Der Tanz des Kranichs. Hilmar Fuchs

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Der Tanz des Kranichs - Hilmar Fuchs

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Chuan (Taijiquan) und vereinte Changs 13 Positionen zu einer Form.

      Chen Wangting (1594-1664) brachte seine militärischen Erfahrungen – er war General unter der Ming-Dynastie – in das Tai Chi Chuan ein. Er begründete den Chen-Stil dieser inneren Kampfkunst. Sein Nachkomme und Stilerbe Chen Changxing (1771-1853) hatte einen Leibeigenen namens Yang Luchan (1799-1872), der zu seinem Schüler wurde, nachdem er lange Zeit die Familienmitglieder heimlich beim Training beobachtet und ihre Bewegungen imitiert hatte. Er wurde ein vollendeter Meister des Tai Chi Chuan und galt als unbesiegbar. Er ist der Begründer des Yang-Stils des Tai Chi Chuan.

      Im Jahr 1644 eroberten mandschurische Streitkräfte die Macht in China und installierten die Qing-Dynastie (1644-1911). Die Mandschurenkaiser regierten mit harter Hand, und unter ihrer Herrschaft blühte die Korruption. Xianfeng (1831-1861), der 1850 als Kaiser eingesetzt wurde, hörte von der Einzigartigkeit der Kampfkunst des Yang Luchan. Er befahl diesem, in den Dienst des Kaiserhauses einzutreten und seine Kunst dort zu unterrichten. Zudem berief ihn die Kaiserfamilie 1850 zum obersten Leibwächter des Kaisers. Er übernahm diese Aufgabe nur ungern und unterrichtete lediglich die äußere Form als eine Art der Gymnastik, ohne auch nur im geringsten auf die Philosophie und die mentale Disziplin seiner Kunst einzugehen. Sein tieferes Wissen gab er nur an seine Söhne weiter, obgleich er wusste, dass es ihn das Leben gekostet hätte, wenn der Kaiser davon erfahren würde.

      Wu Yu-hsiang (1812-1880) war ein Schüler Yangs. Er schuf später seinen eigenen Stil, den Wu-Stil.

      Sun Lutang (1861-1933), kreierte den Sun-Stil.

      Yang Chengfu (1883-1936), war die bekannteste Person im modernen Tai Chi Chuan. Er lehrte seine Form in langsamer, sanfter Ausführung. Er stellte die Gesundheitsaspekte an die erste Stelle. Ihm ist es zu verdanken, dass Tai Chi heute eine solch große Popularität erreicht hat.

      Meister des Tai Chi wurden stets hoch geachtet, da sie als weise galten. Viele von ihnen waren Gelehrte, die beispielsweise auf dem Gebiet des Rechtswesens, der Wohltätigkeit, der Bildung oder der Medizin tätig waren.

      Die Anhänger des Tai Chi glaubten, dass Menschen durch Disziplin zu einem gesunden, freundlichen und spirituellen Lebenswandel gelangen sollten. Sie sollten denen helfen, die Hilfe benötigen und ihnen ein Gefühl des Vertrauens vermitteln. Die Entwicklung innerer Stärke und Standfestigkeit war der eigentliche Kernpunkt dieser Form der Kampfkunst.

       1.2. Tai Chi als Kampfkunst

      Ich möchte an dieser Stelle einige Überlegungen über die Kampfkunst einflechten, nicht zuletzt natürlich auch deswegen, weil Tai Chi von Anfang an eine Kampfkunst war, bei der es um mehr als die reine Kunst des Kämpfens ging. Bereits Chang San-feng soll gesagt haben: »Ich wünschte, die Menschen würden sich in der Kunst der Verlängerung des Lebens üben und nicht so sehr auf die groben und oberflächlichen Kampftechniken bedacht sein.« – Ich denke, dass es nicht zu weit hergeholt ist, diese Aussage als einen Aufruf zu Gewaltlosigkeit aufzufassen, denn es geht um nichts weniger als den Wert des menschlichen Lebens, der hier hervorgehoben wird. Und der beste Schutz des menschlichen Lebens besteht darin, sich einen gesunden Körper und einen gesunden Geist zu bewahren und Gewalt zu vermeiden. Für beides ist die ausdauernde Praxis des Tai Chi eine ausgezeichnete Voraussetzung.

      Mahatma Gandhi (1869-1948) wurde von seinen Getreuen, nachdem viele Inder beim Widerstand gegen die britischen Kolonialherren schwer verletzt worden waren, gefragt: »Warum wehren wir uns nicht?« – »Ein Auge für ein Auge – dann wird bald die ganze Welt blind sein«, war Gandhis Antwort. In seinen Schriften findet sich zudem die interessante Aussage: »Gewaltlosigkeit bedeutet keineswegs Ablehnung jeglicher Konfrontation mit dem Bösen. Sie ist meiner Auffassung nach, im Gegenteil, eine Form eines sehr aktiven Kampfes – echter als der gewalttätige Gegenschlag, dessen Wesen im Grunde die Vermehrung der Boshaftigkeit ist.«2

      Der Begriff »Kunst« bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist. In der Antike wurden als freie Künste (artes liberales) jene Kenntnisse und Fähigkeiten bezeichnet, die einem freien Mann, nicht aber einem Sklaven zur Verfügung standen. Heute verstehen wir als Kunst im engeren Sinne kreative menschliche Tätigkeit, die nicht eindeutig auf funktionale Zweckmäßigkeit abzielt. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines schöpferischen Prozesses. Wer systematisch eine Kunst ausübt, wird als Künstler bezeichnet.

      Die Kampfkunst wird auf Lateinisch als »ars martialis« bezeichnet, die Kunst des römischen Kriegsgottes Mars. Das verweist darauf, dass Kampfkünste in der Vergangenheit vorrangig für die Vorbereitung auf den Krieg geübt wurden. Vor allem im Fernen Osten entwickelten sich die Kampfkünste jedoch auf eine Weise weiter, dass in zunehmendem Maße Aspekte wie Philosophie, Religion und auch Heilkunde darin einflossen und mitunter sogar ein größeres Gewicht gewannen als die eigentlichen Kampftechniken, die oft nur noch als Mittel zum Zweck angesehen wurden. Wobei der Zweck zum Beispiel darin bestand, dem Menschen zu helfen, seinen Charakter zu entwickeln, sich von den Fesseln seines Egos zu befreien, sich selbst zu ergründen, um das eigene Wesen besser kennenlernen zu können und so einen Sinn im Leben zu finden.

      Dr. Jwing Ming Yang, ein zeitgenössischer Meister des Weißen-Kranich-Stils und Tai-Chi-Experte (Yang-Stil), schrieb in diesem Zusammenhang, dass sein Meister Gin Gsao Cheng ihm erklärt habe, dass das Ziel eines jeden Kampfkünstlers nicht das Kämpfen sei. Es gehe nicht darum, in der Lage zu sein, seinen Gegner zu überwältigen. Das eigentliche Ziel beim Erlernen einer Kampfkunst bestehe darin, den Sinn des Lebens zu entdecken. So wird aus der Kampfkunst ein Lebensweg. – Letzten Endes geht es nicht einmal darum, ob man eine Kampfkunst oder eine andere Kunst praktiziert. Auch jemand, der beispielsweise Klavier spielen lernt, wird dabei viel über sich selbst erfahren, und er wird lernen, sich zu disziplinieren und all seine Energie auf ein bestimmtes Ziel auszurichten.

      Es geht in jedem Fall um das stete Bemühen, sich zu verbessern, zu vervollkommnen. Die Weisheit, die wir auf diesem Weg erlangen, ermöglicht es, unsere Gefühle zu verstehen und zu beherrschen und generell zu einem höheren, spirituellen Verständnis für unsere eigentlichen Ziele im Leben zu gelangen. Um solch ein Verständnis zu erreichen, bedürfen wir jedoch eines großen »Feindes«, den wir bezwingen müssen. Und dieser große Feind sind wir selbst, genauer gesagt, unser Ego, das unserer freien Entfaltung stets im Wege steht. Und der einzige Weg, diesen ultimativen Feind zu besiegen, besteht in Selbstdisziplin und echtem Verständnis für das Leben.

      Es ist ein interessantes Phänomen, dass so viele Kampfkünste in buddhistischen oder daoistischen Klöstern entwickelt wurden. Die Mönche, die sich solch todbringende Fähigkeiten mit viel Mühe und Ausdauer aneigneten, hatten zwei Beweggründe hierfür: Zum einen ging es um die Fähigkeit, sich gegen die in der Vergangenheit geradezu allgegenwärtigen Banditen zur Wehr setzen zu können, zum anderen gestattete das harte Training es ihnen, einen hohen Grad an Weisheit zu erreichen, die es ihnen ermöglichte, Herr über ihre Emotionen zu werden.

       It’s not because I’m old And it’s not what dying does I’ve always liked it slow Slow is in my blood

      Leonard Cohen

       1.3. Vom Sinn der Langsamkeit

      Unsere heutige Welt ähnelt Olympischen Spielen. Schneller, höher und weiter – das scheint das Motto unserer Zeit zu sein. Wer nicht mitkommt, bleibt irgendwann auf der Strecke. Wir folgen nicht mehr den Rhythmen und Zyklen der Natur, aus der wir doch kommen, und verlieren so unsere Verbindung zu unseren Ursprüngen. Wer jedoch ein gesundes, aufrichtiges und erfülltes Leben führen will, der sollte den Rhythmus der Natur studieren und seinen eigenen daran

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