Skandal um Zille. Horst Bosetzky

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Skandal um Zille - Horst Bosetzky

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unaufgefordert das Zimmer.

      Reinhard Rummler war es gewohnt, dass seine Reporter wie »des Wahnsinns kesse Beute« wirkten, wie es im Volke hieß. Erich Kästner hatte ihm vor kurzem erzählt, dass er an einem Berlin-Roman sitze, Arbeitstitel Fabian, und ihm auch schon daraus vorgelesen. Einige Sätze hatte sich Rummler gemerkt: Hinsichtlich der Bewohner gleicht Berlin längst einem Irrenhaus. Oder: Man halte hier jeden Menschen, mit Ausnahme der Kinder und der Greise, bevor das Gegenteil nicht unwiderleglich bewiesen ist, für verrückt. Rummler hatte mit seinem Kneifer und dem Schnauzbart à la Kaiser Wilhelm eine gewisse Ähnlichkeit mit Theodor Wolff vom Berliner Tageblatt, einzig dessen zur Tolle aufgetürmten Haare fehlten ihm. Die Frisur des Chefredakteurs vom BBB ließ eher an Hindenburg denken.

      »Ich habe eine unglaubliche Geschichte, die wird unsere Zeitung in der Publikumsgunst aufsteigen lassen wie eine Silvesterrakete!«, begann Kowollek das Gespräch.

      Rummler rückte ihm einen Stuhl zurecht. »Sie machen mich neugierig! Setzen Sie sich, Kowollek, und schießen Sie los!«

      Das ließ sich Kowollek nicht zweimal sagen. »Was ist das Süßeste im Leben? Skandal ist immer das Süßeste! Ich habe etwas herausgefunden, das ungeheuerlich ist. Hier …« Kowollek riss ein Photo aus seiner Aktentasche, das Heinrich Zille und Max Liebermann dicht nebeneinander zeigte. »Das ist der Einstieg für meine Recherchen gewesen.«

      »Und?«, fragte Rummler. »Was steckt dahinter?«

      »Die größte Kunstfälschergeschichte, die es je gegeben hat.« Rummler lehnte sich zurück. »Erzählen Sie …«

      »Es geht um Heinrich Zille, den zurzeit populärsten Berliner, Berlins beste Marke sozusagen. Aber …« Kowollek holte noch einmal tief Luft, ehe er richtig loslegte. »Heinrich Zille kann aufgrund seiner zahlreichen Krankheiten und der Depression seit dem Tod seiner Frau im Jahre 1919 schon lange nicht mehr malen und zeichnen. Seit einiger Zeit liegt er nur noch im Bett und starrt an die Decke. Eine Katastrophe für ihn und für alle, die von der Marke Heinrich Zille profitieren. Denn Zille muss weiterhin seine Bilder verkaufen – wovon soll er sonst leben? Seine Freunde haben eine Idee. Max Liebermann, der ein vielseitig begabtes Genie ist, zeichnet und malt nun oben in Zilles Wohnung in der Sophie-Charlotten-Straße reihenweise Zille-Bilder. Die Texte setzt Hermann Frey darunter, der Schlager wie Immer an der Wand lang und Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt? geschrieben hat. Dieses Gespann ist sagenhaft! Die Welt will betrogen sein! Doch nicht genug damit – es gibt Hinweise darauf, dass Firmen, die mit Zilles Auftritten Geld verdienen, Doppelgänger engagiert haben.«

      Rummler war begeistert. »Das ist eine heiße Kiste, Kowollek, bleiben Sie an dieser Geschichte unbedingt dran! Wenn Sie Ihren Verdacht belegen können, kommen wir damit groß heraus. Überschrift: Skandal um Zille! Aber Indizien reichen mir nicht, Kowollek, ich brauche Beweise.«

       Selbstbildnis

      Heinrich Zille lag auf dem Bett und starrte gegen die Decke. Bekleidet war er nur mit einem Nachthemd und langen weißen Unterhosen. Er war zu müde und zu zerschlagen, um aufzustehen und zu den Freunden im Nebenzimmer zu gehen, aber zu wach, um zu schlafen. Er hätte gern an seinen Sohn Hans geschrieben, der Lehrer war und in Vorpommern lebte, aber die Gicht in den Fingern machte es unmöglich, einen Kopierstift zu halten. Schon seit Ewigkeiten hatte Zille keine Nacht mehr durchschlafen können. Die Krämpfe in den Beinen ließen ihn immer wieder auffahren. Sie waren eine Folge seiner Zuckerkrankheit, ebenso wie der Harndrang, der ihn alle zwei Stunden zwang, zur Toilette zu eilen. Ließen ihn diese beiden Quälgeister einmal in Ruhe, dann plagten ihn Schreckensträume. Manchmal sehnte er den Tod herbei, die Erlösung von allem, dann wieder hing er am Leben, denn an ein Dasein nach dem Tode glaubte er nicht. Frömmigkeit war nie seine Sache gewesen. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen ein neues Bild zu zeichnen: Er liegt auf dem Sterbebett – der Sensenmann kommt, ihn zu holen. Darunter würde er schreiben: Kein Zweck, mein Herr, der Zille ist unsterblich. Ein wenig verbittert murmelte er, dass Humor offenbar nicht gegen Krankheit und Altern immun mache.

      In Gedanken formulierte Zille, was er seinem Sohn schreiben wollte, wenn die Schmerzen in den Fingern nachließen:

       Ich bin arm dran, und Sorgen verschiedenster Art drücken mich. Ich werde weiß wohin eingeladen, schreibe ab, werde besucht, lasse mich verleugnen, verkrieche mich, will arbeiten … aber immer schwerer wird’s. Jetzt, da ich alt bin, verstehe ich den Wert des Alters: Ich habe jetzt drei Ärzte. Vorläufig ist nichts Gesundes von mir zu erwarten. Es ist mir auch egal … Ich kann nicht mehr die Treppen laufen. Bin müde … müde … müde. Ich lass mich aber nirgends hinholen, leb in meiner Stube mit meinen vier Piepmätzen. Mir fällt schreiben schwer. Es gehen so viele von mir, die noch jünger sind, dass ich mich wundere, warum sie mich nicht mitnehmen.

      Draußen an der Wohnungstür drückte jemand auf den Klingelknopf. Er zuckte zusammen. Hoffentlich nicht noch mehr Besuch! Es reichte doch schon, dass Max Liebermann und Hermann Frey nebenan saßen und warteten, bis es ihm besserging.

      Frau Riethmüller kam herein, die Nachbarin, die ihm die Wirtschaft führte, seit seine Schwiegertochter erkrankt war.

      »Draußen steht ein älteres Ehepaar, und die Frau behauptet, Sie gut zu kennen.«

      Zille richtete sich ein wenig auf. »Wer isset denn?«

      »Sie sagt, sie hätte unter dem Namen Senta Söneland mit Ihnen Bekanntschaft gemacht.«

      »Richtig, ick hab se mal jemalt. Die hat auch vor da letzten Fülmprämjere wat Berlinischet jesungen. Imma rin mit die beeden!«

      Senta Söneland, inzwischen 46 Jahre alt, stand in der Zimmertür. An ihrer Seite hatte sie einen erheblich älteren Mann, den ehemaligen Offizier und nunmehrigen Direktor der Horch-Werke Karlernst Krocker.

      »Dürfen wir eintreten, Herr Professor?«

      »Nenn mir nich Professor, nenn mir Heinrich.«

      »Jut, mach ick.«

      Zille erhob sich überraschend behende von seinem Lager und begrüßte die Schauspielerin mit einer herzlichen Umarmung, während es bei Direktor Krocker nicht mehr wurde als ein Händedruck.

      Die Söneland holte ein dickes Paket aus ihrem Einkaufsnetz.

      »Ham wir dir mitgebracht, statt Blumen. Ein Stück Hasenbraten. Hat mein Mann selba jeschossen – und ooch jebraten.«

      »Danke, Herr Major!«, rief Zille.

      »Die Zeiten sind vorbei …«

      »Major war’n Se aba, als wa uns det erste Mal jesehn ham, in eem Weinlokal.« Zille konnte sich noch genau daran erinnern. Senta Söneland und er hatten in einer Jury des Acht-Uhr-Abendblattes gesessen, um die beste Bezeichnung für den neuen Verkehrsturm am Potsdamer Platz zu prämieren. »Die Mehrzahl war für ›Oberkieker‹, aber die andern ham mächtich jemeckert. Det jute Essen hat uns jetröstet – nur ick hatte Schwierigkeiten, mein Huhn mit Messa und Jabel zu zerleg’n.«

      Krocker gab sich ein wenig von oben herab. »Unseren Hasenbraten dürfen Sie gern mit den Fingern essen – wenn Sie allein sind.«

      »Bring det mal in die Küche!«, sagte Senta Sönland zu ihrem Mann.

      Zille sah sie an. »Nee,

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