Regensburg, Du Schöne. Uwe Gröne
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Es gab in der Geschichte Zeitabschnitte, in denen radikale Gruppen meinten und immer wieder neu meinen, um Ziele eines politischen, wirtschaftspolitischen oder religiösen „Glaubens“ zu erreichen, erfordere es ein (normales) rückhaltloses Handeln. Wobei präparierte Gleichschaltung dabei schon immer den Boden bereitet hat.
Die Inkas ‒ das war zu ihrer Zeit völlig normal ‒ opferten ihren Göttern Menschen. In den Glaubenskriegen der katholischen Kirche gegen Andersgläubige wurden, nur ein Beispiel, im Kreuzzug gegen die Katharer in Beziers (Frankreich) 20 000 Menschen an einem Tag aufs Brutalste ermordet. Und das war für die Machthaber, Papst und König, normal. Massenmorde, wie sie auch im Faschismus und Stalinismus passierten, um noch ein paar weitere zu erwähnen, wurden zu ihrer Zeit als normal hingestellt. Sie spielten und spielen sich ständig dort ab, wo die tragenden Faktoren wirtschaftliche, machtpolitische oder religiöse Hintergründe haben und als Begründung dafür genutzt wurden und werden.
Und es war und ist immer das gleiche NORMAL, weil es ja schon immer so gehandhabt wurde. Weil es schon immer so war.
Eine Gruppe von Jesuitenmönchen verteidigte in Carcassonne (Südfrankreich) in einer Diskussion über Katharismus vor einigen Jahren die Ermordung der Mensch in Beziers mit „Nun ja es war nicht gut, aber in dieser Zeit normal und andere Gruppen haben es noch viel schlimmer betrieben.“
Es ist also nicht der Zeitraum der Handlung oder die Art, wie was gehandhabt wurde, wichtig, sondern die geschichtliche Stagnation oder Weiterentwicklung. Entwicklung der Verantwortung von Moral in Sozial- und Gesetzessituationen gegenüber der heute gesamten Umwelt von Machthabern in Staat und Gesellschaft.
In unserer Kultur ist die gesellschaftliche Verantwortung an die Politik abgetreten worden. Es sei viel einfacher, wurde vermittelt, und Bürger akzeptierten träge, kaum Motivation zu haben, Verantwortung zu übernehmen, Kraft und Spielraum zum Agieren im Leben zu bekommen.
Im Zeitalter der angeblichen „Aufgeklärtheit“ findet Verantwortung, vermittelt von Presse, Rundfunk und TV, im herkömmlichen Sinne fast nur noch bestätigend unter Gesichtspunkten des wirtschaftlichen Interesses statt. Bei dieser großen, permanenten sich stetig erneuernden Konditionierung der Gesellschaft ist das Ziel, dass nichts mehr dem wirklichen Zufall, wie beim Wetter, überlassen ist. Im Ablauf des täglichen Lebens ist alles andere auffällig, scheinbar nicht gewünscht, muss entspannt, glatt und schön sein.
Stellen sich einem Betrachter jedoch zwei oder mehrerer Kulturen, die eigene und eine andere ins Blickfeld, ist zu erkennen, wie unterschiedlich „normal“ sein kann.
Wartest Du mit Deiner Kultur in Drittweltländern am Busbahnhof einer Stadt, kannst Du einige junge Frauen sehen, die in dem Bahnhofsgewusel so gekleidet sind wie eben junge Frauen, die in der Stadt leben: chic und modern. Dann fährst Du mit ihnen am Ende des Tages zur Feierabendzeit zufällig mit dem gleichen Bus aufs Land und bist erstaunt, wenn sie an einer kleinen Hütte aus Brettern austeigen. Das ist ihr Zuhause, ihr erlerntes „Normal“, in das sie hineingewachsen sind. Fährst Du dann am kommenden Morgen wieder mit dem Bus in die Stadt zurück, kommt aus dieser kleinen Hütte ein Wesen, wieder chic, bei dem Du Dich kurz fragst: „Wie ist diese Person dahin gekommen? Sie passt nicht.“ Dann erkennst Du dieselbe Person wie gestern, aber anders gekleidet. Für sie ist es alle Tage ein Stück Theater, morgens und abends zwischen den Welten. Ihr „Normal“ und das der anderen, der großen „Normal-Welt“.
Ein anderes Beispiel: Ein alter Mann im gleichen Lebensbereich wird gefragt, welchen Beruf er hatte? Er antwortet, er sei jetzt 87 Jahre alt und er hätte Häuser gebaut und sei so etwas wie ein Baumeister gewesen. Als dann seine Bauwerke zu sehen sind, zeigt es sich, dass er von Hütten geredet hat, die er in seinem „NORMAL“-Verständnis als Häuser ansieht. Ein Haus kann abhängig von der jeweiligen Kultur auch eine Bretterhütte sein, wenn sie die Funktion des Hauses, des Wohnens bietet.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Und aus dieser Komplexität heraus kommen wir zu jemandem in Regensburg, der versucht hat, sich eine interessante, einfache und für alle überschaubare Existenz zu schaffen.
Regensburg, die Schöne (1)
Einblick in einen Teilbereich eines Lebens
Visuelle Schönheit reicht nicht aus, wenn sich die oberflächliche Harmonie nicht mit dem, was sich darunter verbirgt, im Denken und Fühlen von Menschen in ihrem Lebensraum, im Einklang befindet. Im Folgenden bestimmt die Macht des Geldes und deren Besitzer mit, „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“-Gedanken und Ideen, die im Wege stehen, es zu vermehren.
Den Rahmen bildet die lokal festgelegte Ordnungsstruktur. Sie besteht, wird bei Bedarf geändert, neu erlassen und schleift sich danach fast von selbst ein. Der Rest fällt ‒ wo gehobelt wird, da fallen Späne ‒ unter den Tisch und wird weggefegt.
Amaro, ein alternativ wissender, lebenserfahrener, ein verantwortungsvoller Regensburger, arbeitslos schon seit längerer Zeit, wollte sich befreien von den Zwängen der Ämter und von Vorurteilen ihm gegenüber und hatte die Idee, sich auf eigene Weise selbstständig zu machen.
Er wollte das Gelände um das ehemalige Peterstor, in einen gleichbleibend sauberen Zustand versetzen: die Brache des ehemaligen Stadtgrabens, beginnend unterhalb der Brücke, die seit Jahren quasi als Mülldeponie von Passanten unachtsam genutzt wurde, und das anschließende Gelände oberhalb, am Besitz der Gräfin entlang, 100 Meter in Richtung Bahnhof und von der Brücke bis zur Skulptur am Kindergarten am Stadtgraben. Er harkte und sammelte Kippen, Verpackungen und Essensreste von McDonaldʼs, Plastiktüten und Cola-Becher, jeden Tag von früh bis zum späten Nachmittag.
Probleme mit den Stadtgärtnern gab es keine. Sie sahen ihn nicht als Konkurrenten. Es hatte sich bis zu ihnen herumgesprochen, dass er einen Teil ihrer Arbeit machte, ohne dafür Geld zu bekommen. Sie akzeptierten seine Arbeit.
Solange es von der Temperatur her möglich war, wohnte er unter dem Brückenbogen mit provisorischer Waschgelegenheit und lebte von Kleiderspenden und Essenspaketen, die ihm Touristen und Anwohner ausreichend als Anerkennung für seine Arbeit brachten.
Die „Brache“ verwandelte sich über Monate in einen einfallsreichen Garten mit vielen Blumen, Pflanzen und einem hüfthohen großen Herz aus gestapelten Backsteinen mit Sonnenblumen in der Mitte. Die Steine hatte er beim Aufräumen auf dem Gelände gesammelt.
Er wurde ein Anziehungspunkt.
Immer mehr Bürger begannen sich für seine Arbeit zu interessieren, Touristen machten extra in Gruppen oder einzeln einen Schlenker zu ihm, weil sie von ihm gehört hatten. Sie setzen sich eine Zeit nachdenklich auf die Brückenmauer, um zu sehen, was das für ein Mensch sei, der so etwas macht. Er war zu dieser Zeit der am meisten fotografierte Bewohner der Stadt.
Er bettelte nicht, schnorrte nicht, tat ordentlich gekleidet seine Arbeit, die er sich ausgesucht hatte und redete über seine Situation nur kurz und knapp, wenn er gefragt wurde.
Er fand so eigene Zufriedenheit und von den Menschen um ihn herum Anerkennung und Unterstützung.
In kleinen Mengen wurde ihm gegeben, was er brauchte. Für die Arbeit Werkzeug, Pflanzen, Blumensamen und für den Feierabend zum Schlafen eine Hängematte mit Schlafsack.
Wenn er gefragt wurde, warum er das alles mache, war seine Antwort, er wolle etwas Sinnvolles arbeiten, niemanden zur Last fallen und keine Abhängigkeiten.
Mit