Ein Leben in zwei Welten. Gottlinde Tiedtke

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Ein Leben in zwei Welten - Gottlinde Tiedtke

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bereits die halbe Wohnung ausgeräumt war, klingelte an einem Abend die Volkspolizei bei uns.

      Meine Mutter behielt die Nerven. Die Polizei hatte nur über jemanden eine Auskunft einholen wollen, aber uns Kindern saß der Schrecken tief in den Gliedern.

      Ein paar Tage später drückte sie meiner Schwester und mir eine Tasche in die Hand und wir verließen still das Haus. Wir fuhren nach Dresden zu Tante Bertha.

      Am Dresdner Hauptbahnhof angekommenen, übersah meine Mutter auch noch einen Bombentrichter und verdrehte sich den Fuß, sie konnte kaum laufen. Das erste Mal in meinem Leben sah ich Angst in ihren Augen. In dieser Nacht, wie auch in der vorangegangen, hatte sie von Plakaten und Wegweisern in kyrillischer Schrift geträumt.

      „Hoffentlich schnappen sie uns nicht“, meinte sie besorgt.

      Weiter ging es mit dem Zug nach Ostberlin, wo uns Frau Kurz abholte. Dort gab es noch eine U-Bahn-Verbindung nach Westberlin. Es waren ein oder zwei Stationen. Wir fuhren stillschweigend.

      „Macht ja nicht den Mund auf! Seid ganz still!“, hatte man uns eingebläut.

      Mit uns im Waggon saßen ein Kontrolleur und die Volkspolizei. Endlich nach einer halben Ewigkeit hielt die U-Bahn. Wir atmeten auf. Wir waren im Westen – und in Sicherheit.

      In den ersten Tagen wohnten wir bei Familie Kurz, dort warteten wir darauf, dass mein Vater uns die Flugtickets für die Reise nach Hamburg schickte. Ich war zehn Jahre alt und sah das erste Mal eine Banane. Frau Kurz lief gleich in den Laden und kaufte sie mir.

      Mit einem großen Militärflugzeug flogen wir ein paar Tage später von Berlin Tempelhof, das damals noch in amerikanischer Hand war, nach Hamburg. Der amerikanische Kapitän trug eine Bomberjacke. Als er mich sah, blieb er stehen, kniff mich in die Wange und sagte kaugummikauend: „Hi Baby!“

      Zwei Worte und meine Liebe zu Amerika und zur Luftfahrt war entbrannt.

      Als wir ankamen, stand mein Vater auf dem Rollfeld und strahlte – er freute sich unheimlich, uns alle wiederzusehen. Es war unser ganz persönliches Happy End.

      Die Reise ging weiter. Wir fuhren mit dem Zug in den Ort in der Heide.

      Die Gutshöfe waren eingerahmt von Mauern, die aus den Steinen alter Hünengräber erbaut worden waren. Als wir aus dem Zug stiegen, entdeckten wir am Bahnhof, der etwas außerhalb des Ortes lag, viele Wegweiser: alle in kyrillischer Schrift.

      Meine Mutter staunte und lachte, erkannte sie die Wegeweiser doch aus ihren Träumen wieder, die sie erst jetzt wirklich verstand. Insgeheim hatte sie befürchtet, dass die Wegweiser in ihren Träumen auf ein russisches Straflager hindeuten würden, in das wir deportiert worden wären, wenn sie uns auf unserer Flucht festgenommen hätten.

      Doch die Wegweiser waren nur ein Symbol dafür, dass wir sicher an unserem Wunschort ankommen würden. Sie wiesen auf ein ukrainisches Flüchtlingslager hin, das nach dem Krieg für die Menschen erbaut worden war, die aus der Ukraine geflohen waren, um den Kommunisten zu entkommen.

      Die Parallele war allzu deutlich.

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