Ideologie, Identität, Repräsentation. Stuart Hall

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Ideologie, Identität, Repräsentation - Stuart  Hall

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die tatsächliche Natur der Sprache und des Diskurses wissen. Ideen und Begriffe treten weder in der Sprache noch im Denken in einer solchen vereinzelten, isolierten Weise auf, die Inhalt und Referenz unveränderlich fixiert. Sprache ist im weitesten Sinne der Träger des praktischen, kalkulierenden Denkens und des Bewusstseins, aufgrund der Art und Weise, wie bestimmte Bedeutungen und Gegenstandsbezüge historisch verfestigt wurden. Ihre zwingende Kraft aber beruht auf den ›Logiken‹, die eine Aussage mit einer anderen in einer Kette zusammenhängender Bedeutungen verbinden, dort, wo die sozialen Konnotationen und die historische Bedeutung sich verdichten und zueinander in Resonanz treten. Zudem sind diese Ketten niemals dauerhaft verfestigt, weder in ihren internen Bedeutungssystemen noch in ihren Beziehungen zu den gesellschaftlichen Klassen und Gruppen, zu denen sie ›gehören‹. Andernfalls wäre der Begriff des ideologischen Kampfes und die Bewusstseinsveränderung – zentrale Fragen für die Politik jedes marxistischen Projekts – leerer Schein, der Tanz toter rhetorischer Figuren.

      Gerade weil die Sprache, das Medium des Denkens und der ideologischen Berechnung, »mehrfach akzentuiert« ist, wie Volosinov sagt, ist das ideologische Feld immer ein Feld von sich überschneidenden Akzenten und der Überschneidung unterschiedlich orientierter gesellschaftlicher Interessen:

      »Denn auch die verschiedenen Klassen benutzen ein und dieselbe Sprache. Infolgedessen überschneiden sich in jedem ideologischen Zeichen unterschiedlich orientierte Akzente. Das Zeichen wird zur Arena des Klassenkampfes.(…) Ein Zeichen, das aus der Spannung des sozialen Kampfes ausgesondert wird und sich sozusagen außerhalb des Klassenkampfes befindet, muss notwendigerweise verkümmern, zur Allegorie degenerieren und zum Objekt nicht eines lebendigen Verständnisses, sondern zur Philologie werden.« (Volosinov 1975, 71f.)

      Dieser Ansatz ersetzt die Vorstellung fester ideologischer Bedeutungen und den Klassen zugeschriebener Ideologien durch die Begriffe der ideologischen Kampffelder und die Aufgabe der ideologischen Transformation. Die allgemeine Bewegung in diese Richtung, weg von einer abstrakten, allgemeinen Ideologietheorie, hin zur konkreten Analyse, wie Ideen in bestimmten historischen Situationen »die Menschenmassen [›organisieren‹, und das Terrain] bilden …, auf dem die Menschen sich bewegen, Bewusstsein von ihrer Stellung erwerben, kämpfen usw.«, gibt dem Werk Gramscis – von dem dieses Zitat stammt (Gramsci, 1991ff, Bd. 4, Heft 7, 876) – seine zukunftsträchtige Bedeutung in der Entwicklung marxistischen Denkens des Ideologischen.

      Eine der Konsequenzen dieser Art von theoretischer Revisionsarbeit lag häufig darin, das Problem der Klassenstrukturierung der Ideologie und der Art und Weise, in der Ideologie in die gesellschaftlichen Kämpfe eingreift, insgesamt zu beseitigen. Diese Herangehensweise ersetzt häufig die inadäquaten Vorstellungen von den Klassen en bloc zugeschriebenen Ideologien durch eine ebenso unbefriedigende ›diskursive‹ Vorstellung, die das völlig freie Fließen aller ideologischen Elemente und Diskurse beinhaltet. Das Bild von großen, unbeweglichen Klassenbatallionen auf dem Kampffeld, mit dem ihnen zugeschriebenen ideologischen Gepäck und ihren ideologischen Nummernschildern auf dem Rücken, wie es Poulantzas einmal gezeichnet hat (Poulantzas 1974, 204), wird hier ersetzt durch die Unendlichkeit subtiler Variationen, durch welche die Elemente eines Diskurses scheinbar spontan untereinander kombiniert und rekombiniert werden, ohne irgendwelche anderen materiellen Zwänge als die, die durch die diskursiven Operationen selbst geliefert werden.

      Nun ist es völlig richtig, dass der Begriff ›Demokratie‹ keine vollständig fixierte Bedeutung hat, die ausschließlich dem Diskurs der bürgerlichen Formen politischer Repräsentation zugeschrieben werden kann. ›Demokratie‹ im Diskurs des ›Freien Westens‹ trägt nicht dieselbe Bedeutung, als wenn wir von ›popular-demokratischem‹ Kampf oder von der Vertiefung des demokratischen Gehalts im politischen Leben sprechen. Wir können nicht zulassen, dass der Ausdruck vollständig vom Diskurs der Rechten entwendet wird. Wir müssen stattdessen ein strategisches Ringen um den Begriff selbst entwickeln. Selbstverständlich ist dies keine rein ›diskursive‹ Operation. Machtvolle Symbole und Slogans dieser Art, die politisch stark aufgeladen sind, pendeln nicht bloß in der Sprache oder in der ideologischen Repräsentation von einer Seite zur anderen. Die Enteignung des Begriffs muss bekämpft werden durch die Entwicklung einer Reihe von Polemiken in der Durchführung besonderer Formen des ideologischen Kampfes: Es geht darum, eine Bedeutung des Begriffs aus dem Bereich des öffentlichen Bewusstseins herauszulösen und sie in die Logik eines anderen politischen Diskurses zu verpflanzen. Gramsci hat gerade gezeigt, dass der ideologische Kampf nicht so vor sich geht, dass die ganze, integrale Denkweise einer Klasse durch ein anderes voll ausgebildetes Ideensystem verdrängt wird:

      »Worauf es ankommt, ist die Kritik, der ein solcher ideologischer Komplex von den ersten Vertretern der neuen Geschichtsepoche unterzogen wird: durch diese Kritik ergibt sich ein Prozess der Unterscheidung und der Veränderung im relativen Gewicht, das die Elemente der alten Ideologien besaßen: was zweitrangig und untergeordnet oder auch beiläufig war, wird als hauptsächlich aufgenommen, wird zum Kern eines neuen ideologischen und doktrinalen Komplexes. Der alte Kollektivwille zerfällt in seine widersprüchlichen Elemente, weil die untergeordneten dieser Elemente sich gesellschaftlich entwickeln usw.« (Gramsci, 1991ff, Bd. 5, Heft 8, 1051)

      Kurz: Diese Konzeption des ideologischen Kampfes ist die eines ›Stellungskrieges‹. Sie bedeutet auch, die verschiedenen ›Demokratie‹-Konzepte innerhalb einer ganzen Kette assoziierter Ideen zu artikulieren. Und das heißt, diesen Prozess der ideologischen De-Konstruktion und Re-Konstruktion mit einer Reihe organisierter politischer Positionen und mit einer bestimmten Anordnung sozialer Kräfte zu artikulieren. Ideologien werden nicht deshalb als eine materielle Kraft wirksam, weil sie den Bedürfnissen voll ausgebildeter gesellschaftlicher Klassen entspringen. Aber auch das Gegenteil ist wahr – obgleich es das Verhältnis zwischen Ideen und gesellschaftlichen Kräften umgekehrt anordnet: Keine ideologische Konzeption kann jemals materiell wirksam werden, sofern und solange sie nicht artikuliert werden kann mit dem Feld der politischen und gesellschaftlichen Kräfte und den Kämpfen zwischen den verschiedenen Kräften.

      Es ist sicherlich nicht notwendigerweise eine Form des Vulgärmaterialismus, wenn wir sagen, dass Ideen – auch wenn wir sie nicht in bestimmten festen Kombinationen der Klassenlage zuschreiben können – tatsächlich aus den materiellen Bedingungen entstehen, in denen die gesellschaftlichen Gruppen und Klassen existieren, und diese widerspiegeln können. In diesem Sinne – das heißt historisch – kann es wohl bestimmte tendenzielle Ausrichtungen geben, zum Beispiel zwischen denen, die zu den Prozessen der modernen kapitalistischen Entwicklung in einem ›Krämerladen‹-Verhältnis stehen, und ihrer Neigung, sich vorzustellen, dass die ganze fortgeschrittene kapitalistische Ökonomie nach Art eines ›Krämerladens‹ begriffen werden kann (vgl. Hall 1982, 118). Ich glaube, dies meinte Marx im Achtzehnten Brumaire, als er sagte, es sei nicht unbedingt notwendig, dass die Leute ihr Geld tatsächlich als Mitglieder des Kleinbürgertums verdienen, damit sie kleinbürgerliche Ideen anziehend finden. Nichtsdestoweniger legte er nahe, dass es eine Verwandtschaft oder gleiche Tendenz gibt zwischen der objektiven gesellschaftlichen Lage dieser Klassenfraktionen und den Schranken und Horizonten des Denkens, zu dem sie spontan hingezogen werden (vgl. MEW 8, 142). Das war ein Urteil über die charakteristischen Denkformen, die idealtypisch bestimmten Positionen in der Gesellschaftsstruktur entsprechen, aber bestimmt keine einfache Gleichsetzung zwischen Klassenpositionen und Ideen in der tatsächlichen historischen Realität. Das Entscheidende bei den historischen Tendenzbeziehungen ist, dass nichts unvermeidlich, notwendig oder für immer festgelegt ist. Die tendenziellen Linien der Kräfte definieren lediglich die Gegebenheit des historischen Terrains.

      Sie zeigen an, wie das Terrain historisch strukturiert worden ist. Es ist also durchaus möglich, dem Begriff der ›Nation‹ eine fortschrittliche Bedeutung und Konnotation zu geben, die »Schaffung einen popularnationalen Kollektivwillens« [anzustreben], wie Gramsci ausführte (Gramsci, 1991ff, Bd.7, 1539). In einer Gesellschaft wie Großbritannien aber ist der Begriff der Nation bis heute konsistent artikuliert mit der Rechten. Vorstellungen von ›nationaler Identität‹ und ›nationaler Größe‹ sind eng verbunden mit imperialer Vorherrschaft, gefärbt mit rassistischen Konnotationen und untermauert

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