Regisseurstheater. Gerhard Stadelmaier
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Regisseurstheater - Gerhard Stadelmaier страница 3
Plötzlich ist Bio angesagt. Und alle machen mit beim Natürlichkeitsschmaus. Als hülfe es der Natur, wenn Unmengen von Getreide weltweit dafür monokulturell angebaut werden, damit sie als Bio-Diesel in umweltfreundlich scheinenden Autos verfahren werden. Plötzlich ist angesagt, bestimmte Wörter nicht mehr zu sagen, weil sie »unkorrekt« sind. Als habe man mit dem Sageverbot den schlechten gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen das jetzt »korrekt« benannte Objekt immer noch lebt, schon das Wasser abgegraben. Als hülfe es den wirtschaftlich ausgegrenzten oder juristisch benachteiligten Schwarzen, wenn man sie nicht mehr »Neger« nennt. Oder plötzlich geht man Fußball auf sogenannten Fanmeilen gucken, im Verein mit Tausenden anderen. Wo man früher ins Stadion ging, um leibhaftig anwesenden Mannschaften beim Kampf um Sieg und Niederlage zuzuschauen, geht man heute (auch) dorthin, um Mannschaften zu erleben, die über eine Leinwand rennen, auf die sie als Fernsehbild projiziert werden. So verwandelt sich das Wohnzimmer zum Marktplatz, das persönliche Erleben zur kameragelenkten und durch endlose Wiederholungen den Idiotien einer TV-Regie unterworfenen Massenhysterie. Man hat da mitzuschreien, mitzujubeln. Es ist eine Erfahrung wohliger, frivol sozialverträglicher passiver Haltlosigkeit, die sich »aufgeschlossen« gibt und als »weltoffen« empfindet. (Dabei mag einem beim Heimfahren, käme man an einem Gotteshaus vorbei, durchaus ketzerisch einfallen, dass zum Beispiel der katholischen Kirche, je mehr sie die Türen zur Welt hin offen und weit gemacht hat, die Leute nicht durch diese Türen hereingeströmt, sondern eher davongelaufen sind. Von der noch leereren, weil noch weltoffeneren evangelischen Kirche ganz zu schweigen.)
Der Plötzlichkeiten aber ist überhaupt kein Ende. Plötzlich spielen zum Beispiel alle ohne Vibrato auf dürren Darmsaiten und klirrenden Hammerklavieren die Musik des Barock und der Klassik. Kein Symphonieorchester traut sich mehr, Bach zu spielen. Die Ensembles, die einen »Originalklang« pflegen und so tun, als könnten sie die alte Musik so spielen, wie sie zu ihrer Zeit erklungen ist, schießen wie Pilze aus dem Konzertboden. Die »historisch informierte Aufführungspraxis« wird zum Muss, die sogenannte Klangrede, das heißt das partout dramatisch-rhetorische Aufladen auch undramatischer Musik, zum Schroffheiten-Credo. Man muss Radio-Moderatoren nur zuhören, wie sie derartige Konzerte mit den immer gleichen Verbalgirlanden ankündigen, die sich vor allem ums Wort »Lebendigkeit« oder »Frische« herumkringeln, um sich über die Leblosigkeit und Stumpfheit der entsprechenden Darbietung nicht mehr zu wundern.
Geht man in einen Schallplatten- beziehungsweise CD-Laden und verlangt nach der Einspielung einer Matthäus-Passion mit großem Chor und großem Orchester – wird man gerne vom Verkäufer im Ton einer Strafpredigt belehrt, dass es sich »herumgesprochen« habe, dass man »das« heute nur noch im Originalklang zu hören habe (fast hätte er noch den Historischen-Aufführungspraxis-Blockwart gerufen). Auf den Einwand, dass ja heutigentags kein Mensch mehr die Ohren von damals habe und auch die Konzertsäle andere seien und Bach womöglich sich an einem modernen Steinway durchaus erfreut hätte, hätte er denn einen gekannt, wird entgegnet, dass das jetzt eben »Standard« sei. Dieser Standard hält nun schon seit Jahren an. Und ist im musikalischen Zeitgeistregiegewerbe einer der hartnäckigsten Durchhalter. Weil er die scheinbare Verkehrung der Verhältnisse zum Grunde hat: Nicht der abgeschnittene Zopf von vorgestern oder gestern zeigt, was der Zeitgeist geschlagen hat, sondern gerade dessen Entdeckung und Wiederanflechtung.
Das längst Vergangene und eigentlich im instrumententechnischen Orkus der Vergangenheit Verschwundene wird im Fall der »historisch informierten Aufführungspraxis« zum aktuellen Gebot, das sich absolut setzt und eine ewige Gültigkeit für sich reklamiert, die es dem Wandel entzieht. Der Zeitgeist der Zeitlosigkeit. Es ergeben sich da kuriose Paarungen. Musiker wie Nikolaus Harnoncourt (um den Urvater dieser Bewegung stellvertretend zu nennen, von der er sich aber inzwischen links oder auch rechts überholt fühlt) oder Eliot Gardiner, die noch mit den Saiten und Bögen von 1810 spielen lassen würden, wenn sie diese noch auftreiben könnten, denen das absolut historisch Treue in der Musik eine Unabdingbarkeit ist und die das Fortgeschrittensein im Instrumentenbau durch die Zeiten als Verlust an Ursprünglichkeit betrachten und in Autographen nach dem unbedingten Partitur-Notat-Willen des Komponisten forschen, lassen sich durchaus für Opern-Inszenierungen einspannen, die mit Stoff und Handlung völlig beliebig verfahren und sie gerne in einem »Theater der Verleger« dorthin verlegen, wo es gerade Zeitgeist- und Gegenwartsmode ist (Tankstelle, Fitness-Studio, Swimming-Pool, Kaffeehaus). So ergibt sich ein paradoxes Doppel auf dem Zeitgeistmusikalienmarkt: der Ewigkeitsstand der »historisch informierten Aufführungspraxis« im Einwickelpapier des Regietheaters. Sie versteinerte sozusagen in der Verpackung der flutschenden Plötzlichkeit. Verlangt aber nach Mitgefühl und Einverstandensein, vom Hörer wird ein Berührtsein erwartet, das den kritischen Einwand überwältigt und gar nicht erst zum Aufflackern kommen lässt. Gefühltes tritt in den Zustand des Gewussten. Man rechnet nicht mit Distanzen. Man hofft auf Überwältigungen. Und Tränen dürfen ruhig auch mit im Spiel sein.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.