Zukunftsbildung. Dietmar Hansch
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Viele Menschen haben keine kritische Distanz zu solchen Mechanismen, sie sind mit ihren gedanklichen Vorstellungen und Konstrukten unreflektiert verschmolzen. Sie halten die Landkarte für das Land. Für die Folgen haben wir Begriffe wie Rechthaberei, Engstirnigkeit, Dogmatismus, Fundamentalismus, oder Extremismus. Auf allen Ebenen führen diese Mechanismen zur Verstärkung innerpsychischer, zwischenmenschlicher und sonstiger Konflikte.
Werfen wir nun einen Blick auf die vielfältigen Schadensvariationen, die von Gier und metakognitiver Inkompetenz in vitiösem Zusammenwirken auf allen Ebenen angerichtet werden:
Individuum:
Die Gier treibt viele Menschen um und orientiert sie auf Lustgewinn, der primär aus äußeren Quellen stammt. Sind die äußeren Anreize von Anbeginn sehr stark, verhindert dies die Akkumulation kulturellen Reichtums als einer inneren Quelle von Lebenszufriedenheit. So entstehen zum einen Abhängigkeit und zum anderen eine innere Leere, die sich mit wachsender Halt- und Orientierungslosigkeit paart.
So kommt es zu einem ständigen Getriebensein. Was da antreibt, ist die Angst, etwas zu verpassen („Paradox of Choice“), und diese Angst wächst aufgrund der schnellen, weil gewöhnungsbedingten Abnutzung äußerlicher Reize weiter an („hedonische Tretmühle“). Dieses Getriebensein verunmöglicht dauerhaften inneren Frieden und nachhaltige Erfüllung. Egoistische Verhaltensweisen, Engstirnigkeit und Dogmatismus erzeugen soziale Konflikte und verhindern tiefe, tragfähige und belastbare menschliche Bindungen. All dies kann zur Entstehung psychischer Störungen beitragen, deren Inzidenz in den westlichen Ländern stetig steigt. Wir wollen Menschen, die in diesem Entwicklungsstadium stecken bleiben, als außengeleitete Ego-Menschen bezeichnen. Diese sich ständig verstärkende „Außenleitung“ hat der Soziologe David Riesman bereits in seinem Bestseller „Die einsame Masse“ in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts treffend beschrieben (Einzelheiten dazu bei Bastian 2012).
Beziehung und Familie:
Menschliche Beziehungen haben eine biologische und eine geistigkulturelle Ebene. Die biologische Ebene wird von Phänomenen geprägt wie vom Verliebtsein im Sturm von Hormonen und Sinnlichkeit, von Sexualität bis hin zu Sexsucht und Promiskuität, von Dominanz und Unterwerfung, Eifersucht und Kontrolle.
Die geistig-kulturelle Ebene konstituiert sich durch Ähnlichkeit, Resonanz und Koevolution bezüglich Werten, Grundanschauungen, Interessen und Lebenszielen. Sie verwirklicht sich in nichtbesitzergreifender Liebe, verleitet dazu, sich am anderen um seines puren Seins willen zu freuen, und macht es möglich, dem anderen Freiheit zu lassen, an seiner Entwicklung Gefallen zu finden und sie fördern.
Bei „Ego-Menschen“ in der oben skizzierten Bedeutung des Wortes entwickeln sich auch die zwischenmenschlichen Beziehungen nur wenig über die biologische Ebene hinaus. Das biologische Funktionsniveau bleibt führend und vergewaltigt fortwährend den zumeist ja doch vorhandenen geistig-kulturellen Kern der Partner: den anderen ständig bewerten und nach seinem Bilde formen wollen, Machtspiele von harmlosen Tricksereien über permanente verbale Verletzungen, Hass und Rache bis zur körperlichen Gewaltausübung (ca. drei Viertel aller Morde geschehen in einer Partnerschaft – die Hauptmotive sind Habgier und Eifersucht!), Missbrauch des anderen als Statussymbol, Fremdgehen, Intrigieren, Lügen, engherzige Feilschereien um den kleinsten Vorteil, tagelanges beleidigtes Sich-Anschweigen, verbohrtes Rechthaben-Müssen, Streit, schnelle Emotionalisierung und Unfähigkeit zur halbwegs sachlichen Konfliktklärung, Misstrauen, Kontrolle, Nötigung, – das und noch anderes mehr bestimmt leider den tristen Alltag in nicht wenigen Beziehungen.
Team/Firma:
Hier ist es sinnvoll, zwischen einer Beziehungsebene und einer Sachebene zu unterscheiden. Mit Beziehungsebene sei hier all das gemeint, was um Themen wie Selbstwert, Ego, Hierarchie oder gar Hackordnung kreist. Es handelt sich also um jene Ebene, auf der sich die biologischen Mechanismen der Beziehungsbildung manifestieren. Unter Sachebene wollen wir hingegen jene Prozesse und ihre kulturelle Eigenlogik verstehen, in denen sich die geistig-kulturellen Inhalte und Gegenstände formen, um deren Schaffung willen Menschen kooperieren: die Herstellung komplexer Produkte, die Erarbeitung von Konzepten und Planungen, die Realisierung von Projekten, das In-Gang-Halten geordneter Verwaltungsabläufe etc.
Für den Erfolg der Kooperation ist es entscheidend, dass sich die Eigenlogik der Prozesse auf dem geistig-kulturellen Niveau möglichst unverzerrt entfalten kann. Alle Einwirkungen vom Niveau der biologischen Beziehungsbildung sind störend und vermindern den Erfolg. Den Ursprung dieser Störimpulse bilden überwiegend die verschiedenen Formen der Gier (und ebenso ihrer emotionalen „Kehrseite“, der Angst). Einige Beispiele: jemand sagt etwas, das sachlich gar nicht erforderlich ist, weil er meint, dass auch er etwas gesagt haben sollte; ein anderer beharrt auf einer sachlich falschen Position, weil er glaubt, aus Statusgründen recht behalten zu sollen; der dritte drängt Entscheidungsprozesse in eine Richtung, die sachlich unangemessen ist, ihm aber zu einer höheren Stellung mit besserer Bezahlung verhilft; eine sachlich richtige Entscheidung wird verhindert, um einem Konkurrenten zu schaden, die Ingenieurs-Fraktion ist aus Prinzip gegen das, was die Designer-Riege vorschlägt; aus Angst vor dem cholerischen Chef macht jemand nicht auf einen gravierenden Fehler aufmerksam; eine Mitarbeiterin entwickelt eine tolle Idee, äußert sie aber nicht aus Angst, sich zu blamieren; und schließlich hievt noch einer einen guten Freund und Verbündeten auf einen Posten, für den dieser fachlich nicht geeignet ist, der aber eine strategische Schlüsselposition im Machtkampf bildet.
Sie werden aus eigener Erfahrung bestätigen können: All das und noch viel mehr steht oft genug auf der Tagesordnung innerbetrieblicher Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse. Wenn man sich das bewusst macht, liegt offen zutage: es kann am Ende nicht viel herauskommen, was wertvoll und von Dauer ist. Fast alle sozialen Organisationen, die wir persönlich kennengelernt haben, arbeiten höchst ineffizient. Es gibt studienbasierte Schätzungen, dass in Firmen bis zu 50% Produktivitätseinbuße durch interne Grabenkämpfe entsteht. In nicht wenigen Bereichen dürfte auch hier das altbekannte Pareto-Prinzip gelten: 20% aller Aktivitäten bewirken spürbare Effekte, 80% dienen der Selbstbeschäftigung und sind letzten Endes „für die Katz“. Natürlich spielen hier auch noch andere Faktoren eine ursächliche Rolle (vgl. Hansch 2010), aber die oben skizzierten Wirkimpulse der Gier und der metakognitiven Inkompetenz sind aller Wahrscheinlichkeit nach für den Hauptteil der hier nur grob umrissenen Schäden verantwortlich. Das mit Abstand größte Wachstumspotenzial, das es in dieser Welt gibt, liegt in der Verbesserung unserer Fähigkeiten zur Kommunikation und Zusammenarbeit.
Gesellschaft/Staat:
Die Entwicklung menschlicher Gesellschaften wird angetrieben durch das Wechselspiel von Gier und Innovation. Dieses Wechselspiel ist ein Prozess des sich selbst beschleunigenden Wachstums. Technische Innovationen ermöglichen die Schaffung von Mehrwert. Das facht die Gier maximal an und führt zu Investitionen zur Ermöglichung von noch mehr Innovation. Der neu geschaffene Mehrwert differenziert sich aus zu einem sich immer mehr verbreiternden Strom von Produkten, die an unterschiedlichste Bedürfnisse anknüpfen. Doch die Zahl der Menschen ist begrenzt und zumindest die angeborenen Grundbedürfnisse der Menschen sind es ebenso. Damit ist auch der Raum der Befriedigungsmöglichkeiten und der dies versprechenden Produkte begrenzt.
Im Bereich der wichtigsten Grundbedürfnisse verfügen wir schon heute über Produkte, die den genetisch fixierten Rahmen