Die Zeit berühren. Walter Kaufmann
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Walter Kaufmann
Die Zeit berühren
Mosaik eines Lebens auf drei Kontinenten
2013 • Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund
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Pfandleihe
New York 1964
Mir fehlte sie sofort, ich hätte meine Schreibmaschine auf keinen Fall in Berlin zurücklassen dürfen. Und noch in der Stunde meines Einzugs in das kleine New Yorker Hotel am Central Park machte ich mich auf die Suche nach Ersatz. Es war schon spät, schon dunkel, ein kalter Februarabend, und der kleine Mann in der Pfandleihe auf der 7. Avenue war gerade dabei, den Laden zu schließen. Ich klopfte an die Scheibe, er blickte auf und mußte die Dringlichkeit gespürt, ja Vertrauen in mich gefaßt haben, denn er ließ mich ein. Ja, Schreibmaschinen seien vorhanden, zum Verkauf, zum Verleih – woher ich denn käme, und ob ich ein Schreiber sei. Aus Übersee, antwortete ich ihm, und ja, ich lebte vom Schreiben.
»Wird man sich doch nicht trennen von der Schreibmaschine, wenn man muß davon leben«, sagte er.
Er sprach amerikanisch mit jiddischem Tonfall, und gleich war er mir nah. Näher noch als die Zeitungsverkäuferin im Hotel-Foyer, der Portier im Empfang, die Telefonistin, der schwarze Fahrstuhlführer, die alle ein paar anteilnehmende Worte parat gehabt hatten, ein Lächeln auch, das nicht mehr wollte als ein Gegenlächeln. Keine vier Stunden war ich in der Stadt, und schon fühlte ich mich angekommen, angenommen, hier, in der Pfandleihe von Samuel Cohen, sogar ein wenig geborgen.
»Es war ein Fehler«, gab ich zu.
»Wird man ihn müssen gutmachen, den Fehler«, sagte der Pfandleiher.
Er schien plötzlich Zeit zu haben. Sorgfältig schloß er die kleine Pforte wieder auf, die durch die Theke ins Innere des Ladens führte, dessen Regale gefüllt waren mit Hausrat, den die Besitzer für ein paar Dollars umgesetzt hatten – auch Schreibmaschinen.
»Werden alle haben ihre Geschichten«, sagte Samuel Cohen nachdenklich. »Arme Schreiber, verzweifelte Schreiber, Schreiber ohne Hoffnung – und Sie, Sie haben Hoffnung?«
Ich war siebenunddreißig damals, kein Anfänger mehr, aber meine Träume waren noch jung. Bald würde ich etwas schreiben, das ganz meins war und mir den Durchbruch brachte, den großen Erfolg.
»Muß man haben, Mr. Cohen«, sagte ich.
»Singer«, sagte er, »Malamud, Bellow, Miller und Mailer, und jetzt der junge Roth – alles Schreiber, alles Juden, und alle werden gehabt haben die Hoffnung. Ist schwer, aber Sie dürfen nicht verlieren die Hoffnung. Werde ich Ihnen lassen diese Maschine.«
Mir schien es wie ein Wunder, als er unter all den Maschinen die Schwester meiner zurückgelassenen herausgriff, eine Hermes Baby, grau und schadlos und gut in Pflege.
»Ein Dollar pro Tag – Sie werden das können zahlen ?«
»Werde ich und will ich«, sagte ich und legte dreißig Dollar auf die Theke.
»Sie haben ein Gesicht, ein gutes Ponem«, sagte er. »Werde ich Ihnen wünschen Glück und nicht verlangen Pfand.«
Er fragte nicht, wo genau ich wohnte, ließ sich keine Unterlagen zeigen, und obwohl dreißig Tage später die Arbeit an »Manhattan Sinfonie« noch nicht getan war, ging ich pünktlich zur Pfandleihe und legte ihm die Hermes Baby auf die Theke.
»Sind Sie geworden fertig?« frage er. Ich verneinte. »Was bringen Sie zurück die Maschine, wenn Sie sind nicht fertig?«
»Daß Sie nicht denken, Sie haben gemacht einen Fehler«, erklärte ich lächelnd.
Ihm schien mein Tonfall zu gefallen, denn er lächelte zurück.
Y. M. C. A.
Melbourne 1942
Gerade achtzehn war ich, als ich an jenem Tag mit nur den paar Pfund, die mir von meinem Obstpflückerlohn übrig geblieben waren, auf der Straße stand – ein Soldat von vierzehn Tagen, im Grunde nicht einmal das, denn ich hatte mich unmittelbar nach der Einmusterung von meiner Einheit abgesetzt. Helen hieß die Frau. Sie war schlank und schön, mit braunen Augen und rötlichem Haar, und – wie das Lied geht – ich hatte mich an sie verloren. Es traf mich hart, als sie mich am Tag der Heimkehr ihres Ehemannes verstieß. Nun war ich ohne Bleibe. Meine Einheit, so stellte es sich heraus, hatte den Standort gewechselt, war fort ins ferne Queensland, und dort, wo unsere Zelte gestanden hatten, war wieder ein Rennplatz und kein Unterkommen. Ich fuhr in die Stadt, es war Nacht inzwischen, und ließ mich im Strom der Menschen aus dem Bahnhof treiben – Soldaten überall, australische, amerikanische, und unter ihnen keiner, den ich etwas anging oder der gar fragte, Bruderherz, wo warst du? Glück im Unglück, daß auch die Militärpolizei mich übersah. Obdachlos unter Brücken schlafen, davon hatte ich gehört. Irgendwo, weit ab in Sandringham, stand ein Haus, das mir fortan verschlossen war. Es war Winter in Melbourne. Kalter Juniregen nieselte vom Himmel. Ziellos überquerte ich die Yarra Brücke hinterm Bahnhof, tauchte ein ins Dunkel der St. Kilda Road, das auch das Dunkel der Huren war, und daß ich mein Geld in der Tasche ließ, hatte nicht nur mit der Erinnerung an die Tage in jenem Haus zu tun. Ich dachte an Kommendes, an das was mir bevorstand, falls die Militärpolizei mich fing. Absent Without Leave. Wo unterschlüpfen, wo ein Bett finden für die Nacht? Bläulich im Regen blinkten die Leuchtbuchstaben über dem grauen Gebäude am Fluß. Mir war, als winkten sie, riefen mich. Y.M.C.A. Young Men's Christian Association. Ich war Soldat, keiner würde fragen, ob ich Christ sei. Warum auch? Die junge Frau im Empfang lächelte nur bedauernd. Die Amerikaner seien in der Stadt, sagte sie, und alle Zimmer belegt. Trotzdem ging ich nicht. Ich spürte, sie sann nach einem Ausweg. Durch die Scheibe der Glastür sah ich naß unterm Regen die Straße. Laternen spiegelten sich in der Nässe. Ich hörte die Frau sagen: »In der Bibliothek im vierten Stock steht ein Ledersofa.« Wir fuhren im Fahrstuhl, gingen den Gang entlang zu der Tür mit der Aufschrift. Leise klirrten die Schlüssel, als sie aufschloß, und klirrten leise, als sie die Tür von draußen versperrte. Es roch staubig drinnen, die Luft war abgestanden, aber im Lichtschein, der durch das Fenster fiel, sah ich längs der rechten Wand gegenüber den Regalen das Sofa. Ich zog die Stiefel aus, legte mich