Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31. Группа авторов

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Zeitschrift für kritische Theorie / Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 30/31 - Группа авторов

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zur Anthropologie ergänzt wurden. Der Text beginnt damit, dass Kant unter Bezug auf Reiseberichte einen in den Forschungsexpeditionen weltumfassend gewordenen europäischen Erfahrungshorizont aufruft. Kant zieht Beschreibungen von verschiedenen Forschungsreisenden und Missionaren heran, die im ausgehenden 18. Jahrhundert unter dem gebildeten Publikum zirkulierten. Dabei erstellt er eine Art globaler Kartografie der menschlichen Bevölkerungen. Anhand eines kategorialen Schemas von vier Rassen unternimmt Kant eine »Einteilung der Menschengattung«, das heißt eine Zuordnung der Bevölkerungen der verschiedenen Kontinente zu diesen Kategorien.

      »Zu der erstern [Rasse], die ihren vornehmsten Sitz in Europa hat«, so Kant, »rechne ich noch die Mohren (Mauren von Afrika), die Araber […], den türkisch-tartarischen Völkerstamm, und die Perser, imgleichen alle übrigen Völker von Asien, die nicht durch die übrigen Abteilungen namentlich davon ausgenommen sind. Die Negerrasse der nordlichen Halbkugel ist bloß in Afrika, die der südlichen (außerhalb Afrika) vermutlich nur in Neuguinea eingeboren […], in einigen benachbarten Inseln aber bloße Verpflanzungen. Die kalmuckische Rasse scheint unter den Choschotischen am reinsten, unter den Torgöts etwas, unter den Dsingorischen mehr mit tartarischem Blute vermischt zu sein, und ist eben dieselbe, welche in den ältesten Zeiten den Namen der Hunnen, später der Mungalen (in weiter Bedeutung) und jetzt der Ölöts führt. Die hindastanische Rasse […]«14.

      In Kants Text häufen und vervielfältigen sich die Unterscheidungen und Bezeichnungen. »Die größte Schwierigkeit« besteht für ihn denn auch, wie er schreibt, darin, angesichts der »Mannigfaltigkeit der Rassen auf der Erdfläche«, einen »Erklärungsgrund« zu finden – nicht unbedingt für die Mannigfaltigkeit überhaupt, sondern für ihre spezifischen Formen und Verteilungen. Es bedarf, so Kant, einer Erklärung dafür, »dass ähnliche Land- und Himmelsstriche doch nicht dieselbe Rasse enthalten, dass Amerika in seinem heißesten Klima keine ostindische, noch viel weniger eine dem Lande angeborne Negergestalt zeigt, dass es in Arabien oder Persien kein einheimisches indisches Olivengelb gibt, ungeachtet diese Länder in Klima und Luftbeschaffenheit mit jenem Lande sehr übereinkommen«15. Indem Kant auf diese Art und Weise Klimata, geografische Lagen und Bevölkerungen vergleicht, konstituiert er sie als globale. Der Erklärungsanspruch, unter den Kant die verschiedenen Bevölkerungen subsumiert, situiert sie in einem globalen Zusammenhang. Dabei führt Kant zudem Prozeduren und Praktiken der kolonialen Mobilisierung von Menschen und der Neuzusammensetzung von Bevölkerungen an, wenn er von den »Verpflanzungen (Versetzungen in andere Landstriche)« und von den »Vermischungen« der Menschen in der Fortpflanzung spricht.16 Die Gewaltverhältnisse, in denen diese Praktiken stattfinden, bleiben dabei außer Acht. Vielmehr entwickelt Kant eine Kombinatorik der »Vermischungen«, die dem Castas-System, das in den spanischen und portugiesischen Kolonien die Verteilung von Rechtstiteln ausgehend von Unterschieden der Hautfarbe regelte,17 sehr nahe kommt: »Der Ostindianer gibt durch Vermischung mit dem Weißen den gelben Mestizen, wie der Amerikaner mit demselben den roten, und der Weiße mit dem Neger den Mulatten, der Amerikaner mit demselben den Kabugl oder den schwarzen Karaiben«18. Auch hierbei öffnet sich ein Horizont, in dem die diversen Bevölkerungen gleichzeitig als heterogen und transkontinental kommensurabel erscheinen.

      Dabei artikuliert Kant, was in den Prozessen kolonialer Expansion, der Mobilisierung und Klassifikation von Bevölkerungen praktisch konstituiert wurde: eine eurozentrische Form von Globalität. Diese wurde um 1800 durchaus reflektiert. Georg Forster, der sich zu Beginn der 1790er Jahre Gedanken über die im Entstehen begriffene »neue Epoche« macht, schreibt zum Beispiel: »Der Zeitpunkt nähert sich mit schnellen Schritten, wo der ganze Erdboden dem europäischen Forschergeiste offenbar werden und jede Lücke in unseren Erfahrungswissenschaften sich, wo nicht ganz ausfüllen, doch in so weit ergänzen muß, daß wir den Zusammenhang der Dinge wenigstens auf dem Punkt im Äther den wir bewohnen, vollständiger übersehen können«19. Deutlich kommt bei Forster zum Ausdruck, dass also jene Perspektive, die auf »den ganzen Erdboden« gerichtet ist, und mit dem Anspruch einer lückenlosen Erfassung der Welt einhergeht, von einem spezifischen »Punkt im Äther«, Europa, ausgeht und auf ihn zuläuft.

      Als Teilnehmer der zweiten Südsee-Expedition unter James Cook ist Forster dabei selbst ein Protagonist der Globalisierungsprozesse um 1800.20 Die Resolution, so der Name des Schiffes, kommt beladen mit »mehreren tausend Naturalien«21 nach England zurück. Was nicht in gegenständlicher Form transportiert werden kann, wird gezeichnet und beschrieben und also auf diese Weise dem europäischen Wissen und Imaginären zugänglich gemacht. In seinem Bericht Reise um die Welt (1777), der zwei Jahre nach der Rückkehr erschien, berichtet Forster zum Beispiel vom Kap der guten Hoffnung: »In dem Pflanzenreiche herrscht hier eine verwundernswürdige Mannigfaltigkeit. Ohngeachtet wir uns gar nicht lange allhier aufhielten, fanden wir dennoch verschiedne neue Arten […]. Das Thierreich ist verhältnismäßig ebenso reich«22. Ausführlich beschrieben wird zum Beispiel »eine Art wilder Ochsen, welche von den Eingebohrnen Gnu genannt werden« und von denen ein Exemplar »für die Menagerie des Prinzen von Oranien lebendig nach Europa verschickt worden ist«23. Im Innern von Afrika, in dessen »fast noch ganz unbekannten Theilen«, schließt Forster, gebe es zudem noch weitere »große Schätze für die Natur-Wissenschaft«24. Im Zentrum von Forsters Interesse steht allerdings das Wissen über die verschiedenen menschlichen Bevölkerungen. Es sei seine Absicht gewesen, heißt es im Vorwort zur Reise um die Welt, »die Natur des Menschen so viel wie möglich in mehreres Licht zu setzen«25. Dieses Interesse teilt Forster mit einer ganzen Reihe zeitgenössischer Wissenschaftler und Philosophen, die sich im 18. Jahrhundert mit Klassifikationen, Differenzierungen und Erklärungen für die Diversität innerhalb des Menschengeschlechts befassen. Er teilt dieses Interesse insbesondere mit Kant, mit dem er diesbezüglich eine schriftliche Kontroverse führen wird.

      Mannigfaltigkeit und Ordnung: Der Begriff der Rasse

      Kants Versuch, einen »Erklärungsgrund« für die globale Mannigfaltigkeit von Bevölkerungen zu finden, mündet in eine Definition des Begriffs der Rasse. Kant bestimmt einen Ausdruck, der in den zeitgenössischen Debatten zwar zirkulierte, aber weder einheitlich gebraucht wurde noch unumstritten war.26 Unter Bezug auf Buffons Begriff der Spezies, demzufolge sich eine solche dadurch auszeichnet, dass ihre Angehörigen miteinander fruchtbaren Nachwuchs zeugen können, sucht Kant nach einem Konzept, das es erlaubt, Unterschiede innerhalb einer Spezies zu artikulieren. Die begriffliche Innovation besteht dabei darin, dass Kant den Ausdruck »Rasse« mit dem der Vererbung verbindet. Damit verleiht er beiden eine neue Bedeutung, denn auch der Ausdruck »Vererbung« wurde vor Kant nur unspezifisch und zumeist im juristischen Kontext verwendet. Kant aber verleiht in seiner Verknüpfung von »Rasse« und »Vererbung«, wie nicht zuletzt Hans-Jörg Rheinberger und Staffan Müller-Wille gezeigt haben, beiden Konzepten eine naturtheoretische Bedeutung.27 »Rasse«, so schreibt Kant, seien jene »Abartungen, d.i. erblichen Verschiedenheiten der Tiere, die zu einem einzigen Stamme gehören […], welche sich sowohl bei allen Verpflanzungen (Versetzungen in andere Landstriche) in langen Zeugungen unter sich beständig erhalten also auch in der Vermischung mit anderen Abartungen desselben Stammes jederzeit halbschlächtige Junge zeugen«28. Damit stehen nicht nur – in der Rede von Verpflanzungen und Vermischungen – Prozesse der globalen Mobilität von Menschen im Zentrum von Kants neuem Begriff. Mit dem Konzept des Stammes bzw. der Stammrasse führt Kant zudem eine universalistische Dimension ein, die durch den Begriff der Rasse zugleich in Frage gestellt und stabilisiert wird. Kant zufolge verhält es sich nämlich so, dass eine ursprüngliche Stammrasse – zu der die Europäer eine besondere Nähe aufweisen29 – sich in vier verschiedene Rassen ausdifferenziert hat. Kant geht davon aus, dass es in einem ursprünglichen Stamm »Keime« gegeben habe, in denen, wie es heißt, »die Anlagen zu aller dieser klassischen Verschiedenheit notwendig haben liegen müssen, damit er zu allmählicher Bevölkerung dieser verschiedenen Weltstriche tauglich sei«30.

      An diesem Punkt, nämlich in Hinblick auf die Annahme einer gemeinsamen Abstammung aller Menschen, widerspricht Forster, der den Begriff der Rasse insgesamt für »entbehrlich« hält.31 Forster hatte in der Reise um die Welt zunächst mit klimatheoretischen Erklärungen für die Diversität menschlicher Bevölkerungen argumentiert, indem er zum Beispiel die Hautfarbe durch die Stärke der Sonneneinwirkung

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