Gegendiagnose II. Группа авторов
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Sie hört mir zu, Stift auf dem Klemmbrett. Ich überwinde mich ein bisschen und erzähle weiter, von verschlechterten Beziehungen zu meiner Familie und zu alten Freund_innen, seitdem ich zu meinem Trans*sein stehe. Zuletzt erwähne ich kurz meine sozialen Unsicherheiten und Ängste, die mich seit so vielen Jahren begleiten, die mich mal mehr und mal weniger einschränken.
Ich spreche mehrere Minuten, ohne dass sie mich unterbricht. Währenddessen spüre ich einen Druck, meine Anliegen kurz vor Ende unserer ersten Sitzung schnell und präzise zu erklären. Die Therapeutin zeigt keine emotionale Reaktion und wird mir erst beim nächsten Treffen sagen, dass sie meine Geschichte traurig fand. Dabei werde ich keine Spur von Traurigkeit in ihren Gesichtszügen erkennen.
In der nächsten Sitzung fragt mich die Therapeutin, mit welchem Pronomen ich angesprochen werden möchte. Ich bin positiv überrascht und denke, dass dies meine Chance auf Sichtbarkeit als nicht-binäre trans* Person ist. Ich erzähle vorsichtig, dass ich in meinem Alltag ein nicht-binäres Pronomen für mich verwende und mich am wohlsten damit fühle, wenn Personen bei einer förmlichen Anrede meinen Vor- und Nachnamen nutzen. Ich bin kein ›Er‹ und keine ›Sie‹, kein ›Herr‹ und keine ›Frau‹.
Die erste Reaktion der Therapeutin ist gelassen. Sie kommentiert meinen Pronomenswunsch nicht. Dann erklärt sie, dass sie keine Übung oder Sicherheit im Umgang mit nicht-binären Pronomen hat und sich nur die Verwendung von ›er‹ oder ›sie‹ als Pronomen vorstellen kann. Auch bei meiner Anrede ist sie wenig flexibel und bietet mir nur die Option ›Herr‹ an. Enttäuschung und Verärgerung. »Warum hatte sie mich überhaupt gefragt, welches Pronomen und welche Anrede ich verwenden möchte, wenn ich dann doch keine Wahl habe?«, überlege ich wütend auf dem Weg nach Hause.
Als ich mich für den Trans*March 2016 schminkte und mir das erste Mal knallroten Lippenstift auftrug, wurde die ganze Sache realer. Ich sah in den Spiegel und erkannte mich. Ich wollte von jetzt an für immer in femininer Kleidung und geschminkt herumlaufen, aber wer war ich dann? Und würde ich das wirklich aushalten?
Der Trans*March war wunderbar. Ich sah soo viele Queers und Trans* an diesem warmen, sonnigen Tag und fühlte mich sehr wohl. Angetrieben von den positiven Erfahrungen experimentierte ich weiter herum und stolperte irgendwann über den Begriff nicht-binär. Damit fingen auch Fragen nach körperlicher Veränderung an: Was sollte ich tun, wenn ich meinen Bart nach so vielen Jahren loswerden möchte, aber es mir nicht leisten kann?
Ich müsste Therapie machen. Das wollte ich nicht. Ich redete mit vielen Menschen über ihre Therapieerfahrungen und immer wieder kam neben dem ganzen Mist, den sie über sich ergehen lassen mussten, eine Sache raus: nicht-binär gibt es in der Therapie nicht. Wie sollte ich damit umgehen, wenn meine Trans*geschichte nicht zu der allgemein anerkannten und bekannten Trans*geschichte passt?
Auf dem Weg zur Therapie stelle ich fest, dass ich nicht auf meine Kleiderauswahl geachtet habe. Ich trage ein lockeres, hellblaues T-Shirt, darunter einen Binder15, eine enge Jeans mit eher femininem Schnitt und bronze-glänzende Turnschuhe. In meinem Alltag mag ich dieses Outfit und fühle mich wohl darin. Ich mag die Verwirrung, die ich damit provoziere. Mir gefällt es an bestimmten Tagen eher als queerer boy gelesen zu werden. Aber im Kontakt mit der Therapeutin ist mir dieser Geschlechtsausdruck auf einmal unangenehm und ich mache mir Sorgen, dass ich auf einer imaginären Trans*Skala Punkte verliere, sobald ich mich (so) zeige.
Ich rutsche verunsichert auf dem Kunstledersessel herum und versuche so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mein Outfit zu lenken. Vor allem versuche ich meine Schuhe und meine Hose zu verstecken. Jedes Mal, wenn ich die Beine überschlagen möchte, erinnere ich mich im letzten Augenblick daran, es nicht zu tun. Ich will nicht durch eine feminin konnotierte Körperhaltung noch weniger als trans*maskulin wahrgenommen werden. Um sicherzugehen entscheide ich mich daher für eine eher breitbeinige Pose und reproduziere damit eine normative Vorstellung von Männlichkeit. In den weiteren Sitzungen kontrolliere ich mein Auftreten genauer, bevor ich das Haus verlasse. Manchmal lackiere ich mir lieber noch einmal einen rosafarbenen Fingernagel ab. Manchmal entscheide ich mich dafür, noch einen Binder anzuziehen, obwohl ich mich an diesem Tag mit meinen Brüsten eigentlich ganz ok fühle. Manchmal ziehe ich kurzfristig einen Packer16 an, um mir Bestätigung für meine queere Form von Maskulinität zu geben.
Ich bin nicht abhängig von ihrem Blick, um mich zu sehen. Aber ich bin sehr abhängig von ihren Urteilen über meine Geschlechtsidentität. So wenige normative Vorstellungen, was Trans*sein ausmacht, treffen auf mich zu. Ich möchte kein Risiko eingehen. Ich weiß, dass ich hier durch meine Aussagen, Kleiderauswahl und Körperhaltung beweisen muss, welches Geschlecht ich habe. Und ich weiß, dass Therapeut_innen immer wieder über Kleidung und Körperhaltung Rückschlüsse auf die Geschlechtsidentität einer Person ziehen. Ein anderer Therapeut wird mir Monate später verraten, dass er es positiv vermerkt, wenn Patient_innen einen eindeutig femininen oder maskulinen Geschlechtsausdruck wählen und dementsprechend über einen längeren Zeitraum hinweg in der Therapie erscheinen. Er wird mir sagen, dass er meine Erscheinung positiv bemerkt hat.
Meine Geschichte handelt von einem Jungen, der sich nie so ganz wohlfühlte, aber auch nicht total unwohl, der gerne mit Jungssachen spielte, aber auch mit anderen Sachen, der einen Leidensdruck hatte, aber es nie als im falschen Körper beschrieben hätte.
Meine Geschichte handelt von einer Person, die dachte, dass es nur möglich ist, jetzt eine Frau zu sein, aber sich weder als Mann noch als Frau fühlt(e). Diese Person konnte sich dann mit dem Begriff nicht-binär anfreunden und sich in diesem Wort entspannen, auch wenn es nicht einfach ist. Als die Person diesen Ort gefunden hatte, war sie 26 Jahre alt.
»Hört sich nicht so gut an für die Therapie, hm?«, denke ich.
Mir bleiben also zwei Möglichkeiten: Entweder ich mache keine Therapie und versuche irgendwie so weiterzumachen oder ich würde mich durchlügen und -mogeln.
Es würde mir vermutlich ganz gut helfen, mich mit einer außenstehenden professionellen Person auszutauschen, aber wie soll mir das helfen, wenn ich nicht ehrlich sein darf?
Ich kann nicht entspannt über mein Leben reden, weil ganz viele Dinge nicht passen. Ich würde permanent in mir die Angst spüren, dass ich mich verquatsche. Unter diesem Druck kann ich das nicht.
Diese Person kann mir eine Tür öffnen, um vielleicht irgendwann eine Haarepilation durch die Krankenkasse finanziert zu bekommen. Diese Person bewacht eine Tür zu einem besseren Gefühl mit mir selbst. Sie reagiert auf Codes, die ich nur teilweise kenne. Ich bin von ihr und ihren Urteilen abhängig.
Wie kann ich für nicht-binär-Sein kämpfen, Menschen in Workshops sensibilisieren und empowern und gleichzeitig bei anderen Personen, die standardbinäre Geschichte erzählen? Und somit den einen Trans*weg, wie über trans* Personen gedacht und geredet wird, weiter zementieren? Dabei zieht es sich in meinem Bauch zusammen.
Es ist ein Dilemma. Manchmal tendiere ich in die eine Richtung, manchmal in die andere. Es gibt Tage, da fühle ich mich mit mir ganz gut und andere, an denen ich alles ändern möchte und es nicht mehr aushalte.
Zum Ende der probatorischen Sitzungen vereinbaren wir Therapieziele. An erster Stelle steht das ›Störungsverständnis‹, dahinter kommt als zweitwichtigstes Ziel, die ›Vorbereitung und Begleitung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen‹. Laut ihrer Aussage ist das wichtig für die Krankenkasse und eine Therapie für trans* Personen wird angeblich nur bewilligt, wenn Fragen rund um eine körperliche Transition mit hoher Priorität behandelt werden. Für mich ist es aktuell eine relevante Frage, ob ich demnächst eine Hormontherapie beginnen, also Testo_steron nehmen möchte. Immer wieder habe ich den (schwankenden) Wunsch nach körperlicher Veränderung, um in dieser Gesellschaft weniger als ›Frau‹ eingelesen zu werde.
Dennoch