Wir müssen reden. Susanne Schnabl

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Wir müssen reden - Susanne Schnabl

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alte Ordnungen gelten nicht mehr, der Populismus ist in aller Munde und vom Ende der liberalen Welt ist mancherorts nicht mehr nur die Rede. Und während wir rätseln, was uns der diffuse Wunsch nach Veränderung und die Zukunft tatsächlich bringen wird, werden die Bedingungen des Zusammenlebens bereits neu ausverhandelt. Das Alte funktioniert nicht mehr und das Neue ist noch nicht greifbar. Abschied und Neubeginn – und wir sind mittendrin. Was passiert da gerade und wohin führt es?

      Wenn sich die Welt folglich so rasant ändert, dann sollten wir doch all unsere Energien dafür aufwenden, darüber zu reden und zu streiten, wie wir in Zukunft leben wollen. Es wird wieder politisiert und es wird so schnell nicht weniger werden. Das ist gut. Gegensätzliche Meinungen beleben bekanntlich nicht nur jedes Gespräch, sondern die Demokratie. Aber was passiert, wenn das Entweder-oder-Denken immer mehr um sich greift. Auch hier in Österreich herrscht mit den neuen politischen Verhältnissen unter einer rechtskonservativen Regierung eine Dafür- oder Dagegen-Stimmung und mit ihr setzen Unerbittlichkeit und ritualisierte Erregung auf beiden Seiten neue Maßstäbe. Gedacht wird in Lagern und selbst wenn es ein bisschen kleinteiliger daherkommt, sind es Schubladen, in die man die anderen aussortiert und einteilt. Das ist weniger gut. Bedeutet Demokratie nicht auch, Meinungen auszuhalten, die einem gegen den Strich gehen? Wenn das tägliche Drama das letzte Minimum an Sachlichkeit ablöst, Argumente gar nicht mehr zählen und es fast ausnahmslos nur mehr um entweder-oder, gut oder böse geht, wäre es jetzt an der Zeit, einmal tief Luft zu holen.

      Die Themenliste, an der wir uns emotionsgeladen nach diesem Schwarz-Weiß-Muster abarbeiten und dabei nicht wirklich weiterkommen, ist mittlerweile ellenlang: Migration, Integration, zwischen den beiden Kampfbegriffen der sogenannten „Gutmenschen“ und der „islamophoben Rassisten“ scheint es kein sachliches Dazwischen zu geben. Dabei spielt sich das Wesentliche und Spannende genau in der Lücke zwischen den Extremen ab. Was aber, wenn dieses Dazwischen verloren geht und der Riss – je nach Thema und Glaubensfrage – durch unsere Gesellschaft immer größer wird, weil es nur mehr um „uns“ und „die anderen“ geht. Egal wie komplex die Fragen auch sind, es geht ausnahmslos um dafür oder dagegen, links oder rechts, gut oder böse. Und weil das Private auch politisch ist, hätten wir noch ein wenig weiter unten auf der Liste der hart umkämpften Themen: Die Straße und Radfahrer versus Autofahrer, das Essen und Veganer gegen Fleischesser, oder immer wieder ein Reizthema: Impfen, ja oder nein? Und wer schon einmal miterlebt hat, wie unversöhnlich Eltern ihre erzieherischen Überzeugungen vor sich hertragen, verlässt den (Kampf-)Spielplatz mitunter verunsichert – diese Liste ließe sich endlos fortführen. Aber warum dieser anklagende Ton, diese moralische Überlegenheit Andersdenkenden gegenüber? Die Hölle, das sind bekanntlich nicht nur bei Sartre, sondern insbesondere in den sozialen Medien, immer die anderen. Duell statt Dialog. Dabei wissen wir doch längst, dass die blanke Empörung über den Anderen und das Anderssein uns in unserem Diskurs nicht weiterbringt.

      Und damit sind wir bei der zweiten Frage. Warum ist das Zuhören, Argumentieren und Streiten so schwer geworden? Oder war es das schon immer? Streiten um das bessere Argument auf Augenhöhe, fair und leidenschaftlich. Das bedeutet im Idealfall eine Kultur des Streitens anstatt der vielen Hot Takes, welche die Erregungskurven jeden Tag aufs Neue in lichte Höhen treiben. Auch wenn die Sehnsucht nach vermeintlich simplen Antworten so groß und die Unerbittlichkeit den anderen gegenüber so laut ist, wie wäre es mit mehr Sachlichkeit statt Drama – und sachlich meint hier nicht: langweilig. Warum wir gerade jetzt miteinander reden müssen, will ich Ihnen gleich am Weg nach Floridsdorf erzählen.

      Es ist Frühling und ich suche im 21. Wiener Gemeindebezirk das Nagelstudio von Frau T. Leerstehende Geschäftslokale, dazwischen ein Supermarkt, eine Sportwetten-Bar, ein Kebab-Stand, ein Handyladen, irgendwo hier muss es sein, und während der Streusplit unter den Füßen noch an den Winter erinnert, lässt die Frühligssonne die triste Gegend ein wenig freundlicher erscheinen. Sagen wir so, es gibt einladendere Gegenden, durch die man mit seinem Einkaufssackerl schlendern kann. Aber das machen hier die meisten ohnehin im nahegelegenen Shoppingcenter. Es ist eine jener Einkaufstraßen, an deren Auslagen und Geschäften man wie in so vielen Städten die gesellschaftliche Veränderung der vergangenen fünfzig Jahre ablesen kann. Vom Eisenwarenhändler ist nur mehr das Schild über der Auslage geblieben, in der jetzt die Schneiderpuppe des türkischen Änderungsschneiders samt Preisliste steht. Nebenan kann man Kebab und Pizza essen.

      Da ist es auch schon. Unzählige kleine Nagellack-Fläschchen stehen in der Auslage. Das ist das Geschäft jener Frau, die in ihren Postings so wütend klang, sich später am Telefon schon ein wenig anders anhörte und mir schlussendlich dieses Interview, zu dem ich gerade unterwegs bin, doch zugesagt hat. Uns Journalisten wird vorgeworfen, dass wir zu selten nach draußen gehen und unseren Blick, gerade wenn es um Politik geht, nicht dorthin richten, wo die Sorgen und Ängste der Menschen zu Hause sind. Also raus aus der Redaktion, dem Fernsehstudio, der Blase und Nabelschau auf der Suche nach Frau T. und ihrem Nagelstudio.

      Seit mehr als zwei Jahren dreht sich die Berichterstattung um Wutbürger, Protestwähler, Fake News, den Zorn auf das Establishment, die Ablehnung gegenüber Andersdenkenden, den Hass im Netz. Darüber wurde schon so viel gesagt und geschrieben, aber ins Gespräch kommen mit jemanden, der all diese Skepsis auch gegenüber uns Journalisten teilt, das ist schwieriger als angenommen. Sich entrüsten, schimpfen, jammern oder sich gegenseitig aus dem Weg gehen, das geht schnell und bequem, aber miteinander reden? „Lügenpresse“. Genau das hat es mir auch nicht leicht gemacht, mit Frau T., die hier anonym bleiben möchte, ins Gespräch zu kommen. Es hat Wochen gedauert. Nur zögerlich antwortete sie auf meine Nachrichten. Das Misstrauen ist groß, ihre Verunsicherung offenbar noch mehr.

      Frau T. ist Mitte vierzig, betreibt seit Jahren ein kleines Nagelstudio, und wenn sie nicht gerade mit ihren Kundinnen beschäftigt ist, sitzt sie vor ihrem Computer im Geschäft. Sie lächelt verlegen, als sie mir die Türe öffnet. Auch ich bin ein wenig angespannt und so bemühen wir zunächst einmal das Wetter und sprechen ein wenig über ihre Arbeit, während sie gastfreundlich den Kaffee herunterlässt und fragt, ob es stört, wenn sie rauche. Schön langsam bricht das Eis und wir kommen ins Gespräch.

      Sie erklärt, warum sie Meldungen, die sie immer wieder auf Facebook liest, für glaubwürdig hält und „die Medien“ für gesteuert. „Irgendetwas muss da ja dran sein“, wiederholt sie ihren Standpunkt, ihre Zweifel auf meine Nachfragen. Das geht eine Zeitlang so. Erst als sich eine gewisse Vertrautheit breit gemacht hat, kommen Frau T. und ich richtig ins Reden. Sie klingt gar nicht zornig wie in ihren Postings auf Facebook, in denen sie unter anderem die angebliche Großzügigkeit gegenüber Flüchtlingen beklagt, die Smartphones geschenkt bekommen würden – diese Falschmeldung hält sich trotz aller Richtigstellungen noch immer. Ihr Facebook-Profil liest sich stellenweise wie jenes einer Wutbürgerin, von denen so oft die Rede ist und die sich selbst selten bis nie zu Wort melden, um einmal öffentlich zu erklären, was sie hinter diesen ärgerlichen Sätzen im Netz so zornig macht. Frau T. ist diesbezüglich eine Ausnahme. Sie hat meine Nachrichten im Gegensatz zu den vielen anderen, die ich kontaktiert hatte, nicht ignoriert oder geblockt, sondern sich zurückgemeldet. Aber von der zornigen Frau im Netz, der ich jetzt hier am Maniküretisch gegenübersitze, ist nicht mehr viel Wut zu spüren. Schallgedämpft erzählt sie von „denen da oben“, dem System, den Ausländern und Flüchtlingen, ihrer Sicht auf die Welt, der Politik und ihrer Unzufriedenheit. „Schauen Sie“, beginnt sie fast jeden Satz, „man darf das ja alles, was man sich so denkt, nicht mehr sagen.“ „Was denn?“ „Naja, die Wahrheit“, seufzt Frau T. und zieht an ihrer Zigarette. Die „Wahrheit“ also, welche nicht mehr ausgesprochen werden dürfe, die wird auch hier im Nagelstudio immer wieder bemüht. Es sind Vermutungen, Gerüchte, zum Teil Vorurteile über Flüchtlinge, Ausländer, Politiker und Medien, die sich trotz Fakten hartnäckig halten und mit ihnen Frau T.s Unsicherheit über eine ungewisse Zukunft. Und dann sagt sie diesen einen Satz, der mich noch tagelang beschäftigt: „Aber mir, uns hier, hört ja niemand zu!“

      

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