Die Geschichte der Zukunft. Erik Händeler

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Die Geschichte der Zukunft - Erik Händeler

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zu fordern und von der Senkung von Steuern, Abgaben und Sozialleistungen einen neuen Wirtschaftsaufschwung zu erwarten. Er meint, notwendig sei viel mehr: eine Änderung der Lebensführung des Einzelnen, nicht zuletzt auch seines Verhaltens gegenüber anderen. Im Grunde ist Händelers Buch ein Plädoyer dafür, endlich zu begreifen, dass die Fähigkeit und Bereitschaft der Bürger zu Leistung und Kooperation heute der entscheidende Faktor geworden ist, der Wohlstand schafft.

      Auch die Wirtschaftswissenschaft betont ja inzwischen die Bedeutung von Human Capital für die wirtschaftliche Entwicklung. Händeler begründet aber seine zentrale These anders. Er greift auf die Theorie von den langen Wellen der Konjunktur zurück, die in den 1920er Jahren von Nikolai Kondratieff entwickelt wurde. Dies ist ein Wagnis, bei dem ihm kein Vertreter der Volkswirtschaftslehre ohne Einschränkung folgen würde – die Existenz von »langen Wellen« bestreitet niemand, aber die Realität sei zu komplex, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern seien zu groß, eine umfassende Theorie im Stile Kondratieffs sei nicht möglich. Doch die gegenwärtigen Krisensymptome passen zu Kondratieffs langen Wellen: Eine grundlegende technische Innovation wie die Mikroelektronik hat ihren 20 Jahre anhaltenden Wachstumsimpuls verloren.

      Erstmals wird hier beschrieben, wie sich in den vergleichbaren Situationen der vergangenen 250 Jahre alle Lebensbereiche im Rhythmus der Kondratieffwellen entwickelten: Sozialverhalten, Technik, Kriege, Machtverschiebungen, Managementmethoden, Revolutionen und Kunst. Damit verstehen die Leser den heutigen Veränderungsdruck. Wir sind einer Rezession mit ihren innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen jedoch nicht ausgeliefert: Detailliert beschreibt Händeler, was sich in den Schulen, in der Arbeitswelt, in der Gesundheitspolitik und im gegenseitigen Umgang ändern sollte. In diesem Umbruch entstehen neue Berufe und Tätigkeiten. Es liegt an uns, ob wir auf den nächsten langen Wachstumsschub hoffen können.

      Prof. Dr. Dieter Grosser, Universität München

      Erst eine neue Kultur der Zusammenarbeit lässt in der Informationsgesellschaft den Wohlstand wieder steigen (Thesen über die nächsten 20 Jahre)

      Zuerst die schlechte Nachricht: Die nächsten Jahre könnten ungemütlich werden. Die Welt wandelt sich zu langsam von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, deswegen wird die Arbeitslosigkeit global zunehmen – trotz stabiler Preise, großer Anstrengungen und niedrigster Zinsen. Das Wirtschaftswachstum sinkt, und das löst Verteilungskämpfe aus. Die Menschen sind verunsichert, weil sie die Veränderungen nicht einordnen können. Erklärungen setzen nur punktuell an. Wer glaubt, wir müssten jetzt nur auf den nächsten Aufschwung warten, um mit der Krise fertig zu werden, der wird lange warten.

      Weltweit werden wir bei hoher Unterbeschäftigung auf der Stelle treten, weil der Computer unseren Wohlstand nicht mehr so spürbar erhöht wie seit den 80er Jahren: Mit ihm konnte man zum Beispiel Autos billiger und besser herstellen. Das geht uns jetzt ab: Ein noch schnellerer PC auf dem Schreibtisch macht einen Büroarbeiter nicht mehr effizienter, die Fabrikation ist längst automatisiert, für die meisten Anwendungen der breiten Masse bringt bessere Informationstechnik keinen so großen zusätzlichen Nutzen mehr wie früher. Seit den 50er Jahren hatte sie die Wirtschaft produktiver gemacht: zunächst mit den Groß- und Universalrechnern, die Datenbanken oder Gehaltsabrechnungen billiger und effizienter machten, dann die PCs, schließlich die multimediale Vernetzung mit Handy und Internet.1 Damit ist jetzt ein gigantischer Produktivitätsschub zu Ende gegangen. Er hat mit seinen vielen Anwendungen die Wirtschaft angetrieben, alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen und für sozialen, kulturellen und politischen Wandel gesorgt.2

      Das alleine ist noch keine Katastrophe: Wirtschaft entwickelt sich eben nicht gleichmäßig, sondern sie schwankt – das wissen wir aus eigener Erfahrung. Es gibt aber auch langfristige Konjunkturzyklen, die mit 40 bis 60 Jahren viel länger dauern als die Zeiträume, in denen Politiker die nächsten Wahlen planen und jeder Einzelne von uns seinen Werdegang. Das lässt sich durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch verfolgen3, vor allem aber während der letzten beiden Jahrhunderte: Grundlegende Erfindungen wie Dampfmaschine, Eisenbahn, Elektrifizierung oder das Auto haben den Wohlstand auf völlig neue Höhen getragen (siehe Grafik). Benannt sind diese langen Konjunkturzyklen heute nach dem Russen Nikolai Kondratieff (1892 – 1938), der sie 1926 anhand von statistischem Material in der Berliner Zeitschrift »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« beschrieb4. Vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis 1919 hatte er zweieinhalb lange Wellen festgestellt und sagte einen langen Abschwung für die 20er und 30er Jahre voraus (der als Weltwirtschaftskrise auch so eintraf).

      Kondratieff suchte den Grund für mehr Wohlstand in produktiveren Herstellungsverfahren: Als die Dampfkraft nach 1769 Spinnmaschinen antrieb, leisteten diese 200-mal mehr als das Spinnrad. Textilien wurden viel billiger, mehr Menschen als vorher konnten sich nun welche leisten. Dazu benötigte dieses Paradigma eine neue Infrastruktur und beschäftigte zusätzlich viele Menschen, um Kohle und Erz zu beschaffen und Waren auf Dampfschiffen in neu gegrabenen Binnenkanälen zu transportieren. Doch das, was man so zum Herstellen und Vermarkten von Gütern braucht, wächst nicht gleichmäßig mit: Irgendwann gibt es einen Produktionsfaktor, der lässt sich kurzfristig nicht mehr vermehren und wird daher so teuer, dass sich weiteres Wachstum nicht mehr lohnt: Das waren ab den 1820ern die Transportkosten. Der Transport war so aufwändig, dass er sich mit ein paar Kutschen mehr auch nicht effektiver lösen ließ. Die Produktivität stagnierte, es kam zu Massenelend und Arbeitslosigkeit.

      In dieser Situation – und das war bisher nach dem Ende aller langen Aufschwünge so – wächst der zu verteilende Kuchen nicht mehr. Zwar haben alle Akteure auch weiterhin zusätzliche Bedürfnisse: der Staat in der Verwaltung und Infrastruktur, die Wirtschaft in der Investition und Ausbildung, die Bevölkerung im Konsum, für Krankenbehandlung, Altersrenten und Kindererziehung. Doch die lassen sich nicht mehr durch die langsamer hinzuwachsenden Ressourcen befriedigen, sondern nur noch, indem einem anderen Bereich Ressourcen entzogen werden. Deswegen türmten sich in der Vergangenheit während eines langen Kondratieffabschwungs die Probleme immer auf: Verteilungskämpfe, Handelskriege, Massenarbeitslosigkeit, Lohneinbußen. Stagnierende Wachstumsraten über einen längeren Zeitraum hinweg drücken die öffentliche Stimmung, erzeugen Unzufriedenheit und verschärfen die Diskussionen, nach welchen Prioritäten eine Gesellschaft ihre Ressourcen verteilen soll. Diese Depression endet erst, wenn der knappe Produktionsfaktor durch bessere Lösungen wieder verfügbar wird: Als die Eisenbahn gebaut wurde, verbilligte sie die Transportkosten derart, dass Handel und Industrie über weite Entfernungen ausgedehnt werden konnten. Die Wirtschaft boomte, wieder wurden neue Arbeitsplätze massenweise geschaffen. Das heißt: Wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, kann es nach einem langen Abschwung wieder aufwärts gehen.

      Und das ist die gute Nachricht: Die Entwicklung des Computers ist nicht das Ende der Entwicklung der Menschheit. Auch heute gibt es knappe Produktionsfaktoren, die sich nicht einfach von heute auf morgen vermehren lassen und der Wirtschaft weltweit den Atem abdrücken: Jeder hat den Mangel an Energie vor Augen, der zu neuen, aber jetzt nachhaltigen Energien und Technologien führen wird. Die Öffentlichkeit nimmt jedoch kaum wahr, dass es jetzt vor allem um immaterielle Knappheiten geht. Die computerisierte Gesellschaft hat aus einer ökonomischen Notwendigkeit heraus flachere Strukturen in der Arbeitswelt geschaffen. Doch die Menschen, die in der Blütezeit der Industriegesellschaft groß geworden sind, haben nicht gelernt, partnerschaftlich, sachlich und zielorientiert so zusammenzuarbeiten5, zuzuhören oder sich gegenseitig so zu fördern, dass Probleme zu angemessenen Kosten gelöst werden können. Umgang und Lebensstil machen die Menschen so krank, dass sie mit den bisherigen Mitteln nicht wirksam genug geheilt werden. Erst wenn wir ein produktiveres Gesundheitssystem aufgebaut (→ S. 299) und unsere Kultur der Zusammenarbeit den neuen wirtschaftlichen Anforderungen angepasst haben6, werden wir die ökonomischen Probleme bewältigen (Arbeitslosigkeit, Bildung, Rente, Krankheitskosten, Steuerausfälle – denn diese Probleme gehören alle zusammen). Wir sind der Krise daher nicht ohnmächtig ausgeliefert. Wir haben die Wahl.

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