Karpfenkrieg. Werner Rosenzweig

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Karpfenkrieg - Werner Rosenzweig

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      „Jeder Amtmann soll auf unseren Landgütern Fischweiher halten, wo sie schon waren, ja er soll sie mehren, wo dies möglich ist, und wo früher keine waren, solche aber jetzt sein könnten, solle er sie neu anlegen.“ Das befahl Karl der Große seinen Untertanen, die damals im Mittelalter im heutigen Gebiet des Karpfenlandes Aischgrund lebten. Die wasserstauenden Tonschichten, der Wechsel von Sand und Tonschichten, sowie die klimabegünstigte Lage im Windschatten des Steigerwaldes boten ideale Voraussetzungen für die Entstehung einer der größten Teichlandschaften Mitteleuropas.

      Heute ist der Aischgrund das Land der tausend Teiche: Rund 1200 Teichwirte bewirtschaften circa 7000 Weiher mit einer Uferlänge von ungefähr 1400 Kilometern. Mit seinen beeindruckenden Weiherketten und romantischen Landschaften lädt der Aischgrund zu einer Fülle von Urlaubsaktivitäten ein und entwickelt sich immer mehr zu einer beliebten Ferienregion. Auf herrlich gelegenen Radwegen und bezaubernden Wanderrouten – immer in Reichweite: ein Blick auf einen der vielen tausend Teiche – passiert der Urlauber Zeugnisse des Glaubens und der Kultur: Schlösser, Burgen und Kirchen, historische Mühlen, sehenswerte Museen und wunderschön restaurierte Fachwerkhäuser. Ein Idyll, eine heile Welt.

      Wirklich eine heile Welt? Wir haben einige Akteure in diesem Buch vor dem 17. August 2014 befragt, denn an diesem Tag begann das große Sterben. Heute könnten einige von ihnen nicht mehr Rede und Antwort stehen. Die Hälfte von denen, die hier ihre Stimmen erheben, sind leider schon verstorben. Durch Mörderhand. Warum und weshalb, das werden wir in der nachfolgenden Geschichte ja erfahren. Damals sagten sie jedenfalls:

      „Alles Quatsch“, widersprachen Johann Hammer, Horst Jäschke und Gisbert Holzmichl, die drei Teichwirte aus Röttenbach, Neuhaus und Röhrach, „die Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen will uns verarschen – alles Lug und Trug – und der Kormoran, dieser Hundskrüppel, frisst uns unsere Karpfen weg. So schnell können wir gar nicht schaun. Nichts ist in Ordnung.“

      „Endlich geschafft“, triumphierte damals dagegen der Hornauers Jupp. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen. „Endlich ham wir die geschützte geografische Zertifizierung für unsere Aischgründer Karpfen grichd. Is ja a Zeit wordn.“

      Viele Teichwirte sahen das anders. Viele durchblickten das gewiefte Spiel des alten Jupp sofort. War er es doch, der den größten persönlichen Vorteil aus der Zertifizierung zog. Der kleine Karpfenbauer, mit der Figur eines Kugelblitzes, war seinerzeit der ertragsstärkste Erzeuger der Region und ein Verfechter artgerechter Fischzüchtung. Nahezu alle Fischteiche um Krausenbechhofen gehörten ihm, und damit war er immer noch nicht zufrieden. Ständig versuchte er, weitere hinzuzukaufen. Aber, wie das im Leben so ist, er hatte nicht nur Freunde und Bewunderer, er hatte auch viele Feinde.

      Heino Wassermann, Vorsitzender des Vereins „Umwelt und Tierisches Leben e. V. Hemhofen-Röttenbach“ und seines Zeichens Siemens-Ingenieur in Erlangen, lebte dagegen in zwei Welten: In der beruflichen Frustwelt und in der Frustwelt des gemeinnützigen Vereins, dessen Vorsitzender er seit einem Jahr war. Das berufliche Ambiente kotzte ihn an, weil er mit seinem Gehalt immer noch nicht im übertariflichen Bereich gelandet war. Mit der Vereinsarbeit, welche er gerne und motiviert übernommen hatte – damals vor zwölf Monaten – war er auch bald unzufrieden, weil der Verein in seinen Bemühungen um eine Verbesserung der Umwelt und des Tierartenschutzes nicht so schnell vorankam, wie er sich das vorstellte.

      Margot Segmeier, Vereinspräsidentin der „Ferienregion Aischgrund e. V.“, hätte fast verkannt, welche Chancen ihr die Zwistigkeiten und schließlich die scheußlichen Morde boten, welche sich um die geografisch geschützte Zertifizierung des „Spiegelkarpfen a. d. A.“ ergaben. Die gebürtige Preußin – vor vielen Jahren aus Paderborn zugezogen – machte ihren Job gut. Ihre Aufgabe war die touristische Erschließung des Aischgrundes, und sie hatte tatsächlich viele gute Einfälle. Die organisierten Tatort-Führungen war eine ihrer besten Ideen und der Renner in ihrem Ferienprogramm. Davon war sie damals überzeugt. In Folge explodierten die Übernachtungskapazitäten der Hotels und Gasthöfe in der Region. Die Anzahl der Feriengäste stieg proportional zur Anzahl der Morde. Als diese schließlich aufgeklärt waren, hätte Margot Segmeier am liebsten selbst still und heimlich weitergemordet, wenn da nicht dieser unschöne Vorgang gewesen wäre, der sie selbst in Angst und Schrecken versetzte.

      Aber nun genug der Worte, bevor an dieser Stelle bereits zu viel verraten wird. Tauchen wir nun ein, in die Geschichte um den fränkischen Karpfenkrieg, der – wie wir bald lernen werden – mit äußerster Härte und Rücksichtslosigkeit geführt wird. Aber so sind sie halt, die Franken: Sie üben Zurückhaltung und viel Geduld, aber wenn die rote Linie mal überschritten ist, dann …

      Der Anblick war grotesk. Der Körper des Mannes lag bäuchlings auf der schwarzen Folie der Fahrsiloanlage. Seine Arme waren im Neunzig-Grad-Winkel unnatürlich vom Körper abgespreizt. Wie ein lebloser, riesiger Kormoran sah er von oben betrachtet aus. Der Mann war tot. Mausetot. Das konnte selbst ein Laie erkennen, denn die Folie war auf einer Länge von circa fünfzig Zentimetern eingeschnitten und der Kopf des Toten steckte bis zum Halsansatz im Innern der Gärfutteranlage. Der Mann rührte sich nicht mehr. Keine zwanzig Zentimeter daneben stand das transportable Gasmessgerät X-am 5000 der Firma Dräger. Es gehörte Thomas Rusche. Der Forensiker trug einen Atemschutzanzug, der ihn vor den tödlichen Gasen schützte, die immer noch als Stickstoffmonoxid, Stickstoffdioxid und Kohlendioxid aus dem Schlitz entwichen. Thomas Rusche hatte schon viele sonderbare Todesarten untersucht, aber ein Toter auf einer Silage, der offensichtlich von den austretenden, tödlichen Gasen dahingerafft wurde, fehlte ihm noch in seiner Sammlung. Den Kommissar, das Team der Kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung und den Rest der Polizeikräfte hatte er angewiesen, in sicherem Abstand zu warten, bis er seine Arbeit beendet hatte und ihnen weitere Anweisungen erteilen würde.

      Erst vor wenigen Minuten war der große schwarze Vogel auf den knorrigen Ast der Schwarz-Erle geflogen, der weit über die Wasseroberfläche des Tiefweihers hinausragte. Der alte Baum, mit seiner tiefrissigen, grauschwarzen Borke, war direkt am nährstoffarmen Ufer des Fischteiches gewachsen und hatte schon viele Karpfengenerationen erlebt, welche sich im Laufe der Jahre in dem trüben, schlammigen Gewässer tummelten.

      Der Vogel äugte auf die heranwachsenden Spiegelkarpfen hinab, die dicht unter der Wasseroberfläche im Schein der warmen, sommerlichen Frühabendsonne dahinzogen. Sie interessierten ihn im Moment nicht. Er war bereits satt und zufrieden. In der letzen halben Stunde hatte er sie während seiner Unterwasserjagd schon gewaltig dezimiert. Nun ruhte er sich aus, blinzelte in die tiefstehende Sonne und streckte seine gewaltigen Schwingen zum Trocknen weit von sich, bevor er sich bald wieder auf den Heimflug machen würde. So verharrte er still und ruhig auf seinem Ast und genoss die idyllische Ruhe, die nur vom Gequake der fetten Wasserfrösche unter ihm unterbrochen wurde. Von der ernsthaften Bedrohung, die sein Leben bald beenden würde, hatte der Vogel keine Ahnung.

      Keine fünfzig Meter von ihm entfernt ragte aus dem Rande eines hochstehenden Maisfeldes der Lauf eines Haenel Repetier-Jagdgewehres. Der Schütze, der die aus bestem Stahl und feinstem Holz gefertigte Waffe ruhig in Händen hielt, blickte mit dem rechten Auge durch das Zielfernrohr. Er hatte den Kormoran genau im Visier. Der Mann atmete ruhig ein und aus. Er wollte sein Ziel nicht verfehlen und suchte den Druckpunkt seines Gewehres. Noch immer saß der Vogel ruhig auf seinem Ast. Johann Hammer, Teichwirt und Jäger zugleich, hasste die gefräßigen Fischräuber bis aufs Blut, welche seit einigen Jahren seine Fischernten deutlich dezimierten. Der Mann kannte den Vogel, der dort auf dem Ast saß. Er nannte ihn den Einsamen Jäger und hatte auf ihn gewartet. Der stattliche Kormoran – es handelte sich um ein männliches Exemplar – gehörte nicht hierher. Er lebte drüben in Neuhaus in einer kleineren Kormorankolonie, aber seit einem viertel Jahr kam er immer wieder hierher und labte sich an Johann Hammers zweijährigen Karpfen, die im Tiefweiher ausgesetzt

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