zeigen!

      Es war gegen sieben Uhr, als Johannes an diesem schönen Sommermorgen vom Feld und seiner Reise in die Vergangenheit nach Hause kam: nachdenklich war er, wortkarg, schlürfte stumm den Kaffee, den seine fleißige Frau schon für sie beide gekocht hatte, obwohl sie noch gar nicht so lange mit dem Melken fertig sein konnte. »Na, hast wohl wieder simuliert, Johannes?« Mit einer Antwort rechnete Agnes offenbar nicht, denn sie schien sehr beschäftigt: tauchte nur wieder ein Stück ihres Brotes in die Untertasse, in die sie, damit er schneller kalt wurde, ein wenig Kaffee gegossen hatte, und wartete geduldig, bis es sich mit der braunen Flüssigkeit vollgesogen hatte. Ja, er hatte wieder simuliert, wie gut sie ihn doch kannte, dachte Johannes, und es war ihm fast so, als hätte er dies laut gesagt. Simulieren tat er auch noch, als er nach dem Frühstück die Kühe fütterte, und es war klar, daß ihn seine Gedanken noch eine ganze Weile gefangen halten würden: so wie ein nächtlicher Traum, der manchmal noch bei Tage ein unsichtbares Netz über einen warf.

      Kleeberg war ein Dorf von gerade einmal vierhundert Einwohnern. Hier passierte nicht viel, was vor allem auf die Abge-schiedenheit des Ortes zurückzuführen war. Abgeschieden war er zum einen deshalb, weil er inmitten der Mittelgebirgsland-schaft des Westerwaldes lag und von mehreren für diese Gegend recht stattlichen Erhebungen umgeben war, zum anderen aber auch schon darum, weil die nächste größere Stadt viele Kilometer entfernt war – die Kreisstadt, die man zu Fuß erreichen konnte, durfte in diesem Zusammenhang nicht zählen, denn sie war kaum mehr als ein großes Dorf. Das Jahrhundert, in dem die Industrie ihren Siegeszug angetreten hatte, schien an Kleeberg spurlos vorübergegangen zu sein: seine Einwohner lebten fast ausschließlich von der Landwirtschaft. Wer hier geboren war, den bewegten meist nur ganz besondere Umstände dazu, sein Leben oder auch nur eine gewisse Zeit davon in einer anderen Gegend zu verbringen.

      Bei Johannes hatte es diese außergewöhnlichen Verhältnisse gegeben: er war als junger Mann eine ganze Weile gezwungen gewesen, sein geliebtes Kleeberg zu verlassen, da damals gerade die großen Gruben im Ruhrgebiet gute Verdienstmöglichkeiten versprachen. Johannes hatte sich Arbeit in einem Kohlebergwerk in der Nähe von Essen gesucht, und, weil man dort mehr verdiente, später sogar als Eisengießer am Hochofen gearbeitet. Trotzdem, eine gute Zeit war dies für ihn nicht gewesen, zu verbunden war auch Johannes mit seinem Heimatdorf, und er war froh, als er genug Geld beisammen hatte, um dem Ruhrpott endgültig den Rücken kehren zu können. Landwirt – für ihn war das der freieste, unabhängigste und schönste Beruf, den es geben konnte, und den würde er nun bis an sein Lebensende ausüben. Dabei machte es ihm überhaupt nichts aus, wenn er dies lange Zeit wieder nur in den Abendstunden tun konnte, denn, um seine Existenz dauerhaft zu sichern, war er am Tage dazu gezwungen, in den Steinbrüchen, von denen es in Kleebergs Umgebung genügend gab, oder beim Bahnbau sein Geld zu verdienen. Und Schikanen, wie er sich sie in seiner Jugend gelegentlich hatte gefallen lassen müssen, war er heute schon gar nicht mehr ausgesetzt: zu rasch bemerkten alle den Feuereifer, mit dem er seinen großen Körper zu immer größeren Leistungen antrieb, seinen Ehrgeiz, der ihn im Steinbruch schnell vom einfachen Steinbrecher zum besserbezahlten Kipper aufsteigen ließ, der mit wenigen geschickten Hammerschlägen schon wieder einen Pflasterstein fertiggestellt hatte, wenn sein Nachbar noch mitten bei der Arbeit war.

      Und so kam es, daß es Johannes und die Zeit langsam schafften, den Makel, der ihm anhing, aus der Erinnerung der Leute zu streichen und er die Vergangenheit vor ihnen schließlich abstreifte wie eine Haut, die keiner mehr brauchte. Daß er selbst das, was damals geschehen war, niemals vergessen würde, brauchte er sich nicht einmal zu schwören, denn er dachte schon, ohne es zu wollen, oft genug an die tote Schwester und die Mutter, die ihr wenig später nachgestorben war. Und immer dann fiel ihm natürlich auch der Vater ein, und er nahm sich wieder und wieder vor, nicht so zu werden wie er, jedenfalls wie er gewesen sein mußte, als er sie im Stich gelassen hatte. »Ein Mann muß immer zu dem stehen können, was er tut!« – das war Johannes´ Lebensregel geworden, denn er führte sich immer, wenn es darauf ankam, vor Augen, wie der Vater damals verlegen zu Boden geschaut hatte, als er vom Sohn aufgefordert worden war, im Sterbezimmer seiner Frau zu übernachten.

      Johannes konnte zu dem stehen, was er tat, zu allem, auch damals, 1930, als er sich zum Bürgermeister von Kleeberg wählen ließ. Sicher, er hatte immer davon geträumt, im Dorf eine Rolle zu spielen, doch wäre er deshalb niemals auf den Gedanken gekommen, seinen Vorgänger, den er äußerst schätzte und den er bei der Wahl auch unterstützt hatte, ablösen zu wollen. Erst als er richtig gedrängt worden war, und das sogar von demjenigen, der gerade noch für eine neue Amtszeit kandidiert hatte, jetzt aber wegen der Begünstigung eines Verwandten ins Zwielicht geraten war, da hatte er den Widerstand aufgegeben und die Entscheidung des Rates angenommen. Johannes selbst hatte sich freilich nicht gewählt – dies mochten andere tun, ihm selbst wäre es anrüchig erschienen.

      ´33 hatten dann bereits die Nazis die Macht übernommen, wovon man aber in Kleeberg – wenigstens am Anfang – zum Glück noch wenig merkte. Hier schnitt die NSDAP bei sämtlichen Wahlen, die sie noch zuließ, nicht besonders gut ab: Johannes prägte sich die Ergebnisse so ein, daß er sie auch Jahre später, als selbst der Krieg längst der Vergangenheit angehörte, noch stolz Besuchern aus der Stadt präsentierten konnte, die meinten, besonders in Gegenden, die ihrer Ansicht nach durch eine dicke Bretterwand von der zivilisierten Welt abgetrennt waren, hätten die Nazis einen ungebremsten Zulauf verzeichnen können. Gerade hier aber verfügte man über eine solche Bremse, und diese sah Johannes darin, daß in katholischen Dörfern, wie auch Kleeberg eines war, die Nazis niemals ein leichtes Spiel hatten, da die Partei der Katholiken nun einmal das Zentrum war: Noch bei der letzten Reichstagswahl vom 5. März 1933 hatte es in Kleeberg mit 62,5 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit erhalten, und wenn das Zentrum bei der Wahl zum Kreistag eine Woche später von der NSDAP um einen Sitz überflügelt wurde, so lag das für Johannes nur an den vielen evangelischen Ortschaften in dieser Region.

      Sie hatten jetzt schon eine ganze Weile Ruhe vor den Parteigenossen: eigentlich war die Geschichte mit dem Pfarrer der letzte Angriff der hiesigen Nationalsozialisten gewesen, und Johannes hoffte, daß dies auch so bliebe. Franz war scheinbar verstummt, und Vollmer mußte sich viel zu sehr schämen, um Johannes und seine Agnes ein weiteres Mal herauszufordern. Meinten sie jedenfalls, und langsam glaubten die beiden bereits, das Leben verlaufe wieder normal, so wie damals, bevor alles anders geworden war, wenn dann nicht der Tag gekommen wäre, an dem Johannes aus heiterem Himmel zu Kreisleiter Schulz bestellt wurde. Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was der von ihm wollen konnte, höchstens daß jetzt er statt Vollmer versuchen würde, ihn endlich zum Eintritt in die Partei zu überreden. Bestimmt war es so, redete sich Johannes ein, und er sah sich einmal mehr in der Meinung bestätigt, daß es falsch gewesen war, am Ende doch die Hilfe von Gregors Bruder in Anspruch zu nehmen. Aber sie hatten ihm ja keine Ruhe gelassen, Agnes nicht, die Gesinnungsgenossen aus dem Dorf nicht und auch Gregor nicht, der, als er ihm von den letzten Vorfällen erzählt hatte, geradezu mit Worten auf ihn eingehämmert hatte, er solle das Angebot doch endlich annehmen. »Du weißt ja noch gar nicht, was aus Deutschland geworden ist. Bei uns gibt es Dinge, die kann man sich kaum vorstellen«, war dabei einer der geheimnisvollen Sätze, die er in letzter Zeit so oft von sich gab, und Johannes, der der Meinung war, er könne diese Aussage ohnehin nicht weiter belegen, hatte auch nicht weiter nachgefragt, dann aber, damit nicht noch mehr auf ihn eingeredet wurde, zu Gregor gesagt, er könne jetzt mit seinem Bruder sprechen.

      Nach dem, was Gregor immer über ihn erzählte, hatte der dem

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