Große Brüder und kleine Prinzessinnen .... Hanna Backhaus
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Vorwort zur Neuauflage
Für eine Neuauflage dieses Buchs habe ich es einer kritischen Lektüre unterzogen und, wo nötig, korrigiert, aktualisiert und verschiedene Ergänzungen eingearbeitet. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass dieses Buch dazu beiträgt, sich selbst besser kennenzulernen und die Hintergründe der eigenen Verhaltensmuster zu erkennen und somit an Souveränität zu gewinnen.
Obwohl jeder Mensch das Bedürfnis verspürt, sich selbst besser verstehen zu lernen, wird meiner Meinung nach das Thema „Geschwisterkonstellationen“ zu selten als Schlüssel zur eigenen Persönlichkeit genutzt. Dieses Buch soll Mut machen, die eigene Familienprägung anzuschauen und die „Schätze auf dem Dachboden“ und den „Unrat im Keller“ wahrzunehmen, den es in jeder Familie gibt.
Die Lektüre dieses Buches kann nach dem Sortieren und Entrümpeln der Kindheit zu einer Ermutigung werden, die eigenen Eltern und Geschwister von einem ganz neuen Standpunkt aus zu sehen und eine andere Wertschätzung für sie zu bekommen.
Das wünsche ich Ihnen und viel Freude beim Sortieren und Entrümpeln, auch wenn es Schweiß und Tränen kostet.
Hanna Backhaus
Einführung
Wenn man heute Kindheit beschreiben will, muss man Rücksicht darauf nehmen, dass Kindheit heute anders beschrieben werden muss. Andererseits gibt es Probleme, die seit hundert oder tausend Jahren gleich sind, zum Beispiel die Stellung der Geschwisterreihe in der Familie. (Paul Maar)
„Mamaaaa! Maaama!!“, schrie ich schon im Flur durchs ganze Haus. Keine Antwort. Kein Mensch zu Hause. Mir, die ich zum ersten Mal von meinem Studienort nach Hause kam, machte diese Leere schmerzlich bewusst: Hier gehöre ich nicht mehr hin. Ich bin von nun an auf mich allein gestellt. Für mich war das ein ganz persönliches Aha-Erlebnis.
Die momentane Leere meines Elternhauses machte mir schlagartig klar: Meine Eltern, meine sieben Geschwister, in deren Verbund ich bis dahin einen festen Platz eingenommen hatte, waren nicht mehr mein Umfeld. Diese Familie war sozusagen meine Startrampe gewesen. Jetzt aber war sie nicht mehr das unlösliche Geflecht, in dem ich meinen Platz ausfüllen musste.
Ich bin das dritte Kind meiner Eltern, in ihrem dritten Ehejahr wurde ich geboren. Innerhalb der nächsten neun Jahre kamen noch fünf weitere Kinder dazu. In einer solch großen Geschwisterschar bilden sich immer Untergruppen; sozusagen Familien in der Familie. So war ich einerseits die jüngere Schwester eines Bruders und einer Schwester, andererseits war ich die ältere Schwester für eine jüngere Schwester und vier Brüder. Ich habe also die Züge eines jüngsten, eines mittleren und eines ältesten Kindes. Mit diesem Potenzial wurde ich in mein Leben entlassen, das ich von nun an selbst gestalten wollte. An jenem Tag, an dem ich allein im Flur stand, kam ich mir wie ein aus dem Nest geschubster Vogel vor, der auf dem Erdboden sitzt, sich umblickt und merkt: Jetzt muss ich fliegen lernen.
Natürlich erlebt jeder die Loslösung vom Elternhaus auf seine Weise. Der eine ist froh, die Enge des Nestes verlassen zu können, in dem alle um die Wette piepen und schreien, damit ihre Bedürfnisse wahrgenommen und befriedigt werden.
Der andere merkt schmerzlich: Jetzt hilft kein Schreien und Fordern mehr, jetzt bin ich auf mich selbst gestellt.
Manche bleiben gleich im Nest sitzen und lassen sich bedienen im Hotel Mama, genießen die Vorteile und blenden die Nachteile aus.
Auf meinem Weg ins Erwachsenenleben musste ich mich zunächst mir selbst stellen, meinen Ängsten, meinen Abneigungen, meinen lieb gewonnenen Gewohnheiten. Diese inneren Auseinandersetzungen halten an und dringen nach außen, zum Beispiel in der Ehe mit einem Mann, der ganz anders ist. Oder im Zusammenleben mit meinen drei Kindern, die mir deutlicher als jeder andere vor Augen führen, wo meine Begabungen, aber auch meine Grenzen sind.
Im Zusammenleben mit diesen vier Menschen wurden Spuren, die meine Kindheit hinterlassen hatte, aufgedeckt. Dazu kommt das große Beziehungsgeflecht in Verwandtschaft, Beruf und Kirchengemeinde. In alldem begegne ich nicht nur den anderen, sondern auch immer wieder mir selbst.
Erst wenn wir unserer Ursprungsfamilie weitgehend eigenständig gegenüberstehen, werden wir zu selbstbewussten und selbstbestimmten Menschen. Wir erleben sie als Schutz, als Begrenzung und immer wieder als Konfliktpotenzial. Jeder hat aus den Erfahrungen seiner Kindheit sein ganz eigenes Lebenshaus gebaut und selbstverständlich muss er auch darin leben.
Dieses Buch beschreibt das Baumaterial, das die Geschwisterkonstellation einer Person liefert. Mit diesem Material baut ein Mensch je nach dem ihm mitgegebenen Talent und Temperament sein Lebenshaus.
Dieses Buch gibt Ihnen die Möglichkeit, sich mit sich selbst unter dem Aspekt der Geschwisterkonstellation auseinanderzusetzen. Es ist auch interessant, die Entwicklung der eigenen Kinder aus diesem Blickwinkel zu sehen. Eine solche Betrachtungsweise kann zeigen: Eltern sind nicht an allem „schuld“; auch die Geschwister erziehen sich untereinander, allein schon durch die Position, in die sie hineingeboren werden.
Eltern sind nicht an allem „schuld“; auch die Geschwister erziehen sich untereinander, allein schon durch die Position, in die sie hineingeboren werden.
Wozu kann eine solche Selbstanalyse dienen? Wie kann ich dieses neu gewonnene Wissen über mich verwerten, sodass es gute Früchte trägt in meinem alltäglichen Leben und die Menschen, die mit mir leben, davon profitieren können?
Es ist in unserer Zeit wichtiger denn je, dass die Familie der Ort der Geborgenheit und die Zukunftswerkstatt unserer Gesellschaft ist. Ich bin überzeugt: Es ist ein lohnendes Unternehmen, wenn wir in dieser Keimzelle der eigenen Familie ansetzen und uns fragen: Wie kann ich mit meiner eigenen Prägung – und vielleicht trotz meiner eigenen Prägung – Familie so gestalten, dass aus ihr wiederum lebensfähige Menschen hervorgehen? Sie mögen unvollkommen, aber lebenstüchtig sein und das auch ihren Kindern weitergeben. Was macht solche Lebenstüchtigkeit aus?
Ich glaube an einen Gott, der uns zu seinem Ebenbild und Gegenüber geschaffen hat. Ich gehe davon aus, dass wir in unserem Menschsein Gott ähnlicher sind, als wir meinen. Wir nehmen in der Regel an, dass unsere Unvollkommenheit uns von ihm trennt. Ich bin überzeugt, dass uns weniger unsere Unvollkommenheit als unsere Überheblichkeit von ihm trennt. Wir sind überheblich, wenn wir Gott nicht anerkennen als den, der er ist, nämlich der Einzige, der unser Leben wirklich durchblickt und infolgedessen auch den Maßstab für dieses Leben geben darf. Wenn ich aber glaubend davon ausgehe, dass einzig Gott mein Leben in der Hand hält, dann ist es sinnvoll und ertragreich, mir Gedanken zu machen, wie ich mit der Prägung in meiner Familie so leben und umgehen kann, dass es für mich und die anderen ein Gewinn ist. Darin erfüllt sich Lebenstüchtigkeit im besten Sinn.
Nicht zuletzt soll das Buch auch Hilfestellungen zur Gestaltung des Familienlebens geben. Denn in jeder Familie herrscht eine eigene Atmosphäre, die von Eltern und Kindern geprägt wird. Wenn wir im Bild des Lebenshauses bleiben, ist das Miteinander in der Familie der Mörtel. Es fügt das Baumaterial, das die Geschwisterposition liefert, zusammen. Die Geborgenheit in einem tragenden Beziehungsgeflecht gibt einem Menschen die Stabilität, die ihn in der Auseinandersetzung mit sich und anderen lebenslang bestimmt.
Kapitel 1
Über die Bedeutung des
Familienverbandes für den Menschen
Die