Die Erben der Etrusker. Charlotte Ueckert

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Erben der Etrusker - Charlotte Ueckert страница 4

Die Erben der Etrusker - Charlotte Ueckert

Скачать книгу

den auf gleicher Höhe liegenden Städten der Lebenden und der Toten, nahe beieinander.

      Nein, Goethe hat nichts über den Berg geschrieben, aber dafür viele andere Dichter.

      »Du siehst den Soracte, weiß von hohem Schnee«, dichtete Horaz. Später schrieb der englische Italien-Besucher Lord Byron:

      »(...) Du, Soracte

       der einsam ragt und nimmer den Mantel

       aus Schnee dir über die Hüften breitest

       du bannst mir den Blick, die Gedanken.

       Denn du erhebst dich hoch aus dem Tal

       Gleich der windgeschlagenen Welle,

       die sich lockt und ein Wimpernblinzeln lang

       schwebend steht, ehe sie bricht.«

      Sehr nachvollziehbar, der Vergleich mit der Welle. Und Lord Byron bezeugt, dass wohl in den letzten Jahrhunderten kein Schnee den 691 Meter hohen Berg geziert hat, Zeugnis eines Klimawandels? Im strengen Winter 2011/12 lag Schnee in Rom. Bestimmt auch auf dem Soratte.

      Kein Reisender konnte ihn übersehen, den isoliert wie ein mächtiges Ungetüm ruhenden Kalksteinfelsen inmitten eines weiten Tales, durch das der Tiber fließt. Er ist nicht so stark der Erosion ausgesetzt, wie die Tuffsteinfelsen an den Talhängen, in die der Wind bizarre Formen geschliffen hat, wo nur im Frühjahr grüner Bewuchs zu sehen ist und nur, wenn der Winter feucht war. Im Pliozän, vor zwei bis sechs Millionen Jahren, muss er eine wirkliche Insel im Meer gewesen sein, darauf lassen seine sand- und tonhaltigen Böden schließen. Das wissen Geologen, die sich mit Jahrmillionen beschäftigen, wogegen die etwa 2 800 Jahre, die mich jetzt beschäftigen, nicht mehr als ein Augenblick sind. Noch kürzer, aber schrecklich genug, war die Zeit der deutschen Besatzung von Oktober 1943 bis Juli 1944. Ein strategisch wichtiger Punkt war der Monte Soratte, der von den Alliierten bombardiert wurde. Reste der Militäranlagen sind immer noch zu sehen.

      Eine der Zwölferstädte ist Veio, Rom am nächsten und eine der ersten, die sich 396 vor Christus unterwarf. Wie Vulci konnte es seine Unabhängigkeit noch hundert Jahre länger bewahren, nämlich bis 280 vor Christus, als letzter etruskischer Ort. Wie auch Norcia und Castel D’Asso liegt sie auf der Ebene eines Bergrückens, welcher weit in die Tiefe fällt, zerklüftet von einem Fluss, der sich seinen Weg durch die Felsen bahnte.

      Es gibt hier besondere geologische Formationen im Fels, aber die größte Besonderheit ist der Apollotempel, dessen Fundamente von einer filigranen Metallkonstruktion erhöht werden, gekrönt mit Masken und der Statue des berühmten Apolls, heute eines der Glanzstücke in der Villa Giulia in Rom. Er lächelt freundlich und hat so für unser Bild den vermuteten Charakter der Etrusker mitgeprägt. Auch in Veio können wir einen größeren Rundgang machen, der uns zu verschiedenen Gräbern führt. Zweimal kommen wir, mehr durch Zufall, zum Auto auf dem Parkplatz zurück, wo schon seit unserer Ankunft im Schatten eines großen Baumes neben uns ein anderer Wagen aus Deutschland parkt. Zuerst scheint er leer zu sein, aber als wir dort aussteigen, erhebt sich eine Frau auf dem Fahrersitz. Sie kramt im Wagen und ich sehe sie schwer atmen, beinahe prusten. Beim zweiten Treffen steht sie neben der offenen Wagentür, läuft schwerfällig um beide Autos herum.

      »Geht es Ihnen nicht gut?«, frage ich. »Können wir helfen?«

      Sie kann kaum sprechen, ihre Stimme klingt gebrochen, rau, asthmatisch. Sie ist vielleicht fünfzig, ein abgearbeitetes Gesicht, krummer Rücken, die Füße stecken in dreckigen Sandalen. Sie bewegt sich wie eine ganz alte Frau.

      »Leben Sie hier?«, fragt sie zurück. Als ich verneine erklärt sie, sie wohne in der Nähe, das Klima nehme ihr die Stimme, auch die Atmosphäre des Ortes. Ihr italienischer Mann, von dem sie allerdings schon lange getrennt gewesen sei, wäre inzwischen gestorben. Ihr Auto habe sie in Deutschland gemeldet, weil es dort billiger wäre.

      Wir grüßen, gehen weiter den nächsten Weg. Als wir wiederkommen läuft sie immer noch somnambul schwankend und vor sich hin starrend neben den beiden Autos hin und her. Drogen? Eine dieser im Traumland gestrandeten Deutschen? Ich überlege, wie ihr zu helfen ist, aber mir fällt nichts ein, was ihre Souveränität nicht verletzt.

      Wir gehen noch einmal zum Wasserfall, der in der Sonne glitzert. Daneben stehen die Mauern einer alten Mühle, über und über mit roter Schrift bekritzelt.

      ›Eleonora Puttana‹ steht dort und ich denke plötzlich an die Frau. Wartet sie auf dem Parkplatz auf Freier? Schafft sie das, so zerstört wie sie aussieht? Als wir zum Auto gehen, fährt ein anderes mit einem einzelnen Fahrer weg. Zum Abschied winkt sie uns und ich wünsche ihr: »Gute Besserung.« Ja, sie habe sich gerade die Brust eingerieben, es werde bald wirken, sagt sie mit fast verlöschender Stimme.

      Die Via Cassia hinauf ist unser nächster Halt Sutri, wo wir das Amphitheater durch die Gittertür sehen – das Wärterhäuschen, wo es außer den billietti auch den Schlüssel zum Mithras-Heiligtum geben soll, steht verschlossen. Ich wollte meinem deutschen Besucher zeigen, wie aus einer etruskischen Grabanlage zuerst ein Mithras-Heiligtum und dann eine christliche Kirche hervorgegangen war, der Madonna zu Ehren. Die Entwicklung der Spiritualität authentisch nachempfinden. Wie so oft in Italien, blieb nur der Blick von außen.

      Anders als die berühmten römischen Theater ist dieses stufige Halbrund nicht freistehend errichtet, sondern in einen Tuffsteinhügel gebaut, der außen von Gräbern unterhöhlt ist. Es soll noch aus der Etruskerzeit stammen, wie auch die Sitte der Gladiatorenkämpfe Gefangener, die bei den Etruskern nach Begräbnissen ihrer im Krieg gefallenen Kämpfer stattfanden. Erst etwa ab 100 vor Christus setzten auch die Römer Gladiatoren-kämpfe zur allgemeinen Belustigung ein.

      Derartige Brutalitäten lassen sich in der heutigen Toskana kaum noch ahnen. In der Nähe von Grosseto liegen die Ruinen von Roselle, auch eine der Zwölferbundstädte. Schon auf dem Weg dorthin fiel mir auf, wie picobello die Häuser überall renoviert sind, wie viele Agritourismusschilder die Straßen säumen, wunderbare Anwesen mit gepflegten Auffahrten und Swimmingpool. Selbst die Straßen haben dort weniger Schlaglöcher. So gepflegt auch die Ausgrabungsstätte von Roselle. In der Etruskerzeit lag die Stadt, gegenüber der Schwesterstadt Vetulonia, an einer inzwischen verschwundenen Lagune. Vorbildlich ausgeschildert und beschriftet, die etruskischen von den römischen Fundamenten unterschieden, die zwei verschiedenen Wege zum Forum und zu den zyklopischen Mauern aus etruskischer Zeit markiert. Mehr als drei Kilometer zieht sich die Mauer um das Areal, das leider aktuell nicht ganz zu umrunden ist. Von den Römern im Jahr 294 vor Christus erobert, lebte die Stadt auch zur Zeit der ersten Christen, die dort eine Kirche bauten und zum Schrecken der Heiden ihre Toten rund um die heilige Stätte bestatteten, weiter. Erstaunlich, wie die traditionelle Trennung der Lebenden von den Toten sich bis heute erhalten hat. Schönes Wohnen am Friedhof, wie bei uns beworben, weil es dort grün und ruhig ist, bleibt undenkbar hier. So hat sich wieder eine Etruskertradition bewahrt, trotz des späteren Christentums. Roselle, in einer Senke zwischen einem Nord- und einem Südhügel gelegen, mit weitem Blick in die Ebene, verlor seine Bedeutung endgültig, als der Bischofssitz von Papst Innozenz II. ins aufblühende Grosseto in die Ebene verlegt wurde. Das Amphitheater, mit einigen grünen Plastikstühlen versehen, aber ebenso grasüberwachsen wie in Sutri, wirkt hier in der sauberen Toskana ganz harmlos. Die Vorstellung von Gladiatoren oder mit Löwen kämpfenden Christen stellt sich nicht ein. Strahlend weiße Kopien von römischen Statuen blenden uns als Fotokontraste vor den rostroten Ziegeln.

      Wenn ich mit dem Auto eine halbe Stunde von meinem italienischen Zuhause wegfahre, lande ich am liebsten in einem Teich warmen Schwefelwassers. Den Badeanzug habe ich vorher angezogen, so fällt wenigstens das umständliche Umziehen weg. Wenn man gewöhnt ist, am Strand von Sylt alle Kleider abzulegen, um zu baden, kommt es einem in den frei zugänglichen Badestellen mitten

Скачать книгу