COLOURS OF HAPPINESS. Dodo Kresse
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу COLOURS OF HAPPINESS - Dodo Kresse страница 2
DAÑIEL KOMMT IN RESONANZ
Die Straßenbahn war gut geheizt, er saß bequem auf dem vordersten Sitz und betrachtete die winterliche Szenerie: Touristen strömten trotz Kälte schnatternd und gestikulierend Richtung Burggarten und Heldenplatz, ein paar Radfahrer, den Schal bis über die Nase gezogen, fuhren den platanengesäumten Ringradweg entlang, Kinder versuchten aus den spärlichen Schneemengen Schneebälle zu formen und einige junge Mädchen trugen immer noch sommerliche Ballerinas und litten sichtlich. Sie hüpften von einem Bein aufs andere, um sich halbwegs warm zu halten. Dañiel lächelte und dachte an seine Tochter, die gerade zu Besuch bei ihrer Tante in Berlin war. Auch seine Steffi fror draußen in Ballerinas und schwitzte im Haus in pelzigen Boots.
Die Straßenbahn ruckelte, er betrachtete die Hausfassaden und Portallösungen, die langsam an ihm vorüberzogen. Da er im Büro gerade an einem Portal für ein Mehrfamilienhaus arbeitete, sah er sich die verschiedenen Eingänge der Häuser noch genauer an. Sein Blick blieb an einem Fenster hängen und ohne es zu wollen, beobachtete er hinter der Scheibe eine Gruppe von Menschen, die sich um ein Aktmodell versammelt hatten. Sein Interesse galt nicht dem Modell, sondern den Schülern, die vor ihren Staffeleien standen und mit geneigten Köpfen und ausgestreckten Daumen die Proportionen maßen. Ihre Gesichter waren gleichermaßen konzentriert wie entspannt. Trotz der Distanz konnte er sehen, wie einer einen gekonnten Strich auf seine Leinwand setzte und damit seine Figur zum Leben erweckte. Rechts neben der Biedermeier-Haustüre hing ein Schild, von dem er gerade noch die ersten Zeilen entziffern konnte, bevor die Straßenbahn wieder anfuhr und die Station verließ: „Kunstkurse – Öl – Acryl – Tempera“, darunter der Satz „Come as you are“ mit einem dicken Filzstift rasch dazugefügt. Er spürte eine leichte Zerrung im Nacken, als er sich nach dem Schild umdrehte, das nun kleiner und kleiner wurde. Nach einem Blick auf die Uhr sprang er zum Ausgang und drückte den Halte-Knopf. Die vorige Station war bloß zweihundert Meter entfernt, sodass er die Strecke bis zur Haustüre in ein paar Minuten wieder zurückgelegt hatte. Außer Atem kam er vor dem Fenster, in das er vorher hinein gestarrt hatte, zu stehen. Fasziniert betrachtete er das Treiben der Kunststudenten. Plötzlich sah er sich um und schämte sich für seine Indiskretion. Aber keiner der Passanten interessierte sich für ihn. Nochmals sah er auf die Uhr und musste feststellen, dass er, wenn er sich nun beeilte, gerade noch rechtzeitig ins Büro kommen würde. Die morgendliche Karte fiel ihm ein. Ganz gegen seine Liebe zur Pünktlichkeit entschloss er sich dazu, sein Smartphone herauszukramen und die Nummer seines Büros anzuwählen. Nachdem er der Sekretärin seine Verspätung bekannt gegeben hatte, stieß er die Haustüre auf und folgte einem weiteren Schild, das den Malkurs im Mezzanin ankündigte.
Die Vorzimmerdame des Ateliers übte sich im Yogasitz und schien zu meditieren. Als er nähertrat, öffnete sie langsam die Augen und sah ihn überrascht an: „Bitte?“
Dañiel stotterte etwas von Kurs und Malen und wußte nicht recht, was er sagen sollte.
„Wollen Sie sich einschreiben?“, fragte sie.
„Naja“, sagte Dañiel und sah sie hilfesuchend an.
Sie schob ihm ein Formular entgegen und bat ihn, es rasch auszufüllen. Dann könne er noch in den Kurs hinein, er hätte erst vor einer halben Stunde angefangen.
„Ich habe nichts mit“, wandte Dañiel ein, doch die fürsorgliche Empfangsdame hatte ihm schon einen großen Skizzenblock, ein paar Pinsel und einen Kasten mit Acrylfarbe in kleinen Tuben bereit gelegt.
„Das macht nichts, mein Herr“, lachte sie, „fürs Erste werden sie damit klarkommen, wir sind hier nicht so streng. Die Ausrüstung für das nächste Mal steht auf dem Beiblatt aufgelistet. Am besten sie gehen dazu in einen der großen Künstlerbedarfsmärkte am Rande der Stadt.“
Und ehe er es sich versah, stand er mitten unter den Malenden an einer Staffelei und versuchte, Körperproportionen halbwegs stimmig aufs Papier zu bringen. Seine Ausbildung kam ihm dabei durchaus zu Hilfe, in Sachen Perspektive war er ziemlich gut, doch sobald es um Farben ging, wußte Dañiel nicht weiter. „Schauen Sie genau hin“, empfahl der Professor, „es gibt kein Hautfarben. Die Haut hat tausend unterschiedliche Farben. Da, wo die Adern verlaufen, geht sie ins Bläulich-Grünliche, dort, wo sie von Pigmentflecken unterbrochen wird, ins Bräunliche, bei den Falten ins Umbra und dort, wo das Licht hinfällt, scheint sie geradezu unverschämt gelb, und am Rand hier, das sieht doch nach einem Türkis aus, was meinen Sie?“
Dañiel nickte und runzelte die Stirn. Er sah genau hin und kniff die Augen zusammen.
„So ist es gut“, lobte der alte Professor, „und nun versuchen Sie ganz gezielt Farben zu verwenden, die sie nicht wirklich sehen, sondern eher fühlen. Etwa ein Violett hier an der Hüftkante und ein Orange am Oberschenkel entlang. Mischen Sie sorgfältig auf der Palette, solange, bis sie das Gefühl haben, dass sie die Farbe einfach unwiderstehlich finden. Sie haben mich schon richtig verstanden: Unwiderstehlich. Das ist wichtig. Sie müssen davon ganz durchdrungen sein. Sich fast ein bisschen lächerlich dabei vorkommen, wie begeistert sie in diesem Augenblick von ihrer Farbmischung sind. Nur dann wird es auch funktionieren.“ Der Professor nahm ihm die Palette aus der Hand, drückte etwas Preußischblau aus einer Tube darauf und holte sich etwas Grün dazu. Mit raschem Pinsel zauberte er ein paar ungewöhnliche Farbfelder auf Dañiels Skizze und lachte leise: „Sehen Sie, was ich meine?“
Dañiel sah beeindruckt auf seine Zeichnung und nickte.
„Wir sind nicht mehr in der spanischen Inquisition, wo Farbverzicht etwas Frommes an sich hatte“, erklärte der Professor weiter und zwinkerte mit den Augen:, „schalten Sie Ihr Gehirn aus und vertrauen Sie Ihrem Gefühl, dann kommt alles in Ordnung. Und legen Sie das Titanweiß aus der Hand. Jede Farbe wird damit milchig und unbrauchbar, heben Sie sich das auf – für ein paar Lichtreflexe am Schluss. Für das Mischen nehmen Sie am besten Zinkweiß, das ist verträglicher!“
Während seiner Lehrjahre im Planungsbüro war Dañiel regelmäßig mit dem Thema Farbe konfrontiert worden, hatte sich aber immer dagegen gewehrt. Es war ihm zu vielschichtig erschienen. Wenn man im Schwarzweiß-Bereich bliebe, mit ein paar Naturtönen gemischt, war man immer auf der sicheren Seite, ganz gleich worum es sich handelte. Ob es sich um Entwürfe für Package-Design, architektonische Besonderheiten, Grafiken, Einrichtungsstile oder Kleiderordnungen handelte – schlicht und puristisch bleiben hieß seine Maxime. Sogar seine Colorationen, die er manchmal bei technischen Skizzen eingesetzt hatte, wirkten seltsam unbunt. Doch plötzlich schien ihm diese Einstellung feige und langweilig. Er begann rote und blaue Farbe auf seiner Palette zu mischen, fügte etwas Mischweiß dazu, ein bisschen Pink und nochmals Kardinalrot. Die Farbmischung glänzte und lockte, wurde immer röter und lebendiger, bis sie das zu sein schien, was der Professor mit „unwiderstehlich“ betitelt hatte. Das nennt man wohl in Resonanz geraten, dachte Dañiel noch mit einem Rest von Sachlichkeit, bis ihn die Begeisterung vollends mitriss und kleine Entzückensseufzer ausstoßen ließ.
„Was für eine Kraft hat doch dieses Kadmiumrot!“, flüsterte er zu sich selbst und tauchte die Borsten des Pinsels erneut in den Batzen Farbe, „So dominant und lebendig, als wäre es reines Blut.“