Kuriose Grenzgeschichten. Hans Hüfner

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Kuriose Grenzgeschichten - Hans Hüfner

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– für immer!

      Ein neues Kapitel der deutschen Geschichte begann. Diese und andere Episoden werden in dieser kleinen Publikation erzählt.

       Die deutsch-tschechische Grenze auf dem ehemaligen Fremdenweg in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz

      ***

      DIE ERSTE GESCHICHTE

       Wie ich im Mai 1945 ganz unvermutet auf eine Grenze stieß, die es bis dahin in Deutschland noch zu keiner Zeit gegeben hatte, und wie ich ebenfalls ganz unvermutet, die Sowjets von ihrer allerbesten Seite kennenlernte.

      Am 11. Mai 1945, drei Tage nach der bedingungslosen Kapitulation, die in Deutschland den Zweiten Weltkrieg beendete, stand ich als junger Soldat, der mit gemischten Gefühlen seine Flinte ins Korn geworfen, der die Wirren der letzten Wochen ohne Schaden zu nehmen überstanden und dessen Einheit sich sang und klanglos aufgelöst hatte, ganz unvermutet an einer Grenze, die es erst seit wenigen Tagen gab, an der Demarkationslinie zwischen den amerikanischen und den sowjetisch besetzten Teilen Deutschlands. Diese Grenze verlief damals an der Zwickauer- und vereinigten Mulde bis zu deren Einmündung in die Elbe, dann weiter stromabwärts, war bereits in jenen Tagen nicht mehr frei passierbar und wurde, besonders auf der westlichen, amerikanischen Seite, scharf bewacht.

      Erst am 9. Mai hatten uns die Ereignisse ziemlich nachdrücklich belehrt, dass der Krieg zu Ende war. Im Morgengrauen dieses Tages fanden sich die Reste meiner Einheit nach einer Nachtfahrt über den Kamm des Erzgebirges hinweg, irgendwo im böhmischen Mittelgebirge wieder. Uns weiter nach Westen und bis zum Ami durchzuschlagen, so lauteten die letzten Befehle. Aber der Iwan hatte, wie sich bald herausstellte, den letzten, noch verbleibenden Rückzugsweg schon abgeschnitten, und so landete ich zwangsläufig noch am gleichen Tage, gemeinsam mit Tausenden anderer deutscher Soldaten als Gefangener auf einem Sportplatz am Stadtrand von Teplitz.

      Als ich nach mehrstündiger Ungewissheit zu begreifen begann, in welch missliche Lage ich geraten war, als ich begann, mich in Gedanken mit dem Abmarsch in Richtung Sibirien vertraut zu machen, geschah, was ich auch heute noch fast wie ein Wunder ansehe: Die Sowjets ließen uns laufen, nicht nach Sibirien, nicht nach Russland, „Wojna kaput, nach Hause“1, war die Parole. Wir ließen uns das nicht zweimal sagen und versuchten, um einem eventuellen Sinneswandel zuvorzukommen, so schnell wie möglich die alte Reichsgrenze zu erreichen. Gerüchte besagten, drüben solle bereits der Ami sein. Die pausenlos vom Kamm des Gebirges herab und in Richtung Teplitz rollenden Panzer, Stalinorgeln, LKW´s besagten allerdings etwas anderes. Wie eine stählerne Lawine wälzte sich die Kriegsmaschinerie zu Tal. Um nicht unter Räder und Ketten zu geraten, versuchten wir im Straßengraben voranzukommen, stolperten dabei über Ausrüstungsgegenstände, umgingen Fahrzeugwracks. Stellenweise brannte der Wald. Die Toten im Straßengraben wurden von der Dunkelheit barmherzig zugedeckt. In allen Richtungen soweit ich blicken konnte, stiegen farbige Leuchtkugeln in den Himmel: Das Siegesfeuerwerk.

      Wie oft wir in dieser Nacht angehalten und durchsucht wurden, habe ich nicht gezählt. Nach Waffen hat hier keiner mehr gefragt, die Uhren wollten sie und manchmal auch Schnaps. Aber auch das habe ich nicht vergessen: Von ihren Panzern reichten uns russische Soldaten im Vorüberfahren Schokolade herunter, „Wojna kaput“.

      Noch vor Mitternacht erreichten wir unser erstes Ziel, überschritten wir in Zinnwald die sächsisch-böhmische, die alte Reichsgrenze. Auch hier verwehrte uns niemand, trotz mitternächtlicher Stunde weiterzumarschieren.2 Erst in Altenberg wurden wir von einer Patrouille aufgehalten und für den Rest der Nacht in einem ausgeplünderten Haus eingesperrt. Russische Soldaten, im Nachbarzimmer einquartiert, wollten nicht einmal unsere Uhren haben. Vor ein paar Tagen hätten wir uns noch gegenseitig abgemurkst.

      Ungehindert durften wir im Morgengrauen weiterziehen. Ein wunderschöner Frühlingstag kündigte sich an. Das erste Grün zeigte sich an den Zweigen der Bäume, Vögel sangen, und am wolkenlosen Himmel zog eine Sonne ihre Bahn, die es schon sehr gut meinte. Sie beschien den ganzen Müll, der am Ende eines Weltkrieges anzufallen pflegt und gleichermaßen Sieger und Besiegte, Plünderer und Ausgeplünderte, Lebende und Tote.

      Inmitten dieser Szenerie bewegten wir uns im Laufe des Tages weiter der Heimat zu, mußten aber bei Einbruch der Dunkelheit in Freiberg wiederum eine Zwangspause einlegen, bedingt durch die von den neuen Herren angeordnete nächtliche Sperrstunde. Hilfsbereite Freiberger Bürger boten uns Nachtquartier, Verpflegung und Fahrräder für die Weiterfahrt am nächsten Morgen. Indirekt war das einem Befehl des sowjetischen Stadtkommandanten zu danken, der die Einwohner Freibergs aufforderte, ihre Fahrräder als Kriegsbeute in der Kommandantur anzuliefern. Mit einem halbwegs intaktem Herrenfahrrad war ich so am Morgen des 11. Mai 1945 in Freiberg gestartet, mit einem klapprigen, arg ramponierten Kinderfahrrad, das nur noch mit einem Pedal bestückt war, stand ich abends an der Mulde. Das war das Ergebnis mehrfacher Tauschaktionen, die mir im Laufe des Tages von marodierenden, keinen Widerspruch duldenden Herren aufgenötigt wurden.

      Wie und auf welchem Wege ich an die Mulde herangekommen bin, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Man sprach mit entgegenkommenden deutschen Soldaten oder anderen Passanten, die in jenen Tagen sehr zahlreich die deutschen Landstraßen belebten, fragte nach dem Weg und ob die Luft rein wäre. Auf diese Weise erfuhr ich, daß über die Gebiete westlich der Mulde die Amis die Herrschaft angetreten hätten, daß der nächste Übergang in Colditz gesperrt sei, daß die Amis Jagd auf deutsche Soldaten machten und daß es ratsam sei, sich von der Uniform zu trennen.

      Der Zufall wollte es, daß ich in dieser Situation mit einem Landser ins Gespräch kam, der bereits Zivilkleidung trug und am anderen Ufer der Mulde zu Hause war. Er kannte hier Weg und Steg, unter anderem auch den Steg über einem Muldenwehr in einer entlegenen Fabrikanlage, der „Eule“3, der einen verhältnismäßig risikolosen Übergang über die Mulde ermöglichen sollte. So war es dann auch. Ganz unspektakulär und unbehelligt wechselte ich von den Iwans zu den Amis über. Erleichtert betrat ich das westliche Muldenufer, weil ich meinte, daß die Geister Sibiriens, die bisher meine unsichtbaren Begleiter waren, nur auf eine günstige Gelegenheit wartend, mich wieder zu ergreifen, mich nun endgültig und unwiderruflich ziehen lassen müßten. Noch in diesen Betrachtungen versunken, riss mich mein Begleiter zu Boden. Ein sich nähernder Jeep mit einer amerikanischen Militärpatrouille, ließ es geraten erscheinen, sich vorübergehend unsichtbar zu machen. Noch trug ich meine Wehrmachtsuniform, die mich in den letzten Tagen eher vor Übergriffen geschützt, als diese provoziert hatte. Aber bei den Amis galten offenbar andere Gesetze. Die von den Sowjets im Überschwang des Sieges verkündete Generalamnestie, „Wojna kaput, nach Hause“, hatte bei ihren Verbündeten offenbar keine Gültigkeit.

      In Groß Sermuth, unmittelbar am westlichen Muldenufer, fand ich bei freundlichen Menschen ein Bett für die Nacht, einen gedeckten Tisch und das wichtigste für mein weiteres Fortkommen, die nun fast lebensnotwendige Zivilkleidung. Der Frühling des Jahres 1945 war ein Jahrhundertfrühling, strahlend schön, sonnig und warm, so daß zu meiner ganz persönlichen, auch äußerlich erkennbaren Demobilisierung, in Abhängigkeit von den Temperaturen, lediglich eine alte Hose und ein Hemd benötigt wurden. Diese zu finden, bereitete meinen Gastgebern keine Schwierigkeiten, so daß ich am nächsten Morgen, nun als unverdächtiger Zivilist, mit der Uniform im Rucksack und weiterhin mit meinem Kinderfahrrad, meinen Weg fortsetzen und damit die letzte Etappe im Zweiten Weltkrieg antreten konnte.

      ***

      DIE ZWEITE GESCHICHTE

       Die Zonengrenze zwischen der sowjetischen und der britischen Besatzungszone Deutschlands und die Gründe, welche u. a. manchen Ostzonenbewohner veranlassten,

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