Ordo Templi Magica. Karin Bachmann
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Dreizehn Mal stieg die Rauchsäule aus der Räucherpfanne zur gewölbten Decke empor und aus dreizehn Männerkehlen ertönte ein monotoner Gesang. Schwarze Roben raschelten, als sie aneinander rieben, während ein geheimnisvolles, grünes Licht über dreizehn Köpfen erschien. Brennende Fackeln tauchten die Stätte in ein gespenstisches Licht- und Schattenspiel. Und wieder ein schriller, unmenschlicher Schrei!
Paul nahm seine Hand wieder weg und schüttelte über sich selbst den Kopf. Er schoss noch einige Fotos, skizzierte und vermaß seinen Fund und ging dann zurück zu seinem Auto.
Er beschloss am nächsten Tag nach Aachen zu fahren und auch dort nach einem solchen Zeichen zu suchen. Und tatsächlich fand er auch hier unter einem Apostel das keltische Symbol mit dem Satanskreuz in der Mitte. Akribisch beendete er auch hier seine Recherchen und fuhr dann nach Hause. Bis spät in die Nacht saß er noch über allerhand Unterlagen, die er im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte. Er kam zu dem Schluss, dass auch im Kölner Dom solche Zeichen zu finden sein mussten. Seit mehreren Jahren war er aktiv an den Ausgrabungen des Alten Kölner Doms beteiligt und er hatte dort unten jeden Stein umgedreht. Das Grabungsareal war riesig, es wurde allerdings erst seit 1946 archäologisch erforscht. Er war sich jedoch ziemlich sicher, dass dort unten nichts zu finden war, so wollte er sich nochmals dem Neuen Dom zuwenden. Wie gut, dass er nach Köln gezogen war, denn um nicht ständig seine Zeit mit Autofahrten von seinem Heimatort nach Köln zu verschwenden, hatte er kurzerhand die Stelle als Hochschullehrer an der Universität angenommen, und er hatte dadurch auch noch ein regelmäßiges Einkommen.
Kapitel 3
Im Lehrerzimmer ging es heute sehr lebhaft zu, erst dachte Paul, es läge am vergangenen Wochenende und man erzählte sich die neuesten Erlebnisse, doch dann wunderte er sich doch, denn die meisten Kollegen machten ernste Gesichter. So sprach er einen Kollegen darauf an: „Was ist denn hier los? Ist etwas passiert?“
„Ja hast du es denn noch nicht in den Nachrichten gehört? Es sind schon wieder zwei Mädchen spurlos verschwunden. Eine davon besucht unsere Universität!“ Paul war nun auch geschockt, was ging da vor sich?
Nach dem Unterricht rief er Melissa zu sich: „Hast du noch mal etwas von Andrea gehört?“ Melissa schüttelte müde den Kopf.
„Nein, leider nichts!“ Paul zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen und sagte: „Pass auf dich auf, Melissa!“ Das Mädchen nickte bang, denn natürlich hatten alle von den vermissten Mädchen gehört. Dann drehte sich Paul um und verließ den Unterrichtsraum.
Am späten Nachmittag untersuchte er alle Reliefs, Bilder und alle zwölf Apostel im Kölner Dom. Nichts. Aber dann unter dem Erzengel Raphael wurde er fündig. Es war nur ein sehr kleines Zeichen, aber es war eindeutig vorhanden, wieder war es unten am Sockel angebracht. Wie nach dem alten Glauben, oben ist der Himmel und unten die Hölle.
Zu Hause vergrub er sich wieder in seine Aufzeichnungen und nahm die Pfarrkirche St. Gereon, eine von zwölf romanischen Basiliken in der Altstadt Kölns, näher unter die Lupe. Die Geschichte von St. Gereon reichte bis in die römische Zeit zurück und war eines von mehreren Doppelklöstern der Prämonstratenser. Der Doppelorden war schwer umstritten gewesen, denn weibliche und männliche Brüder und Schwestern waren unter einem Dach untergebracht, das wurde nicht gerne gesehen. Gegründet wurde der Orden etwa 1121, und 1141 siedelten die Schwestern in ein anderes Kloster um.
Außerdem rankten sich Legenden um den heiligen Gereon von Köln und die Blutsäule. Der untere Teil der Säule steht in einer fast drei Meter hohen Nische. Die Säule ist seit 1794 nicht mehr vollständig, französische Revolutionstruppen sollen sie nach Paris gebracht haben, auf dem Transportweg zerbrach sie und wurde am Wege liegengelassen. Nur der Stumpf wurde in die Pfarrkirche zurückgebracht, mehrere, kleinere Bruchstücke hatten sich mit der Zeit verloren.
Die Säule trägt eine lateinische Inschrift mit folgendem Wortlaut:
„Adde fidem, fuit hic pridem fusus cruor idem
Ad lapidem, si dem me male, punit idem.”
Nach einer alten Übersetzung lautet die Inschrift:
„Schenke mir Glauben, vor langer Zeit wurde hier eben dieses Blut an dem Steine versprengt, zeig’ ich mich übel, er straft.“
Oder in einem Reim ausgedrückt:
„Glaub es:
Rein an diesem Stein soll einst das Blut geflossen sein.
Sollt ich schuldig sein, so ist hier die Strafe mein.“
Also besagte die Säuleninschrift, dass die Stätte als ein Gottesurteil zu sehen war. Wer eine Blutschuld auf sich geladen hatte, der trat vor diese Säule und erwartete seine Strafe oder Rehabilitation. Man brachte Verdächtige oder Beschuldigte vor die Säule, und hier beschworen sie ihre Unschuld.
Doch welches Blut war laut der Inschrift geflossen? War es das Blut der Soldaten der Kölner Abteilung der Thebäischen Legion und ihrem Anführer Gereon, oder wurde die Säule mit dem Blut der Märtyrer durch deren Hinrichtung bespritzt?
In der Sage galt die Säule auch als „die Schreckliche“, da der merowingische König Theuderich II. bei einem Besuch von St. Gereon auf geheimnisvolle Weise ums Leben kam, nachdem er seinen Bruder Theudebert und dessen kleinen Sohn hatte ermorden lassen.
Sein Kopf brummte ob der Gedanken, die ihm parallel zu den Legenden durch den Kopf zogen. Die Kirche St. Gereon wurde im Krieg zerstört und bei einem Wiederaufbau nach dem Krieg wäre es denkbar gewesen, unterirdische und geheime Bauten anzulegen. Ähnlich wie unter dem Kölner Dom, jedoch nicht zugeschüttet, sondern nachträglich angelegt. Aber das war alles spekulativ.
Kurz bevor er müde sein Bett sank, dachte er noch mal an Andrea. Vielleicht sollte er deren Haus beobachten? Irgendetwas lief da schief, nur was?
Eine Studentin von Paul, sie war im letzten Semester und studierte Archäologie und Geschichte, hatte es ihm besonders angetan. Er fand ihre Augen so faszinierend und überhaupt ihre ganze Ausstrahlung. Er mochte sie gerne, sie war eine der Besten und würde einen guten Abschluss machen. Doch er hütete sich, ihr in irgendeiner Weise zu nahe zu kommen, obwohl er schon einige Male in Versuchung gewesen war sie zum Essen einzuladen. Vielleicht konnte er sie einmal nach den Abschlussklausuren treffen. Ihr Name war Susann und er hatte den Eindruck, dass auch sie ihn mochte.
Er schüttelte leicht seinen Kopf, um die Gedanken an Susann abzustellen und schweren Herzens konzentrierte er sich wieder auf den Unterricht. Er musste aufpassen, dass er von seinen Studenten nicht beim Träumen erwischt wurde, denn so etwas bekamen diese gleich spitz. In der Mittagspause ging er zu seinem Wagen und fuhr zum Haus von Andreas Eltern. Er parkte gegenüber und beobachtete das Haus, während er in sein belegtes Brötchen biss, welches er sich mitgebracht hatte. Eine Nachbarin kam vom Einkaufen, ein kleiner Junge mit einem Roller fuhr ständig die Straße auf und ab, aber sonst passierte überhaupt nichts. Seufzend startete er den Motor und fuhr zurück zur Universität. Er nahm sich vor, es noch mal nach dem Unterricht zu versuchen.
Schon seit zwei Stunden saß Paul wieder in seinem Auto und beobachtete das Haus. Diesmal hatte er ein wenig weiter vom Haus entfernt geparkt, er wollte schließlich nicht entdeckt werden.