Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch. Peter Langer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch - Peter Langer страница 16
Was war das Programm der politischen Rechten im Kaiserreich? Sie stand für die aberwitzige Flottenrüstung und nahm dafür die Konfrontation mit England in Kauf; sie trieb 1913 die Vergrößerung des deutschen Heeres voran und löste dadurch sofort vermehrte Rüstungsanstrengungen in Frankreich und Russland aus; sie opponierte in den Vorkriegskrisen gegen alle Versuche der Verständigung auf diplomatischem Wege und heizte dadurch die Kriegs-Hysterie in der Öffentlichkeit an; sie betrieb im Interesse der ostelbischen Junker und der Schwerindustrie eine Hochzollpolitik und erschwerte dadurch zusätzlich eine Verständigung mit den benachbarten Großmächten; sie setzte in den Betrieben rigoros den Herr-im-Haus-Standpunkt der Unternehmer durch; sie blockierte eine Wahlrechtsreform, auch des völlig anachronistischen preußischen Drei-Klassen-Wahlrechts, und verhinderte damit die längst überfälligen Schritte der Demokratisierung und Parlamentarisierung des modernen Industriestaates Deutschland. Durch seine aktive Unterstützung ausschließlich des rechten Flügels der Nationalliberalen, durch sein nachdrückliches Eintreten für das Bündnis mit den agrarischen Junkern und durch seinen entschiedenen Kampf gegen alle gemäßigten Bestrebungen im bürgerlichen Lager übernahm Reusch die Mit-Verantwortung für die Katastrophe, in die die Politik der kaiserlichen Regierung und der sie antreibenden oder unterstützenden Rechtskreise führte.
Die Hasardeure in der kaiserlichen Regierung und in der Generalität hofften auch, die wachsenden sozialen Spannungen durch Anheizen der nationalistischen Emotionen, durch eine aggressive „Weltpolitik“, in letzter Konsequenz durch einen Krieg, nach außen ableiten zu können. Solche Gedankengänge waren auch Reusch nicht fremd, musste er sich doch schon im März 1912 mit einem Bergarbeiterstreik auseinandersetzen – kaum dass der Arbeitskampf mit den Angestellten ausgestanden war und nur wenige Wochen, nachdem die Sozialdemokraten die Reichstagswahlen gewonnen hatten.
Zuvor jedoch feierte die Stadt Oberhausen ihren fünfzigsten Geburtstag, und Reusch reihte sich als prominentester Industrieherr der Stadt in die Reihe der Gratulanten ein.
Die lokale Verankerung
Es gibt keine Ton-Aufnahmen von Paul Reusch, aber die Vermutung liegt nahe, dass ihn sein süddeutscher Akzent immer sofort als Nicht-Preußen verriet. Dies würde zumindest ansatzweise seinen pathetisch zur Schau getragenen Lokalpatriotismus und die übereifrigen Loyalitätsbekundungen zum preußisch-deutschen Kaiserreich erklären. Unmittelbar nach seiner Ernennung zum neuen Vorstandsvorsitzenden, noch vor seinem offiziellen Dienstantritt in dieser Funktion verlegte der eben vierzigjährige Paul Reusch seinen Wohnsitz nach Oberhausen und brachte damit klar zum Ausdruck, wem er in der Konkurrenz mit Sterkrade den Vorzug gab.
Abb. 5:Paul Reuschs Wohnhaus Lipperfeld 3, StA Oberhausen
Damit waren bereits im Kaiserreich die Weichen gestellt für die Eingemeindung von Sterkrade und Osterfeld zwanzig Jahre später. In der Konkurrenz der Nachbarstädte ging es zunächst lediglich um zusätzliche Industrieflächen für die GHH am Ufer des Rhein-Herne-Kanals. Paul Reusch beanspruchte den sogenannten Grafenbusch am Nordufer des Kanals für neue Werksanlagen und setzte sich gegen heftige Proteste aus Sterkrade durch. Dadurch schrumpfte der Anteil Sterkrades am Nordufer des Kanals auf magere 1.700 Meter. Aber neue Arbeitsplätze entstanden für die Sterkrader nicht; weder ein neues Werk noch ein Werkshafen wurde auf der „Landzunge“ gebaut. Noch 1913 war der Grafenbusch nördlich des Rhein-Herne-Kanals so ausgedehnt, dass die führenden Herren der GHH dort auf die Pirsch gehen konnten. Im Dezember 1913 lud Paul Reusch Paul de Gruyter, ein Mitglied des Aufsichtsrates, dorthin zur Jagd ein; als Treffpunkt schlug er die Emscherbrücke auf der Straße von Oberhausen nach Sterkrade vor.150
Nach der Verdrängung vom Nordufer des Kanals war die Verleihung der Stadtrechte an die Gemeinde Sterkrade nur ein schwacher Trost.151 Reusch hatte sich persönlich intensiv um die Sache gekümmert. Er war gemeinsam mit Bürgermeister zur Nieden zum Regierungspräsidenten nach Düsseldorf und zu anderen zuständigen Behörden gefahren. Auf Reuschs Drängen ließ sich der Regierungspräsident im Dezember 1912 sogar dazu herab, eine Besichtigungsfahrt in Sterkrade durchzuführen. Als besonderer Gunsterweis wurde es bei dieser Gelegenheit registriert, dass Reusch dem Bürgermeister ein Automobil zur Verfügung stellte.152
Im öffentlichen Leben der Stadt Oberhausen trat der junge Vorstandsvorsitzende als strammer Nationalist in Erscheinung. In einer viel beachteten Rede im Kriegerverein der GHH am Neujahrstag des Jahres 1911 forderte er die Oberhausener „Krieger“ zu energischen Werbeaktivitäten auf. Um diesen Bemühungen Nachdruck zu verleihen, wurde der GHH-Direktor Woltmann, der den Kriegern seinen Rang als Oberleutnant präsentieren konnte, in den Verein delegiert. Danach stieg die Mitgliederzahl innerhalb eines halben Jahres auf das Dreifache.153 Bereits ein Jahr später hielt Woltmann zu Kaisers Geburtstag die Festrede „und endete mit einem Hoch auf den Kaiser und brausend schallte die Nationalhymne durch den Saal. Hierauf betrat der MGV ,Gute Hoffnung’ die Bühne und brachte mit reinem Stimmenmaterial das Lied ,Heil Kaiser und Reich’ zum Vortrage“.154
Die Nähe Reuschs zum Oberhausener Oberbürgermeister Havenstein hatte schon in der Sitzordnung beim Bankett zu Kaisers Geburtstag am 27. Januar 1912 im Kaisergarten-Restaurant ihren Ausdruck gefunden: „Auf dem Musikpodium war inmitten von Topfgewächsen die Kaiserbüste zu sehen. Auf der Haupttafel stand vor dem Platze des Herrn Oberbürgermeisters der große silberne Tafelaufsatz der Stadt. Neben dem Herrn Oberbürgermeister nahmen auf der einen Seite Herr Kommerzienrat Reusch, der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, und auf der anderen Herr Amtsgerichtsrat Wilms als Leiter des hiesigen Amtsgerichts Platz.“155 Wenige Tage später saß Reusch an gleicher Stelle wieder auf dem Podium, direkt neben ihm hatte der Oberpräsident der Provinz Rheinland Freiherr von Rheinbaben Platz genommen. Reusch hielt zum Geburtstag der Stadt Oberhausen eine donnernde Rede.
Während an der Vorherrschaft Oberhausens im Verhältnis zu den kleineren Nachbarstädten Sterkrade und Osterfeld schon vor 1914 nicht mehr zu rütteln war, wurde der Wettbewerb mit den anderen Ruhrgebietsstädten und den dort angesiedelten Konkurrenzunternehmen mit harten Bandagen ausgefochten. Dies ließ Reusch 1912 in seiner Rede zur 50-Jahr-Feier der Stadt Oberhausen durchblicken. Er sprach von „hartem Kampf“ und „heißer Arbeit unter widrigen Verhältnissen“, unter denen man Oberhausens Anspruch auf „ein Plätzchen an der Sonne“ gleichwohl habe durchsetzen können. Es entsprach dem Zeitgeist, wenn er prophezeite, dass Kohle und Stahl „noch durch Jahrhunderte“ das „Fundament der Stadt“ sein würden. An die Exzellenzen der preußischen Staatsregierung appellierend, betonte er, dass der Bestand dieses Fundaments „von der Beibehaltung der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik abhängig“ sei. Dies war eine Spitze gegen jeden, der es wagte, am Dogma der Schutzzollpolitik zu rütteln oder auch ein Entgegenkommen in Richtung Sozialdemokratie zu fordern. Voller Stolz verkündete Reusch, dass „die Stadt Oberhausen unter allen Städten Deutschlands die geringste Schuldenlast pro Kopf der Bevölkerung aufweist“. Dies – so stichelte er – erfülle die Nachbarstädte mit Neid. Die Rede erreichte ihren Höhepunkt in dem obligaten patriotischen Treue-Bekenntnis: „Die Bürger der Stadt Oberhausen sind ohne Ausnahme Männer der Arbeit. Diese Männer haben zum Teil unter widrigen Verhältnissen und in hartem Kampfe in kurzer Zeit ein großes blühendes Gemeinwesen geschaffen. Allezeit treu zu König und Vaterland, treu zu Kaiser und Reich stehend, sind