Kurze Geschichten über Abschiede. Kira Berg
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Heute Morgen dann, die im Flur liegende Visitenkarte des Bistros konnte für ihn nur ein Zeichen von Leonore sein. Sie hatte ihm eine Einladung geschickt. Die Möglichkeit, dass sie zufällig auf dem Boden hätte liegen können, war für seine Gedankenwelt nicht vorstellbar. Dieses Zeichen, er war sich dessen sofort bewusst, bedeutete das Ende.
Seine Gedanken kreisten um Paris, um die vielen Abende des Glücks. Sie kreisten schneller und schneller, wurden zu einem Sog, an dessem Ende die Angst, wieder verlassen zu werden, lauerte. Alles um ihn herum lärmte. In diesen Lärm drang eine Stimme „c’est une chanson, qui nous ressemble …“ Für einen kurzen Moment schien es ihm die Orientierung zu nehmen. Er schaute sich angstvoll um und erblickte vor sich den Eingang des Bistros, die Theke mit der Frau. Er ging an zwei Tischen auf dem Gehweg vorbei und trat ein. Er setzte sich an den Tresen. Alles löste sich um ihn herum auf. Nur Leonore blieb in seinen Gedanken, seinen Blicken. Alles wurde zu Leonore. Sie schien ihn etwas zu fragen. Doch ihre Worte klangen wie ein breit gezogenes Lachen, verzerrt auf einer falschen Tonspur abgespielt, an sein Ohr. Ihr lächelnder Mund entstellte sich zu einer fürchterlichen Grimasse. Sie schien zu singen, zu lachen und zu gestikulieren. Es war ein unheimliches Stimmengewirr, das an sein Ohr drang. Er hielt sich die Ohren zu und schrie ihr seinen Hass ins Gesicht. Sie lachte. Sie lachte ihn aus. Erst als seine Hände über die Theke hinweg ihren Hals umfassten und sich immer enger zusammen drückten, entschwand dieses Lachen aus ihrem Gesicht und nichts als das blanke Entsetzen blickte aus ihren Augen. Es sollte ihr so gehen, wie ihm. Sie sollte seinen Schmerz erleben. Sie spürte ihn, dessen war er sich sicher. Er ließ erst los, als ihr lebloser Kopf nach vorn fiel, das Magazin aus ihrer Hand und ihre Arme schlaff über dem Tresen lagen. Jetzt konnte er nicht wieder verlassen werden Er empfand eine erleichternde Stille. „… Mails la vie separe seux quisaiment tout.“
Entspannt und ruhig verließ Pierre das Bistro. Nichts hatte sich verändert. Die drückende Wärme vibrierte noch immer in der Luft. Es roch nach Vergangenheit. Er ging zurück und schloss die Apotheke auf. Es kamen kaum Menschen an diesem Nachmittag, hatte sich doch in ihrem Dorf ein grauenvolles Verbrechen ereignet.
Erst einige Tage später erschien die Polizei in der Tür der Apotheke. Als man ihn abführte, wusste er nicht, was man von ihm wollte. Er kannte keine Claudette.
Allein in Rom
Sie hatten nicht geheiratet. Das Ja-Wort für die Ewigkeit, wie sie es nannten, gaben sie sich in einem kleinen Café in Salzburg und waren anschließend nach Rom geflogen. Tim kannte Rom bereits und er kannte auch Helens Geschmack. Er war sich sicher, dass ihr Rom gefiel.
In Rom angekommen, standen sie, Arm in Arm, vor der Ewigkeit einer Stadt und ihrer Liebe, denn erstmals im Leben fühlte Helen, dass Tim ihr Seelenpartner war. Zum ersten Mal im Leben konnte sie sagen: Mit dir möchte ich alt werden. Sie hatten sich gefunden, nachdem das Leben beiden Blessuren zugefügt hatte, und zu einem Zeitpunkt, an dem beide wussten, wonach sie im Leben suchten. Nichts in ihrer Beziehung geschah geplant. Sie verstanden es zu leben und zu arbeiten, allein oder gemeinsam die Zeit zu verbringen, ohne den Zwang zu haben, den anderen glücklich machen zu müssen. Sie waren es, jeder für sich und beide zusammen.
Nachdem sie sich im Hotelzimmer frisch gemacht hatten und Helen sich ein Abendkleid überstreifte, brachen beide auf, um ihre erste Nacht in Rom zu genießen. Bei jedem Schritt war es Helen, als würde sie in eine andere Zeit eintauchen. Bei jedem Schritt hatte sie das Gefühl, diesen Ort zu kennen und zu Hause angekommen zu sein. Gegen Mitternacht fielen sie ins Bett, müde vom Wein, den Gefühlen und ihrer endlosen Liebe.
Am Morgen hörte Helen im Halbschlaf Tim im Bad. Es war erst 8 Uhr und Helen viel zu müde, um sich Gedanken zu machen, weshalb er so zeitig schon auf den Beinen war. Als er ihr einen Kuss auf die Stirn drückte, versuchte sie ihn ins Bett zu ziehen. Da fiel auch schon die Tür ins Schloss.
Sie musste wohl wieder eingeschlafen sein, denn als sie erneut die Augen öffnete, strahlte ihr die Sonne direkt ins Gesicht. „Tim?“, rief sie, als sie das leere Bett neben sich sah. Er schien nicht da zu sein. Sie zog sich an und ging nach unten in den Hotelhof zum Frühstücken. Sicher saß er da bereits mit einer Zeitung in der Hand, auf das gemeinsame Frühstück wartend. Doch auch hier keine Spur von ihm. 11 Uhr war es bereits. Er joggte nie länger als 30 Minuten am Morgen. Vielleicht hatte er unterwegs einen interessanten Laden gesehen und war aufgehalten worden? Tim richtete sich nie nach der Zeit und nahm sich die Zeit, die er benötigte, ganz egal ob Helen auf ihn wartete oder nicht. Im Laufe der Jahre hatte sie sich daran gewöhnt und war dazu übergegangen, es ihm gleich zu tun. Das reduzierte den Stress.
Deshalb suchte sich Helen, ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen, einen Tisch in der Herbstsonne und begann zu frühstücken, etwas Zeitung zu lesen und die Sonne zu genießen. Als sie das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es 13 Uhr.
Ihr Magen verkrampfte sich.
Sie ging ins Zimmer, um zu schauen, ob er ihr irgendeine Nachricht auf dem Handy hinterlassen hatte. Nichts. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Auch an der Rezeption hatte keiner eine Nachricht für sie hinterlassen. Schulterzucken und fragende Blicke, mehr war nicht zu erfahren. „Das kommt vor, mal eben Zigaretten holen und weg sind sie“, hörte sie neben sich eine amerikanische Touristin tönen, die ihr dabei scherzend auf die Schulter klopfte. Helen spürte Panik aufkommen. Sie zog sich im Zimmer etwas über und verließ das Hotel. Zunächst irrte sie planlos durch die Straßenzüge von Travestere, gelangte zum Tiber und verfolgte entlang des Flusses die Laufstrecke. Genau hier hatten sie im Schein der Laternen gestanden und auf den Petersdom geschaut. Sie machte sich Vorwürfe, nicht mit ihm aufgestanden zu sein. Sie hätte die Zeit zurückdrehen wollen. Gleichzeitig spürte sie Ärger. Er hatte sie einfach so allein gelassen. Am Ufer entlang gehend, achtete sie auf jede Kleinigkeit, auf jeden Läufer, der ihr entgegenkam oder der sie überholte. Sie schaute auf jede Bank in der Hoffnung, irgendein Zeichen zu erkennen. Nichts, überhaupt nichts. Vielleicht war er in ein Krankenhaus eingeliefert worden? Im Gegensatz zu Tim sprach sie kein Wort italienisch. Sie musste ein Polizeirevier aufsuchen. Auf dem Weg in die Innenstadt hielt sie ein Taxi an. Zum Glück sprach der Fahrer englisch. Sie machte wohl einen recht konfusen Eindruck, so dass er sie fragte, ob man ihr etwas gestohlen habe „Nein“, sagte sie, nun schon den Tränen nah, „mein Mann ist verschwunden.“ Er schaute fragend in den Rückspiegel: „Seit wann?“
„Seit heute Morgen“, sagte Helen. Und nun erzählte sie ihm die ganze Geschichte.
„Ich fahre sie in die Viale Romania 45, das Generalkommando der Carabinieri. Dort können Sie fragen, ob ihn die Krankenhäuser im Umkreis aufgenommen haben“, beruhigte er sie und fuhr los. Nach einer kaum enden wollenden Fahrt durch die verstopften Straßen Roms, für die Helen keinen Blick hatte, hielt er vor einem großen hässlichen Gebäude, dass mit der italienischen Landesflagge und der Europafahne geschmückt war. Mit einer Mischung aus Angst, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit betrat sie einen großen Innensaal, fragte sich durch, wurde umhergeschickt, bis sie in einem Zimmer ankam, in dem einige heruntergekommene Gestalten auf einer langen Bank an der Wand saßen, während ein Beamter in Uniform Daten aufnahm.
Alle redeten wild durcheinander und keiner nahm Notiz von ihr, als sie den Raum betrat. Nach einer halben Stunde schien das Problem der Anwesenden mit vielen Worten gelöst zu sein und alle verließen den Raum. Nun winkte sie der Beamte heran. Ihre Hände waren kalt. Während