Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31. Группа авторов

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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31 - Группа авторов

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Autorinnen und Autoren

       Fußnoten

       Vorbemerkung der Redaktion

      Es steht nicht schlecht um die Kritische Theorie – zumindest aus verlegerischer und bibliothekarischer Perspektive. Mittlerweile erscheint schon die dritte Werkausgabe Walter Benjamins, Adornos Vorlesungen und die bislang unveröffentlichten Schriften kommen nach und nach auf den Markt und Kracauers Werkausgabe soll nun endlich vervollständigt werden, nachdem sie Jahrzehnte lang einen Torso bildete. Marcuses Nachgelassene Schriften sind erschienen, Horkheimers und Löwenthals Schriften liegen schon seit längerer Zeit vor und diverse Briefausgaben der Autoren kommen noch hinzu. Die Lage – das heißt die Editionslage – in Bezug auf die erste Generation der Kritischen Theorie kann sich sehen lassen. Die Kritische Theorie ist aus den Bibliotheken nicht mehr wegzudenken.

      Sind diese erfreulichen Entwicklungen der einzige Maßstab für die Einschätzung der aktuellen Lage der Kritischen Theorie? Natürlich nicht. Denn erst die Einbindung der Theoreme der genannten Autoren in die derzeitigen intellektuellen Auseinandersetzungen kann ein Maßstab dafür sein, ob die in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entwickelte Theorie in der Gegenwart lebendig ist. Und hier fällt die Bestandsaufnahme unterschiedlich aus, je nachdem, um welche Themen es geht und welche Fächer involviert sind. Ästhetische Debatten kommen heute ohne Adorno und Benjamin nicht mehr aus, aber die theoretische Aufarbeitung der – soeben an der Oberfläche überwundenen – Krise der kapitalistischen Finanzwirtschaft greift kaum mehr auf marxistisch beeinflusste, kapitalismuskritische Gedankengänge zurück.

      Zu erkennen ist außerdem eine Tendenz, die Kritische Theorie in einen Zusammenhang mit anderen theoretischen Zugängen zu stellen und neue Wege der gegenseitigen Befruchtung zu erproben. Diese Hybridisierung der Theorie kann im Eklektizismus enden, sie kann aber auch stimulierend wirken. Ermutigend ist immerhin, dass viele jüngere Intellektuelle an den Grundorientierungen der Kritischen Theorie festhalten. Es gibt also nach wie vor eine lebendige Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der Kritischen Theorie. Dies dokumentiert nicht zuletzt das vorliegende Doppelheft, das aufs Neue ein Forum für Beiträge arrivierter und jüngerer Autoren bietet, die in wissenschaftlich fundierten Abhandlungen und aktuellen Einlassungen eine abermalige Positionsbestimmung kritischer Theorie vornehmen.

      Die Reihe der Abhandlungen eröffnet Shierry Weber Nicholsen, eine der besten US-amerianischen Kennerinnen von Adorno, die über verschiedene Aspekte von Adornos Theorie publiziert und mehrere seiner Werke ins Englische übersetzt hat. Sie rekonstruiert die Dimension der Gewalt in Adornos Theorie der ästhetischen Erfahrung. Ausgehend von einer Lektüre der Ästhetischen Theorie weist Nicholsen nach, dass das kunstrezipierende Subjekt ästhetische Gewalt erfahre, die aus dem Schockcharakter der Kunstwerke hervorgehe. Die Erschütterung, die die Werke verursachten, sei vor allem eine Kraft der Negation. Das in der verwalteten und kulturindustriell durchsetzten Gesellschaft verstümmelte Subjekt werde durch diese ästhetische Gewalt aus seinen Alltagssicherheiten heraus in etwas anderes hineingerissen. In der Auseinandersetzung mit dem Werk verändere es sich. Die Erschütterung rufe immer die Dimension des Todes mit auf, aber auch – negativ – die Möglichkeit der Versöhnung.

      Susanne Lettow führt Diskurse aus der postkolonialen Theorie und der Globalgeschichte in die Rekonstruktion der Geschichte der Philosophie ein. Sie untersucht die Theorie der Entstehung der Menschenrassen als globale Wissenschaftsgeschichte und verfolgt den Rassenbegriff bei Forster und Kant als Grundlegung einer Vorstellung von Vererbung in der Biologie und den Humanwissenschaften. Dabei gibt sie eine überzeugende Erläuterung der kantischen Vorstellung von einer Naturgeschichte, die in der späteren Begrifflichkeit von Benjamin und Adorno eine wichtige Rolle spielt. Ihr Beitrag knüpft damit an Andreas Greierts Aufsatz über Benjamins Rezeption von Kants Geschichtsphilosophie aus Heft 26 / 27 (2008) an.

      Hans-Ernst Schiller untersucht Freuds Konzept des Individuums. Er zeigt, wie dessen Individuationstheorie an jenem Punkt überindividuelle Muster aktualisiert, an dem auf individueller und stammesgeschichtlicher Ebene unbewusste Prozesse ins Spiel kommen. Schiller diskutiert, in welchem Maße die Thematisierung der kollektiven Dimensionen Freud in die Diskursmuster seiner Zeit verstrickt. Er deckt aus philosophischer Sicht die Problemstellen des Gedankengangs insbesondere unter ethischen und sozial-normativen Aspekten auf. Seiner Argumentation liegt der begründete Hinweis auf Freuds Vernachlässigung des moralphilosophischen Wahrheitsanspruchs zugrunde. Von dort aus formuliert Schiller eine Kritik an Freuds Biologismus. Er zeigt in Detailanalysen, wo dieser sich in Widersprüche verwickelt oder hinter den Stand der philosophischen und historischen Reflexion zurückfällt – so insbesondere anhand der These von der erblichen Weitergabe kulturell erworbener Faktoren, die insbesondere Freuds Diskussion des Judentums problematisch macht.

      Patricia Lavelle nimmt eine Engführung von Kant und Benjamin vor. Vor dem Hintergrund des Erfahrungsbegriffs aus Kants Kritik der Urteilskraft liest sie Benjamins Texte über Erfahrung – insbesondere den Entwurf eines philosophischen Systems »Über die kommende Philosophie« – konsequent aus kantischer Perspektive. Sie zeigt, dass Benjamin – aus heutiger Sicht – eine Mittelstellung zwischen der analytischen Philosophie, die den historischen Charakter der sprachlichen Darstellung vernachlässigt, und der Heidegger-Derrida-Schule, die ihn ontologisch verabsolutiert, einnimmt.

      Hans Marius Hansteen liest Adorno unter rhetorischen Gesichtspunkten. Ausgehend von Adornos »Der Essay als Form« zeigt er im Rekurs auf Demirovic, Schmid Noerr und Früchtl, wie Adorno in seinen Texten gezielt tropische Figuren und ein antithetisches Konstruktionsprinzip anwendet, um den verhandelten Phänomenen in seiner Denkform gerecht zu werden. Hansteen demonstriert, dass Adorno damit die spätere Kritik eines performativen Selbstwiderspruchs bereits in der Konstruktionsphase seiner Texte unterlaufen hat. Der Autor gibt zudem einen exemplarischen Einblick in die aktuelle Rezeption der Kritischen Theorie in Norwegen.

      Eine philologisch motivierte, philosophisch-darstellungstheoretische Auseinandersetzung mit den Werken Antonin Artauds unternimmt Timo Ogrzal. Dabei zeigt er, dass Artauds Sprachtheorie eng an verwandte Fragestellungen bei Benjamin und Adorno anschließt, vor allem aber, dass es eine transmediale Dynamik im Denken aller drei Sprachtheoretiker gibt, in der gerade durch die medialen Differenzen hindurch eine Verbindung etabliert und ausgetragen wird. Diese Verbindung, auf die alle drei Sprachkonzepte rekurrieren, gehört wesentlich dem Bereich der Musik an.

      Der Aufsatz von Frank Jablonka gibt, ausgehend von Goethe und Marx, einen Überblick über zahlreiche Facetten einer Ideengeschichte der Magie. Kabbala, Alchemie und Paracelsus werden ebenso beleuchtet wie C.G. Jung und die Ethnopsychologie; weitere Stationen sind die poststrukturalistische Theorie des Simulakrums, Bourdieus Reflexionen über Herrschaft und Magie, Negts Faust-Interpretation und Habermas’ Diskussion des magisch-vorrationalen Weltbilds sowie Haugs Lesart der Magiekritik im Kapital. Der Autor rekonstruiert den magie- und mythenkritischen Zugriff der marxschen Theorie im Sinne einer Dialektik der Naturbeherrschung. Er vertritt die These, dass es eine Wahlverwandtschaft zwischen Magie und dialektischer Kritik der Rationalität gibt und versucht eine Perspektive aufzuzeigen, in der Impulse einer – nicht abstrakt negierten – Magietradition dem Projekt menschlicher Emanzipation zugute kommen könnten.

      Ein Gespräch über die aktuelle Positionierung der Kritischen Theorie führte Dennis Johannßen mit Martin Jay, der seit seinem Standardwerk über die frühe Geschichte des Instituts für Sozialforschung – The Dialectical Imagination aus dem Jahre 1973 – zu den führenden Kennern der Kritischen Theorie in den USA gehört. Jay registriert ein wachsendes Interesse an der Kritischen Theorie in den USA, vor allem aber ist er davon überzeugt, dass die Kritische Theorie für die Reflexion auf die derzeitige gesellschaftliche Situation unabdingbar sei.

      Claus-Steffen

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