Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück). Adolph Freiherr von Knigge
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11.
Keine Regel ist so allgemein, keine so heilig zu halten, keine führt so sicher dahin, uns dauerhafte Achtung und Freundschaft zu erwerben, als die: unverbrüchlich, auch in den geringsten Kleinigkeiten, Wort zu halten, seiner Zusage treu, und stets wahrhaftig zu sein in seinen Reden. Nie kann man Recht und erlaubte Ursache haben, das Gegenteil von dem zu sagen, was man denkt, wenngleich man Befugnis und Gründe haben kann, nicht alles zu offenbaren, was in uns vorgeht. Es gibt keine Notlügen; noch nie ist eine Unwahrheit gesprochen worden, die nicht früh oder spät nachteilige Folgen für jedermann gehabt hätte; der Mann aber, der dafür bekannt ist, streng Wort zu halten und sich keine Unwahrheit zu gestatten, gewinnt gewiss Zutrauen, guten Ruf und Hochachtung.
12.
Sei streng, pünktlich, ordentlich, arbeitsam, fleißig in Deinem Berufe! Bewahre Deine Papiere, Deine Schlüssel und alles so, dass Du jedes einzelne Stück auch im Dunkeln finden könntest! Verfahre noch ordentlicher mit fremden Sachen! Verleihe nie Bücher oder andre Dinge, die Dir geliehen worden; hast Du von andern dergleichen geliehn, so bringe oder schicke sie zu gehöriger Zeit wieder und erwarte nicht, dass sie oder ihre Domestiken noch Wege darum tun, um diese Dinge abzuholen! – Jedermann geht gern mit einem Menschen um und treibt Geschäfte mit ihm, wenn man sich auf seine Pünktlichkeit in Wort und Tat verlassen kann.
13.
Interessiere Dich für andre, wenn Du willst, dass andre sich für Dich interessieren sollen! Wer unteilnehmend, ohne Sinn für Freundschaft, Wohlwollen und Liebe, nur sich selber lebt, der bleibt verlassen, wenn er sich nach fremdem Beistande sehnt.
14.
Zwei Gründe hauptsächlich müssen uns bewegen, nicht gar zu offenherzig gegen die Menschen zu sein: zuerst die Furcht, unsre Schwäche dadurch aufzudecken und missbraucht zu werden, und dann die Überlegung, dass, wenn man die Leute einmal daran gewöhnt hat, ihnen nichts zu verschweigen, sie zuletzt von jedem unsrer kleinsten Schritte Rechenschaft verlangen, alles wissen, um alles zu Rate gezogen werden wollen. Allein ebenso wenig soll man übertrieben verschlossen sein, sonst glauben sie, es stecke hinter allem, was wir tun, etwas Bedeutendes oder gar Gefährliches, und das kann uns in unangenehme Verlegenheit verwickeln und veranlassen, dass wir verkannt werden, unter anderm in fremden Ländern, auf Reisen, bei manchen andern Gelegenheiten, und kann uns überhaupt auch im gemeinen Leben, selbst im Umgange mit edlen Freunden schaden.
15.
Vor allen Dingen vergesse man nie, dass die Leute unterhalten, amüsiert sein wollen; dass selbst der unterrichtendste Umgang ihnen in der Länge ermüdend vorkommt, wenn er nicht zuweilen durch Witz und gute Laune gewürzt wird; dass ferner nichts in der Welt ihnen so witzreich, so weise und so ergötzend scheint, als wenn man sie lobt, ihnen etwas Schmeichelhaftes sagt; dass es aber unter der Würde eines klugen Mannes ist, den Spaßmacher, und eines redlichen Mannes unwert, den niedrigen Schmeichler zu machen. Allein es gibt einen gewissen Mittelweg; diesen rate ich einzuschlagen, und da jeder Mensch doch wenigstens eine gute Seite hat, die man loben darf, und dies Lob, wenn es nicht übertrieben wird, aus dem Munde eines verständigen Mannes Sporn zu größerer Vervollkommnung werden kann, so ist das Wink genug für den, der mich verstehn will.
Zeige, so viel du kannst, eine immer gleiche, heitere Stirne! Nichts ist reizender und liebenswürdiger, als eine gewisse, frohe, muntre Gemütsart, die aus der Quelle eines schuldlosen, nicht von heftigen Leidenschaften in Tumult gesetzten Herzens hervorströmt. Wer immer nach Witz hascht, wem man es ansieht, dass er darauf studiert hat, die Gesellschaft zu unterhalten, der gefällt nur auf kurze Zeit und wird bei wenigen Interesse erwecken; er wird nicht aufgesucht werden von denen, deren Herz sich nach besseren Umgange und deren Kopf sich nach sokratischer Unterhaltung sehnt.
Wer immer Spaß machen will, der erschöpft sich nicht nur leicht und wird matt, sondern hat auch die Unannehmlichkeit, dass, wenn er einmal gerade nicht aufgelegt ist, seinen Vorrat von lustigen Kleinigkeiten zu öffnen, seine Gefährten das sehr ungnädig aufnehmen. Bei jeder Mahlzeit, zu welcher er gebeten wird, bei jeder Aufmerksamkeit, die man ihm erweist, scheint die Bedingung schwer auf ihm zu liegen, dass er diese Ehre durch seine Schwänke zu verdienen suchen solle; und will er es einmal wagen, den Ton zu erheben und etwas Ernsthaftes zu sagen, so lacht man ihm gerade in das Gesicht, ehe er mit seiner Rede halb zu Ende ist. Wahrer Humor und echter Witz lassen sich nicht erzwingen, nicht erkünsteln, aber sie wirken, wie das Umschweben eines höhern Genius, wonnevoll, erwärmend, Ehrfurcht erregend.
16.
Gehe von niemand und lass niemand von Dir, ohne ihm etwas Lehrreiches oder etwas Verbindliches gesagt und mit auf den Weg gegeben zu haben; aber beides auf eine Art, die ihm wohltue, seine Bescheidenheit nicht empöre und nicht studiert scheine, dass er die Stunde nicht verloren zu haben glaube, die er bei Dir zugebracht hat, und dass er fühle, Du nehmest Interesse an seiner Person, es gehe Dir von Herzen, Du verkauftest nicht bloß Deine Höflichkeitsware ohne Unterschied jedem Vorübergehenden! Man verstehe mich also recht! Ich möchte gern, wenn es möglich wäre, alles leere Geschwätz aus dem Umgange verbannt sehn; möchte, dass man – ohne Ängstlichkeit – auf sich acht hätte, nie etwas zu sagen, wovon der, welcher es anhören muss, weder Nutzen noch wahresVergnügen haben, woran er weder mit dem Kopfe noch mit dem Herzen Anteil nehmen könnte. Weit entfernt bin ich also, das System solcher Leute empfehlen zu wollen, die jeden ohne Unterlass mit leeren Komplimenten, Schmeicheleien oder Lobsprüchen in die Verlegenheit setzen, ihnen auf tausend nicht eins antworten zu können. Übrigens tadle ich auch nicht ein gut gemeintes Höflichkeitswort, ein verdientes, bescheidenes, zu fernerm Guten ermunterndes Lob. Ein Beispiel wird meine wahren Grundsätze darüber deutlicher machen: Ich saß einst an einer fremden Tafel zwischen einer hübschen, verständigen jungen Dame und einem kleinen, buckligen, garstigen Fräulein von etwa vierzig Jahren. Ich beging die Unhöflichkeit, die ganze Mahlzeit hindurch, mich nur mit jener zu unterhalten, zu dieser hingegen kein Wort zu reden. Beim Nachtische erst erinnerte ich mich meiner Unart; und nun machte ich den Fehler gegen die Höflichkeit durch einen andern gegen die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit gut. Ich wendete mich zu ihr und redete von einer Begebenheit, die vor zwanzig Jahren vorgegangen war. – Sie wusste nichts davon. – »Es ist kein Wunder«, sagte ich, »Sie waren damals noch ein Kind.« Das kleine Wesen freute sich innigst darüber, dass ich sie für so jung hielte, und dies einzige Wort erwarb mir ihre günstige Meinung – sie hätte mich dieser niedrigen Schmeichelei wegen verachten sollen. Wie leicht hätte ich einen Gegenstand zu einem Gespräche mit ihr finden können, das ihr auf irgendeine Weise interessant gewesen wäre! und es war meine Pflicht, daran zu denken und ihr nicht einen ganzen Mittag hindurch die Tür der Konversation zu verschließen. Jene elende Schmeichelei hingegen war eine unwürdige Art, den ersten Fehler zu verbessern.
17.
Wem es darum zu tun ist, dauerhafte Achtung sich zu erwerben, wem daran liegt, dass seine Unterhaltung niemand anstößig, keinem zur Last werde, der würze nicht ohne Unterlass seine Gespräche mit Lästerungen, Spott, Medisance und gewöhne sich nicht an den auszischenden Ton von Persiflage! Das kann wohl einigemal und bei einer gewissen Klasse von Menschen auch öfter gefallen; aber man flieht und verachtet doch in der Folge den Mann, der immer auf andrer Leute Kosten oder auf Kosten der Wahrheit die Gesellschaft vergnügen will, und man hat Recht dazu; denn der gefühlvolle, verständige Mensch muss Nachsicht haben mit den Schwächen andrer; er weiß, welchen großen Schaden oft ein einziges, wenngleich nicht böse gemeintes Wörtchen anrichten kann; auch sehnt er sich nach gründlicherer und nützlicherer Unterhaltung; ihn ekelt vor leerer Persiflage. Gar zu leicht aber gewöhnt man sich in der sogenannten großen Welt diesen elenden Ton an; man kann nicht genug davor warnen.
Übrigens aber möchte ich auch nicht gern alle Satire für unerlaubt erklären noch leugnen, dass manche Torheiten und Unzweckmäßigkeiten im weniger vertrauten Umgange am