Kaufhausgeflüster und andere Geschichten. Hannelore Crostewitz
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Cordula glaubte fast, Jasmin aus ihren Gedanken verdrängt zu haben, da meldete sich diese telefonisch. »Sag’, ist es möglich, dass wir uns treffen?« Und ob. Schneller hatte Cordula selten einen Termin freigeschaufelt. Umso enttäuschter war sie danach. Endgültig, so musste sie bilanzierend feststellen, ist diese Freundschaft als erledigt abzutun. Ihr Körper bebte geradezu, weil er über soviel Unverfrorenheit nicht fertig werden konnte. Sie atmete tief und ließ alles noch einmal an ihr vorbeiziehen …
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr dazu gekommen war, zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. So entsetzt, so erbost war sie darüber, dass der beiläufig mitgebrachte Vertreter, der sicher Jasmins neuer Arbeitgeber ist, ihr ohne Skrupel einen Versicherungsvertrag aufschwatzen wollte. »Pfui, Teufel«, schimpfte sie laut vor sich hin und in die Trauer über die verlorene Freundschaft mischte sich eine gehörige Portion Zorn.
Jahre später, in denen sich für Cordula neue und beständigere Freundschaften gebildet hatten, war sie noch immer auf derselben Arbeitsstelle geblieben. Heute erlebte sie beim Dekorieren ihrer Figuren etwas Eigenartiges. Es geschah auf einem Podest im Innenraum des Warenhauses, unmittelbar an der Rolltreppe. Da beobachtete sie einen kleinen Jungen, der ihr viel Spaß bereitete. Neugierig schaute er ihr zu und stellte schon bald viele Fragen, die alle mit »Warum?« anfingen, so dass auch sie sich nach einer Weile herausgefordert sah, ihn zu necken. Erst nur ein wenig, dann etwas heftiger. Aber wie verschlug es ihr die Sprache, als der Kleine ihr herzhaft ins Gesicht lachte. So ausdauernd, so kraftvoll, dass sie eine Gänsehaut bekam. Das gab es doch gar nicht! Der Kleine konnte nicht aufhören! Und sie stand da, gelähmt, unfähig, etwas zu sagen oder zu tun.
Sich aufrichtend ließ sie den Blick über die gesamte Etage schweifen und erblickte weiter hinten die große, nun frauliche Gestalt mit dem noch immer fülligen schwarzen Haar. Mit einem leichten Stups schickte sie den lachenden Jungen zu seiner Mutter.
Gut verpackt
Äußerliche Auffälligkeiten? Diese gab es an ihm kaum und das fand er ärgerlich. Nein, er fand es deprimierend, der etwas klein geratene, beinahe schmächtige Mann. Ungezählt viele hoffnungslose Tage hatte er, die ihn nicht recht in Gang kommen ließen. Es war aber, als wollte seine Stimme den Mangel an figürlicher Größe ausmerzen und dazu hatte sie eine spektakuläre Höhe erklommen. Diese sonderbare Kombination – zu kleiner Mann mit zu hoher Stimme – geriet innerhalb des Kollegenkreises wiederholt ins belächelte Abseits. Nur zu gern hätte seine Stimme all das verhindert, doch wusste sie nicht wie. So rannte sie, als renne sie vor sich selbst davon, verhaspelte sich dabei und endete regelmäßig in rasanten Überschlägen.
Da der Veränderung dieses Umstandes einfach nicht beizukommen war, gab sich der unscheinbare Mann in all seinem Tun außerordentlich viel Mühe. Seinem Wunsch, dies über nobel konservative Kleidung zu erreichen, stellte er immerfort einen zu großen Rahmen zur Verfügung, sowohl in zeitlicher Ausdauer, als auch im finanziellen Vermögen. Und wirklich: Diese Mühen machten ihn durchaus tageslichttauglich. Noch niemals, auch nicht bei seinem Eintritt in die Firma, in das große Städtische Kaufhaus, war ihm das wichtiger gewesen als heute. Hatte er sich doch nun ein Mädchen auserwählt, eines, das ihn schon seit Monaten beflügelte und ihm unaufhörlich seine Gedanken durcheinanderwirbelte, nur – jene holde Weiblichkeit nahm keinerlei Notiz von ihm. Das brachte ihn fast um! Unermesslich war das Ausmaß seiner Sehnsuchtsträume und mehr und mehr wuchs mit ihr eine Vorstellungskraft, die ihn gerade nachts heimsuchte. Seit neuestem sah er sich im Traum sogar schon als Model! Von allen, selbst weniger gut Gesonnenen bewundert! Er trug die brandneuesten Kollektionen im Schlafe, schon bevor sie erschienen. Hatte sich längst vor aller Augen auf dem Laufsteg hin und her wandeln sehen, Jacken öffnend, sich umdrehend und manchmal auch mit jenem, seinem erträumten Mädchen am Arm. Immer wieder aber wachte er ernüchtert und mit heißbegehrendem Wunsch auf, ergebnislos. Stattdessen verbrauchte er, stets schweißgebadet, ein reichhaltiges Sortiment Nachtwäsche. Völlig gestresst stieg der Träumer jeden Morgen in den guten Anzug, ging gewohnheitsgemäß auf Arbeit, sah die Ersehnte erneut und hätte sie am liebsten angefleht, konnte aber seine Stimme meist im letzten Moment noch maßregeln.
Doch gab er nicht auf. Wollte er sie für sich gewinnen, musste er etwas finden, womit sie zu beeindrucken wäre. Die vorläufigen, eher belanglosen Wortwechsel, die sie immer wieder miteinander führten, genügten ihm natürlich nicht. Sie peinigten ihn. Dann, nachts, fragte es in ihm: Soll das alles gewesen sein? Und das Gefühl, ihr nicht groß, nicht wert genug zu sein, kroch schmerzlich an ihm hoch. Woran auch sollte sie in ihm den unübersehbaren Aufsteiger erkennen? Und jeder neue Arbeitstag, an dem er sie in seiner Nähe wusste, machte ihn konfus. Verzweifelt sann er darüber nach, was zu tun sei, um ihr ein nachhaltiges, entscheidendes Erlebnis zu bieten. Eines Tages und ohne dass ihm der Zeitpunkt bewusst war, entschloss er sich, alles auf eine Karte zu setzen.
Die feenhaft langhaarige Blonde stand, wie ein Bild, angelehnt an einer Säule zwischen den Verkaufsständen und schaute zu ihm herüber. Ja, er täuschte sich nicht, sie schaute zu ihm herüber. Jetzt oder nie, spornte er sich an. Denn es war Aktionstag. Aktionstag aller Hartschalenkoffer seiner geliebten Markenfirma. Das musste den Kunden beigebracht werden, es sollte einschlagen, sie überzeugen, sie mussten weggehen wie warme Semmeln, die Koffer. Wegen ihr. Er wagte einen zweiten Blick in jene Richtung, ja, er konnte sich ihrer Anwesenheit immer noch gewiss sein. Sie stand an der Säule. Da griff er zum Mikrofon: »Meine Damen und Herren, haben Sie heute schon mal vor Ihre Türe geschaut? Nein? Noch nicht? Da steht er nämlich. Wer? Ihr lang ersehnter Urlaub, den Sie sich so verdient haben. Ich weiß zwar nicht, wohin Sie fahren werden, aber eines ist sicher: Sie brauchen dazu einen Koffer. Nicht den, den Sie zu Hause verstaubt irgendwo in einer Ecke finden, nein, Sie brauchen einen optischmodischen Koffer, einen, der Akzente setzt und der Ihrem Urlaub gewachsen ist. Einen, auf den Sie sich unbedingt verlassen können, einen, der nur zu Ihnen passt. Sie verstehen nicht, was ich meine? Ich werde es Ihnen zeigen!«
Rasch trug er mehrere Koffer sichtbar guter Qualität zusammen. Er wählte gezielt verschiedene Farben, dass es ihm selbst so vorkam, als strahle ihn der Stapel an. Alles schichtete er gekonnt übereinander, denn es galt mit seinem selbst erdachten Härtetest zu beweisen, dass alle diese Koffer in punkto Haltbarkeit unübertroffen wären. Dafür musste er, um nötige Höhe zu gewinnen, sich die Kundentreppe zu Nutze machen. Aufgeregt, aber mit ganzem körperlichen Einsatz und dem Mikrophon noch in der Hand, vollführte er von dort aus, von den mittleren Stufen, einen ersten schwungvollen Sprung und landete – er hielt die Luft an – genau inmitten aller ihn erwartenden Koffer. Sie waren ihm gefällig, es gelang. Die Koffer blieben heil. Die Kunden blieben stehen.
Beim zweiten Mal war sich der kleine Mann gewiss, auch das Vertrauen des himmlischen Herrn erworben zu haben, und setzte daher seine Aktion verstärkt fort. Er stieg noch eine Stufe höher. »Hätten Sie das für möglich gehalten? Mit diesen Koffern kann Ihnen keiner was, ich garantiere Ihnen, die halten lebenslang, schauen Sie, die überleben Sie sogar!«. Mit diesem Satz stand er, einem Steh-auf-Männchen gleich, schon wieder fest mit beiden Beinen neben den Koffern. Sich offenbar einem Ritual bewusst, drehte er sich um, lief schleunigst um die heruntergefallenen Koffer herum, die einen großen Kreis hatten entstehen lassen und stapelte sie erneut auf. Er wagte nach dem zweiten sofort den dritten Versuch. Und diesmal krachte es donnergleich. Das Mikro, das er fest umklammerte, verbreitete das Krachen verstärkt. Was für ein aufsteigendes Geräusch in sämtliche Etagen hinauf! Wieder war das Ergebnis höchst beeindruckend: Die Koffer waren willig, spielten mit, blieben heil. Die Kunden standen still.
Inzwischen