Der Lustmörder. Horst Bosetzky

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Der Lustmörder - Horst Bosetzky

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      Als sie wieder am Dohnensteig angekommen waren, sahen sie, dass Dr. Kniehase vorn am Gartentor stand und mit einem Mann von etwa dreißig Jahren sprach, den sie vorher noch nicht bemerkt hatten.

      «Det wird der Täta sein», sagte Galgenberg. «Bei dem, wat wir allet üba ihn wissen, hatta sich gleich selba jestellt.»

      «Das ist doch kein Soldat», sagte Kappe.

      «Een Soldat muss nich imma Uniform tragen», wandte Galgenberg ein.

      Es sollte sich schnell herausstellen, dass es sich bei dem Mann am Gartentor um Erwin Reczyn handelte, den Bruder der Ermordeten. Er arbeitete seit Kriegsbeginn bei einer Bank in Köln und hatte nicht früher nach Berlin kommen können.

      Kappe, Dr. Kniehase und Galgenberg sprachen ihm ihr Beileid aus, dann setzten sie sich mit ihm an den Küchentisch, um mit ihm zu reden.

      «Ich wusste gar nicht, dass meine Schwester einen neuen Liebhaber hatte, diesen Herrn hier, der mit ihr …»

      Kappe wurde hellhörig. «Liebhaber? Das klingt so, als wären Sie mit dem Leben, das Ihre Schwester geführt hat, nicht ganz einverstanden gewesen?»

      Erwin Reczyn atmete tief durch. «Meine Frau kommt aus einer streng katholischen Familie, und da hat es schon ab und an böse Worte gegeben, wenn Erna wieder einmal einen neuen Herrn hatte.»

      «Wen denn zum Beispiel?»

      «Na, zuletzt diesen fürchterlichen Kerl, der im Baltikum bei den Freikorps war …» Reczyn brach ab, da er offensichtlich nicht abschätzen konnte, wo die Kriminalbeamten politisch standen.

      «Ich meine nicht, was diesen Menschen als Soldaten betrifft, sondern … Er war krank vor Eifersucht und hat gedroht, sie umzubringen, wenn sie etwas mit einem anderen anfängt, während er im Felde steht.»

      Kappe glaubte, zu träumen oder sich verhört zu haben, und fragte deshalb nach: «Krankhaft eifersüchtig?»

      «Ja. Ich hab ihn nie selbst erlebt, aber meine Schwester hat mir das ein paar Mal geschrieben.»

      «Wie heißta denn?», fragte Galgenberg.

      «Keine Ahnung.»

      «Wie?!» Kappe konnte es nicht fassen. «Wenn Ihre Schwester von ihm geschrieben hat, dann muss sie doch einen Namen genannt haben.»

      «Ja, schon, aber nur seinen Spitznamen: Schluchti.»

      «Wat?», kam Galgenbergs Nachfrage.

      «Schluchti, wie Schlucht, nur mit ’nem I hinten.»

      «Ich kenne Leute, die Schluchter heißen», sagte Dr. Kniehase.

      «Det bleibt bloß wieda an mir hängen, det ick die Mannschaftslisten alle uff een Schluchter durchsehen muss, allet, wat vom Detachement von Randow noch da ist.»

      «Gut, Galgenberg, gut!», rief Kappe. «Ich bewundere deinen Instinkt!»

      «Wie hat meine Mutta imma zu mir jesagt? Justav, du hast et jut, du bist doof.»

      Als Erwin Reczyn wieder gegangen war, saßen sie erst einmal schweigend in der Küche, um alles zu verarbeiten.

      «Jetzt haben wir plötzlich zwei Möglichkeiten», sagte Kappe schließlich. «Erstens, dass dieser Doppelmord hier am Dohnensteig nichts mit den vier anderen Liebespaarmorden zu tun hat. Es war sozusagen eine singuläre Tat: Dieser Schluchti hat aus krankhafter Eifersucht erst den Liebhaber seiner Erna erschossen, dann sie selber.»

      «Wobei er bemüht war, alles so aussehen zu lassen wie bei den anderen Taten», ergänzte Dr. Kniehase. «Damit wir später auch den Dohnensteig dem gesuchten Lustmörder zuschreiben und er nichts mehr befürchten muss.»

      Kappe nickte. «Ja, ganz meiner Meinung. Aus den Zeitungen könnte er genug über die vorangegangenen Morde erfahren haben. Aber dennoch dürfen wir die zweite Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass Schluchti auch die anderen vier Taten begangen haben könnte. Vielleicht ist er wie üblich zu Werke gegangen und hat zu spät erkannt, dass es seine Erna ist, die hier mit Kittlitz im Bett liegt. Aber so viel Zufall …?»

      «Was glauben Sie denn?», fragte Dr. Kniehase.

      Kappe zögerte mit einer Antwort. «Mal dies, im nächsten Augenblick aber wieder das andere. Auf alle Fälle haben wir jetzt etwas, in das wir uns verbeißen können. Wenn wir fieberhaft nach diesem Schluchti suchen, kann uns keiner mehr vorwerfen, dass wir untätig herumsitzen und auf den nächsten Doppelmord warten.»

      «MÜHSAM NÄHRT SICH DAS EICHHÖRNCHEN», sagte Gustav Galgenberg, bevor er sich daranmachte, im Kriegsministerium alle Namenslisten der Freikorps, die in die Reichswehr eingegliedert worden waren, auf die Namen Schlucht, Schluchter und Schluchtmann hin durchzusehen.

      «Vielleicht hat sich der Bruda ooch jeirrt, und sie hat den Mann Schlucki jenannt, weila so viel jesoffen hat.»

      Kappe schüttelte den Kopf. «Nein, er hat ganz deutlich Schluchti gesagt.»

      Er selber machte sich daran, die Freundinnen und Kolleginnen der Ermordeten nach dem mysteriösen Schluchti zu fragen - Eltern hatte sie keine mehr.

      Ihre beste Freundin, so hatte ihr Bruder zu Protokoll gegeben, sei eine gewisse Vera Orschel gewesen, Verkäuferin in der Hutabteilung des KaDeWe. Kappe machte sich auf zum Wittenbergplatz.

      Das Kaufhaus des Westens stand nun schon dreizehn Jahre und versuchte, wieder an den Glanz der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Als Kappe das Gebäude betrat, bekam er fast ein wenig Atembeklemmungen, denn dieser Luxus war absolut nicht seine Welt. Wer in Wendisch Rietz aufgewachsen war und als Kriminalkommissar sein Geld verdiente, kaufte in aller Regel im Laden um die Ecke ein. Aber das konnte sich noch ändern, denn Klara hatte ja diesen gewissen Hang zum Höheren …

      Er trat an die Information und suchte nach der Abteilung für Damenhüte. Sie war schnell gefunden. Ein feudaler Lift trug ihn nach oben. Suchend ging er umher und freute sich, dass man ihn misstrauisch musterte. Irgendwie juckte es ihn in den Fingern, sich eines dieser komischen Gebilde aufzusetzen. Manche erinnerten ihn an eine Form für Napfkuchen.

      Eine der Verkäuferinnen hielt es nicht länger auf ihrem Platz, und sie kam auf ihn zu.

      «Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, mein Herr?» Kappe konnte sich ein gewisses Grinsen nicht verkneifen. «Ich glaube schon …»

      «Ich muss doch sehr bitten!»

      «Wieso?» Er präsentierte ihr seine Dienstmarke. «Ich bin beruflich hier und hätte gern ein Fräulein Orschel gesprochen.»

      «Das bin ich persönlich. Es geht sicherlich um meine Freundin …»

      Kappe staunte nicht schlecht. Vera Orschel war offenbar ebenso intelligent wie hübsch. «… um Erna Reczyn, ja.»

      «Schrecklich!»

      Kappe nickte. «Es ist der fünfte Fall mit derselben Handschrift, und da sind wir natürlich sehr interessiert an …» Er stockte. Das lag vor allem an dem Parfum und dem Lippenstift der jungen Dame. Klara kam ihm dagegen

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