Der Grashalm. Adrian Plass

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Der Grashalm - Adrian Plass

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ausgelaugt von Müdigkeit und der ständigen Anstrengung, den Anblick von Dans Augen aus meinem Bewusstsein fernzuhalten, überließ ich Biggles, Algy, Ginger und Bertie ihren eigenen Weltrettungsbemühungen und döste ein. Es schienen nur Sekunden vergangen zu sein, als ich von dem Geräusch der sich öffnenden Schlafzimmertür wach wurde.

      »Papa«, sagte eine dünne, ängstliche Stimme vom anderen Ende des Zimmers her.

      Ich setzte mich auf. Meine Tochter, im Halbdunkel nur undeutlich zu sehen, stand in der Tür, einen ihrer Plüschfreunde fest im Arm umklammert. Ihre Füße, zwei kleine, ausgefranste Enden, waren hell erleuchtet von einem schmalen Strahl gelben Lichtes von der Straßenlaterne vor dem Flurfenster. Curly war noch nicht so groß, dass man ihr nicht hätte helfen können, noch lange nicht. Ich konnte ihr alles geben, was sie in dieser Nacht brauchte.

      »Hallo, mein Schatz«, sagte ich leise, »was machst du denn hier?«

      »Ich bin aufgewacht und hatte ein bisschen Angst, weil es so dunkel war, Papa.«

      »Dann komm zu Mama und Papa ins Bett, Liebling. Dann haben wir keine Angst mehr vor der blöden Dunkelheit, oder?«

      Die Füße verschwanden, als Curly die zwei Meter bis zum Bett tappte, mit einer helfenden Hand von mir heraufkletterte und sich in die Lücke zwischen Violet und mir stürzte wie ein Soldat, der ins Schützenloch hechtet.

      »Ist das Curly?«, murmelte Violet schläfrig. »Alles in Ordnung, mein Liebling?«

      »Nur ein bisschen Angst, Mami«, sagte Curly, wobei sie zum Sprechen ihren Daumen aus dem Mund nahm und ihn hinterher wieder hineinsteckte.

      »Nun, aber jetzt ist alles gut, nicht wahr, Curly-Maus?«

      Curly nickte lebhaft auf dem Kissen, als Violet sie auf den Hinterkopf küsste, bevor sie sich wieder umdrehte, um weiterzuschlafen. Ich lag noch eine Weile wach und sah zu, wie der Schlaf und die Geborgenheit die Furcht aus dem Gesicht des kleinen Mädchens vertrieben. Schließlich hörten die Saugbewegungen auf, Curlys Daumen fiel aus ihrem Mund, und sie begann tief und gleichmäßig zu atmen. Wieder einmal war die Dunkelheit besiegt.

      Es könnte Danny sein, der da liegt, dachte ich, während ich in dem Licht, das durch das verhangene Fenster über dem Kopfende des Bettes hereindrang, Curlys unbekümmertes Gesicht studierte – es könnte genauso gut Danny sein, der da liegt. Viele Male war es Danny gewesen, als er noch ein kleiner Junge gewesen war; als er noch ganz offen verletzlich und ängstlich gewesen war wie seine Schwester heute Nacht; als Violet und ich noch in der Lage gewesen waren, so ziemlich jedes Problem, das ihm begegnen konnte, mit einem Kuscheln oder einer Ablenkung oder einer jener akademischen Erklärungen, die er so sehr liebte, zu lösen; als er noch Danny gewesen war und nicht Dan und sein Leben so glücklich war, dass ich mir wirklich nicht hatte vorstellen können, wie er je etwas anderes als zufrieden würde sein können, wenn er älter wurde. Ich hatte so viel von mir selbst in dieses Kind hineingegeben – das Beste, was ich hatte. Mich selbst ohne Manipulationen und die Schmollerei und die unmerkliche Vernachlässigung, deren ich in all meinen anderen Beziehungen fähig gewesen war. Wie konnte es sein, dass er jetzt nicht glücklich war, wo ich ihm damals doch so viel mitgegeben hatte? Würde ich das alles mit Curly noch einmal erleben, wenn sie älter war? Kummer und Schmerz durchliefen mich in Wellen, während ich darauf wartete, dass der Schlaf kam.

      Es fällt mir sehr schwer, Danny zu verzeihen, dass er unglücklich ist.«

      Das war die Bemerkung, die den folgenden Tag so einen schlechten Anfang nehmen ließ, und ich schätze, ich wusste, wenn ich ehrlich bin, dass sie bei Violet überhaupt nicht gut ankommen würde. Sie war seit halb sieben auf und mit einem völlig begeisterten Kind beschäftigt. Curlys Augen sprangen jeden Morgen auf wie platzende Blasen. Sie sah keinen Sinn darin, auch nur einen Moment eines dieser wunderbaren Tage, die wie durch Zauberei immer wieder aufs Neue entstanden, mit Dösen oder wach im Bett liegend zu vergeuden. Außerdem war heute einer ihrer beiden Spielgruppentage, und Valerie, die Leiterin, hatte den Kindern versprochen, dass sie am Donnerstag mit Fingerfarben malen dürften. Heute war Donnerstag. War für eine Freude! Curly hatte ihre Freude bereits seit zweieinhalb Stunden mit Mami geteilt, als ich mich mit verquollenen Augen hinunter in die Küche schleppte. Violet hing über der Zeitung von gestern und einem deprimierend aussehenden Stück Toast, als ich mein Eröffnungs-Statement abgab. Sie blickte nicht einmal auf, als sie antwortete.

      »Es macht mir nichts aus, mit Curly aufzustehen und Dan in die Schule zu schicken, während du da oben deine Leichenimpression aufführst, aber ich bin nicht bereit, für dich das Publikum zu spielen, wenn du daherredest wie so ein drittklassiger Oscar Wilde. Falls du mich überzeugen möchtest, dass du ein Schriftsteller bist, dann wäre mein Tipp, dass das überzeugendste Argument dafür ein Blatt Papier wäre, auf dem tatsächlich etwas geschrieben steht. Du hast heute immer noch ein paar Stunden zum Arbeiten übrig, falls du dir nur halb so viel Zeit zum Frühstücken nimmst wie gestern.«

      Ich wäre beinahe umgefallen. Violets Fähigkeit, mich mit Worten in zwei Hälften zu schneiden, wenn sie es wirklich darauf anlegte, war schon immer zu viel für mich gewesen. Diverse Repliken schossen mir hintereinander durch den Kopf. Ich wollte sie darauf hinweisen, dass ich geredet hatte wie ein viertklassiger Gilbert Chesterton, nicht wie ein drittklassiger Oscar Wilde. Ich wollte ihr sagen, dass ich eine brillante Idee für einen humoristischen Roman hätte, so gut entwickelt, dass ich schon heute mit der Niederschrift beginnen könnte. Am meisten jedoch wollte ich ihr sagen, dass ich wirklich etwas gemeint hatte mit dem, was ich gerade gesagt hatte. Es stimmte, dass ich einige Zeit damit verbracht hatte, mir meine Worte zurechtzulegen, während ich mich wusch und anzog und mein Biggles-Buch versteckte, aber das nur deshalb, weil ich das Gefühl hatte, meine Verletzlichkeit mit etwas Würde umkleiden zu müssen. Hätte ich meine Gefühle in ihrer rohen, unverschleierten Form herausgelassen, so hätte es vielleicht damit geendet, dass ich mich auf dem Boden gewälzt und mir die Augen ausgeheult hätte. Niemand hatte mich je so gesehen, und Violet würde nicht die Erste sein. Dennoch wollte ich, dass sie wusste, dass ich mich wirklich schlecht fühlte. Ich steckte eine Scheibe Brot in den Toaster.

      »Ich wollte nicht einfach nur eine clevere Bemerkung machen, Violet, ich war wirklich unglücklich gestern Abend, weißt du.«

      Violet lehnte sich zurück und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, bevor sie antwortete.

      »Dan ist ein vollkommen normaler Teenager, Paul. Gestern Abend hat er uns spüren lassen, dass er gerade ein paar vollkommen normale Probleme durchmacht, die vollkommen normale Fünfzehnjährige nun einmal durchmachen. Es ist nichts Tragisches dabei, wenn er manchmal ein bisschen bedrückt ist. Er wächst heran und verändert sich; das ist alles.«

      »Das weiß ich, aber …«

      »Wovon du in Wirklichkeit redest, das bist du selbst. Du kannst nicht akzeptieren, dass deine Beziehung zu ihm sich ebenfalls verändert. Du kannst nicht mehr alle Probleme für ihn lösen, und ich kann es auch nicht. Warum sollten wir auch erwarten, das zu können? Du willst doch nicht, dass er sein Leben lang in einer Art vorpubertärer Abhängigkeit bleibt, oder? Oder vielleicht willst du das. Ich will es jedenfalls nicht!«

      »Natürlich will ich nicht …«

      »Im Übrigen braucht Dan dich und mich im Grunde jetzt noch mehr als vorher. Er ist unsicher, wer er ist und wohin er unterwegs ist. Was er braucht, ist, dass wir als Stütze im Hintergrund für ihn da sind, nicht, dass wir uns selbst bemitleiden, weil er es nicht mehr schafft, uns so glücklich zu machen wie früher. Tut mir leid, dass ich dich nicht in Ruhe unglücklich sein lasse, aber ich glaube, du musst dich um Dans willen der Wirklichkeit stellen.«

      Violet

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