Tote und andere Entdeckungen. Daniel Juhr
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Читать онлайн книгу Tote und andere Entdeckungen - Daniel Juhr страница 10
Karl hat gestern angerufen. Er hatte sich seit Monaten rar gemacht. Habe ihn auch sofort darauf angesprochen, damit die Frage nicht zwischen uns steht. „Jüngere müssen auch mal eine Chance haben“, antwortete er, und da hatte er schon recht. Wenn er mir damals keine gegeben hätte, dann wäre ich auch nicht so weit wie heute. „Aber dieser Auftrag“, sagte Karl, „ist speziell. Den kannst nur du ausführen. Es handelt sich um eine Frau aus Radevormwald, die entschieden zu viel weiß. Die hat mir gestern im ,Matt‘ zu viele Fragen gestellt.“ Karl meinte dann noch, dass die Sache ein gordischer Knoten sei, den nur ich zerschlagen könne. Mehr wolle er mir jetzt noch nicht sagen. Er schlug vor, dass wir uns um acht Uhr auf der Pflaumenkirmes treffen und „das Ding“ klar machen. Da wäre so viel los; da würden wir niemandem auffallen. Wir wären einfach nur zwei Männer auf einer Kirmes.
Marianne:
„Now so long Marianne, it’s time that we began to laugh and cry and cry and laugh about it all again …“ Ich kam gerade aus der Dusche, als der Cohen-Song im Radio lief. Jedes Mal, wenn ich den höre, könnte ich kotzen. Ich kann ihn nicht mehr hören, muss diesen Mist ausschalten. Wie kamen sich die Leute immer cool vor, wenn sie mir die deutsche Fassung des Songs zum Geburtstag schenkten. Ich habe ihn in der Originalfassung und in jeder Cover-Version, die auf dem Markt ist. Es gibt immer noch genug, die die Finger von „Marianne“ nicht lassen können. Manches habe ich doppelt und dreifach. Ich kann diesen ganzen Plunder nicht wegwerfen. Das wäre so, als würde ich mich selber wegschmeißen.
Meine nassen Haare tropfen das Laminat und die Wollmäuse voll, die auf ihm herumhuschen. Ich müsste hier mal wieder gründlich durchsaugen, aber dazu fehlt mir nach der Arbeit einfach die Kraft. „So long, Marianne“, rufen mir die Kolleginnen immer hinterher. „It’s time that we began to laugh and cry …“, ja, ich möchte manchmal am liebsten laut losschreien, weil mir mein verdammtes Leben einfach nicht gelingen will.
Gestern habe ich Karl in Gensters Imbiss in der Nähe vom Corso-Kino getroffen. Da fragt der mich doch tatsächlich, wie es mir gehen würde. Tut mir leid. Was soll ich dem Kerl auf so eine Frage denn bitte schön antworten? Er hat mein Leben kaputtgemacht und Leo in die Scheiße gezogen, aus der ich ihn mit meiner Liebe auch nicht mehr herausziehen konnte. Ich habe das versucht, und am Ende war meine Angst größer als meine Liebe. Ja, ich begann, Angst vor Leo zu haben. Vor dem Mann, den ich so sehr geliebt habe.
Leo:
„Suzanne takes you down to her place near the river …“ Wenn ich frühstücke, dann lasse ich immer diesen Song laufen. Ich brauche keine Abwechslung morgens, wenn ich vom Joggen komme. Am besten ist, man hat seine Routinen, da verbraucht man am wenigsten Energie, und man kann sich auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn ich „Suzanne“ höre, dann ist das für mich wie die Gewissheit, dass der Tag gut wird. Warum sollte ich mir da eine andere Musik aussuchen?
Wenn ich den Song höre, muss ich immer an Marianne denken. Ich habe sie während meiner Ausbildung bei einem Telefonbuchverlag in Remscheid kennengelernt. Mein damaliger Chef sagte immer: „Telefonbücher sind Gelddruckmaschinen.“ Als ich Karl dann kennenlernte, habe ich eine noch viel bessere Gelddruckmaschine gefunden, und das habe ich jedenfalls bis heute nicht bereut.
Es war an einem Sommertag. Marianne und ich sind über unsere Wiese im Wiebachtal gelaufen und haben uns mal wieder wegen Karl gestritten. Als ich dachte, dass ich das wieder eingerenkt hätte, wollte ich ihre Hand nehmen. Da ist sie plötzlich losgelaufen. Als ich sie eingeholt hatte, habe ich sie einfach aufs Gras geworfen und wollte sie küssen. Ja, ich wollte sie haben. Sie hat es dann irgendwie geschafft, sich unter mir hervor zu quetschen und ist zurück zum Auto gelaufen. Da war eigentlich schon Schluss, aber das hatte ich in dem Moment nicht gecheckt. Wochen später war dann alles aus zwischen uns. Danach habe ich nur noch die harten Sachen für Karl gemacht.
Marianne:
Auf Radio Berg läuft gerade ein Song nach meinem Geschmack. „Hit the road, Jack, and don’t you come back no more, no more, no more, no more.“ Mit einem Riesentritt hätte ich dich auf die Straße kicken sollen, Leo. Vielleicht wärst du dann endlich aufgewacht.
Leo und Karl haben beide nicht geschnallt, dass mir klar war, was da hinter den Kulissen los war. Sie glaubten, dass sie mich von allem abgeschirmt hätten. Aber ich bin doch nicht blöd. Wer hat denn damals die Staatsanwältin Gudrun Maifeld, die in Vogelsmühle lebte, erschossen? Das war doch entweder Karl oder Leo. Ich habe so gehofft, dass es Karl war und habe mir damit lange etwas vorgemacht. Aber wenn man mit einem Mann zusammen ist, den man liebt, dann merkt man, wenn er am Abend als ein Anderer nach Hause kommt.
Manchmal habe ich mich gefragt, ob es mir lieber gewesen wäre, er hätte mich mit einer anderen betrogen oder wäre einer dieser Drogendealer, die dafür sorgen, dass Radevormwald wieder die Drogenhochburg Nummer zwei nach Frankfurt wird – so wie früher. Ja, verdammt noch mal. Ja, das wäre mir lieber gewesen als diese Außendienstler-Geschichte, die du mir jeden Tag vorgespielt hast. Verdammt, ich habe dich so geliebt, Leo.
Leo:
Ich habe Marianne nie erzählt, dass Karl mir bis zu dem Tag, an dem Schluss war, nur kleine Aufträge gegeben hatte. Kleine Fische. Meinen ersten richtigen Auftrag habe ich erst durchgezogen, als sie von heute auf morgen abgehauen ist. Vorher wollte ich auf dem schnellsten Weg eine Existenz für uns beide aufbauen. Aber als Schluss war, war mir alles egal. Die Situation auf unserer Wiese war der Moment, auf den Karl immer gewartet hatte.
Marianne:
Gestern saß ich mit ein paar Leuten in meiner Stammkneipe „Am Matt“ am Markt. Dann kam plötzlich Karl herein und setzte sich zu uns an die Theke. Ich habe ihn dort noch nie gesehen. Wie viel Bier ich an dem Abend getrunken habe, weiß ich nicht mehr. Ich hatte wohl ziemlich einen im Kahn, denn sonst hätte ich meinen Mund bestimmt nicht so weit aufgerissen. Ich weiß bei Gott nicht mehr, was ich da alles losgelassen habe. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass Karl wollte, dass ich mit ihm vor die Tür gehe. Das kam überhaupt nicht in Frage. Ich bin doch nicht bescheuert!
Von einem Bekannten habe ich mich nach Hause bringen lassen. Der blieb dann über Nacht, und es blieb auch nicht dabei. Ich habe eine Scheißangst vor Karl. Aber eigentlich hat Karl ja seinen Mann dafür: Leo!
Leo:
Warum Karl mir das auf der Pflaumenkirmes sagen wollte? Alles Berechnung. Er hat mit den Fakten angefangen. Hat sich mit ihrer Hilfe einen Weg durch meine Gefühle gebohrt. Hat so lange auf mich eingeredet, bis mein Hirn nicht mehr leugnen konnte. „Marianne ist ein Sicherheitsrisiko. Sie muss weg!“, sagte Karl eindringlich. „Sofort! Was das bedeutet, ist dir klar, oder? Die Szene im Matt haben zig andere Gäste mitbekommen. Leute, die Fragen stellen könnten, die Marianne beantworten kann. Wir beide sind ab jetzt nicht mehr sicher. An den Fakten gibt es nichts zu rütteln, Leo. Und du bist der Einzige, der diesen Auftrag erledigen kann“, sagte Karl und ich nickte. Das schwöre ich dir, Karl: Würdest du einen der anderen den Auftrag erledigen lassen, würde ich ihn ausfindig machen. Auch die Besten ermorden niemanden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Hinter dem Autoscooter musste ich kotzen. Karl stand neben mir und tat so, als ob er mich sichern würde. Mensch, Karl. Das kann doch nicht wahr sein, was du mir da gerade gesagt hast. Was für ein Albtraum!
Marianne:
Ich bin mitten in der Nacht neben meinem Kneipenkumpel aus einem Albtraum aufgewacht. Ich habe Leo gesehen, wie er mit einer Pistole vor mir stand. Mit dem Finger