Tagebuch eines frommen Chaoten. Adrian Plass

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Tagebuch eines frommen Chaoten - Adrian Plass

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Mutter geredet? Ich scheine manchmal gar nichts zu kapieren.

      Zu spät, um abends noch mit dem neuen Buch anzufangen. Lag wieder wach und zermarterte mir wegen Freitag das Hirn. Was soll ich bloß sagen, Gott? Ich weiß absolut nichts. Was soll ich bloß sagen? Was soll ich bloß sagen?

      Setzte mich am Abend mit Lunchingtons Buch hin, in der Hoffnung, mir ein paar gute Tipps von ihm zu holen. Was für ein erstaunliches Werk! Ich verstehe nicht, wann dieser Mann Zeit findet, um zu essen oder zu schlafen. Sein Leben ist buchstäblich eine Aneinanderreihung von atemberaubenden Wundern. Wem er auch begegnet und was er auch tut – das alles könnte direkt aus dem Neuen Testament stammen! Besser gesagt: Das Neue Testament wirkt wie ein frühes und eher missglücktes Vorspiel zu Lunchingtons Leben.

      Der Mann weiß nicht, wie es ist, wenn man Zweifel, Depressionen, Versagen oder Mutlosigkeit erlebt. Jeder, dem er begegnet, scheint sich auf der Stelle zu bekehren, und absolut nichts kann diesen Mann runterziehen. Und erst die Straßenevangelisation! Soweit ich sehe, muss Lunchington nur einen Schritt aus der Haustür machen und schon wimmelt es auf einem bis dato gänzlich verwaisten Abschnitt des Bürgersteigs von einer unüberschaubaren Menge von Menschen, die schubsen und drängeln, um nah genug an Lunchington ranzukommen, damit er ihnen bei ihrer Glaubensentscheidung mit Rat und Tat zur Seite steht. Fiel nach der Lektüre des Buches ausgelaugt in den Sessel zurück.

      War verwirrt, als ich in meinem Hinterkopf den leisen, aber definitiven Wunsch bemerkte, diesem Lunchington einen gezielten Tritt zu verpassen, am besten zwischen zwei Wundern. Wies diesen unwürdigen Impuls als Anfechtung des Feindes von mir und wählte Leonards Nummer.

      Ich sagte: »Hallo, Leonard, ich wollte dir nur sagen, dass ich gerade ein großartiges Buch übers Zeugnisgeben gelesen habe, und ich denke, wir sollten es machen wie dieser Mann und am Freitagabend in der Kraft des Glaubens hinausschreiten, angetan mit der Waffenrüstung des Geistes und in der Gewissheit, dass der Sieg bereits unser ist, bevor wir überhaupt anfangen!«

      Thynn sagte: »Ganz deiner Meinung, aber können wir vielleicht vorher bei George’s reinschauen und uns ein oder zwei kühle Helle genehmigen, nur ‘nen Schluck gegen die Muffe oder was?«

      Wenn ich einst meine geistliche Autobiografie verfasse, wird Thynn nicht darin vorkommen – oder bestenfalls in etwas nachgebesserter Form. Anstatt »ein oder zwei kühle Helle« vorzuschlagen, wird er sagen: »Amen, Bruder! Halleluja!«

      Habe heute früher mit der Arbeit aufgehört. Machte einen Spaziergang zur Mugley-Siedlung, um Bill und Kitty Dove zu besuchen, unsere Lieblings-Senioren in der Gemeinde. Saßen am Kamin, aßen warme Waffeln und tranken Tee. Bill und Kitty haben beide ein Lächeln, als ob hinter ihrem Gesicht ein Licht angeknipst worden ist.

      Kitty sagte: »Oooh, beeil dich! Deine Waffeln werden gleich kalt!«

      Bill sagte: »Trink ‘ne schöne Tasse Tee mit uns. Komm ans Feuer und erzähl uns, was der kleine Gerald so treibt.«

      »Hi-hi-hi!«, kicherte Kitty. »Der kleine Gerald, hi-hi-hi!«

      Erzählte ihnen von Weihnachten und Tante Marjorie und Onkel Ralph und der Band. Sie nickten und strahlten und nickten.

      Bill sagte: »Und du? Was treibst du so?«

      Erzählte ihnen über unser Zeugnis am Freitag.

      Kitty leuchtete mich an. Sie sagte: »Du bist ein wundervoller Mann, dass du den Leuten von unserm lieben Herrn Jesus erzählen willst. Da wird er sich aber freuen!«

      Fühlte mich plötzlich weinerlich und windelweich. Ich sagte: »Ganz so ist es nicht. Ich bin überhaupt nicht wundervoll und … «

      Bill sagte: »Oh doch, das bist du. Gott liebt dich bis zum Platzen. Er ist absolut verrückt nach dir, also musst du wundervoll sein. Nimm noch eine Waffel und stell dich nicht so an!«

      Verließ die beiden und fühlte mich bestens versorgt.

      Guter Hauskreis heute Abend, außer als Doreen Cook sagte: »Nur fürs Gebet und unter dem Siegel der Verschwiegenheit, aber habt ihr die Sache mit Raymond schon gehört?« Edwin bremste sie mit sanft tadelndem Ton, von wegen Klatsch und Tratsch.

      Dieses Paar, die Flushpools, waren wieder da. Sagten kein Sterbenswort, außer als Gerald Mrs. Flushpool eine Tasse Kaffee anbot und sie mit den Worten ablehnte: »Als ich noch im Fleisch wandelte, pflegte ich …, aber jetzt nicht mehr!«

      Fragte Anne später, warum sie sich so geziert hat, die beiden einzuladen. Sie schüttelte langsam den Kopf und sagte, sie wüsste es selber nicht. Sonderbar …

      Wüsste doch zu gern, was Doreen über Raymond erzählen wollte.

      Schweißtreibende Stille Zeit. Bat zunächst Gott um ein Zeichen, dass heute Abend alles gut gehen würde. Erinnerte mich augenblicklich an die Stelle, wo es heißt: » … ein böses und ehebrecherisches Geschlecht sucht ein Zeichen.« Musste sodann an Johannes den Täufer denken, der im Gefängnis die Zuversicht verloren hatte und Jesus um ein Zeichen bat und fühlte mich wieder in guter Gesellschaft; augenblicklich fiel mir jedoch der ungläubige Thomas ein, und ich hatte wieder Schuldgefühle; dann kam mir Gideons Vlies in den Sinn und ich fühlte mich wieder legitimiert …

      Es wäre vielleicht ewig so weitergegangen, aber Anne rief, dass es Zeit ist, zur Arbeit zu gehen.

      Gerald hatte für mich ein kleines Silberkreuz dagelassen, das ich tragen sollte, und einen Zettel, auf dem stand, dass Evangelisieren ein Anagramm von Viel Gas rein? Nee! ist.

      Abends zu nervös, um vor dem Feldzug noch zu essen. Suchte eine Weile nach einer Ausgabe der Heiligen Schrift, die auf das Auge Uneingeweihter wie »Die Gewehre von Navarone« wirkt. Fand schließlich ein unaufdringliches Exemplar.

      Leonard erschien um sieben mit einer gigantischen, messingbeschlagenen Familienbibel unterm Arm. Er sagte, seine Mutter wollte, dass er die nimmt, weil schon ihr seliger Großvater sie dabeigehabt hätte, als er 1906 auf der Straße predigte. Thynn hatte einen grotesken altväterlichen schwarzen Anzug an, der aussah, als hätte er ursprünglich einem Totengräber gehört. Sagte, das sei sein bestes Stück.

      Bezogen Posten vor der Hamburger-Braterei. Leonard wirkte wie ein gemeingefährlicher Geistesgestörter mit religiösen Wahnvorstellungen, der in Begleitung seines Wärters Ausgang hat. Fühlte mich absolut miserabel und hoffnungslos. Immer, wenn ich jemanden ansprach, der die Imbissstube betrat oder rauskam, echote Leonard jedes meiner Worte.

      Ich: »Nabend!«

      Kunde: »Nabend!«

      Leonard: »Nabend!«

      Ich: »Ganz schön zugig, was?«

      Kunde: (lachend) »Harn se recht!«

      Leonard: »Ganz schön zugig, was?«

      Kunde: »Wie bitte?«

      Leonard: »Ganz schön zugig, was?«

      Kunde: (unsicher) »Äääh … ja!« (hastiger Abgang)

      oder

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