West-Berlin. Horst Bosetzky

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West-Berlin - Horst Bosetzky

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Südamerika beantragen, wenn die Amerikaner Berlin räumten, denn dann sei ganz Europa verloren; und er kommt zu dem Schluss: »Wenn die Russen damals hätten marschieren wollen, hätte nichts sie daran hindern können, bis zum Kanal, zum Atlantischen Ozean oder auch zu den Pyrenäen vorzustoßen. Nichts – außer Berlin.«

      Präzise hätte es heißen müssen: Außer West-Berlin, außer dem West-Berliner. Wie auch immer: Der West-Berliner wird zur entscheidenden Figur der Weltgeschichte.

      Ehe wir den West-Berliner nun ganz in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen rücken, müssen wir noch ein wenig theoretisch werden. Zuerst einmal ist zu entschuldigen, dass immer nur vom West-Berliner gesprochen wird – und ganz selten nur von der West-Berlinerin. Der Einwand von feministischer Seite, so gehe das nicht, ist berechtigt, doch es würde das Buch leider unlesbar machen, wenn es immer hieße: »die West-Berlinerin beziehungsweise der West-Berliner« oder »der/​die West-BerlinerIn«. Und durchgehend nur »die West-Berlinerin« zu schreiben, wie es mir die Gefährtin des Lebens, eine West-Berlinerin, nahegelegt hat, löst das Problem meines Erachtens auch nicht sonderlich elegant. Also: Wie der Begriff Menschheit, obwohl zugegebenermaßen männerlastig, auch beide Geschlechter umfasst, so auch der Begriff West-Berliner. Ein fauler Kompromiss, aber eben landesüblich.

      Dass es »den West-Berliner« als solchen nicht gibt, muss nicht weiter diskutiert werden. Hier genügt der Verweis auf Max Weber: Der West-Berliner der Jahre 1948 bis 1989, ob er nun als Mann oder als Frau daherkommt, ist ein Konstrukt im Sinne des von Weber herausgearbeiteten Idealtypus. Der wird gewonnen »durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen« und ist ein künstliches Gedankengebilde, das in »seiner begrifflichen Reinheit (…) nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar« ist. Mit Scherz, Satire und Ironie soll der West-Berliner analysiert werden. Persönliche Erfahrungen und Anekdoten werden sich mit Versuchen mischen, den politischen Kontext zu beleuchten und die »Frontstadt« in ihren Strukturen und ihrem Überbau verständlich zu machen.

      Der Autor hat zwar im Köpenicker Ortsteil Schmöckwitz (sowjetischer Sektor) die schönsten Tage seiner Kindheit und Jugend verbracht, war jedoch in den hier zur Debatte stehenden Jahren in den Bezirken Neukölln (amerikanischer Sektor), Charlottenburg und Wilmersdorf (britischer Sektor) sowie Reinickendorf (französischer Sektor) polizeilich gemeldet, ist also selber genuiner West-Berliner. Verleiht ihm das einerseits die nötige Kompetenz zum Schreiben dieses Buches, so birgt es andererseits jene Gefahren, die alle teilnehmende Beobachtung mit sich bringt. Man sei selber zu sehr in das Geschehen involviert, zu sehr von seinen Emotionen beherrscht und mitgerissen, heißt es in der empirischen Soziologie, identifiziere sich zu sehr mit der Gruppe, in der man lebt, und könne den nötigen Abstand nicht wahren.

      Nun, dies ist ja keine wissenschaftliche Arbeit, und die Distanz zu meinem Subjekt versuche ich dadurch zu wahren, dass ich es mit Ironie verfolge. Doch nie bestreite ich, selber ein bekennender West-Berliner gewesen zu sein und als solcher gefühlt und gedacht zu haben. Natürlich bin ich froh und glücklich, heute wieder ein richtiger (das heißt wieder vereinigter Groß-) Berliner zu sein, der es Tag für Tag genießt, dass seine Insel wieder ’n schönes Festland ist und er friedlich durch die Bezirke flanieren kann, die für ihn 40 Jahre lang formal im Ausland lagen. Doch so wie die Ost-Berliner das Recht haben, in Ostalgie zu schwärmen und bei ihren Ostpro-Messen leuchtende Augen zu bekommen, so dürfen wir West-Berliner uns die Freiheit nehmen, laut zu sagen, wie herrlich wir doch unsere alten Inselzeiten fanden und wie viel wir seither – bei allen Riesengewinnen – doch verloren haben.

      Eine Warnung sei noch ausgesprochen: Ich bin Soziologe und Schriftsteller und kein Essayist und halte es mit Theodor Fontane: »(…) geistreich-sein ist bloß gefährlich wie schön-sein und ruiniert den Charakter.« Auch ist es mir zuwider, die Stadt mit intellektueller Arroganz zu betrachten und alle Berliner und Berlinerinnen ohne Universitätsabschluss in den Geisteswissenschaften und die richtige links-alternative Gesinnung als dumpfe Spießbürger anzusehen, über die man nur lästern kann. Es ist ebenso amüsant wie ärgerlich, wenn der Schwanz, das heißt die höchst selbstreferentielle »geistige Elite«, mit dem Hund, das heißt dem Volk, zu wedeln versucht.

      Meine vermeintlich frei schwebende »Ich-bin-ich-Haltung« ist natürlich ebenso angreifbar, und so empfehle ich als Korrektur wie Ergänzung die West-Berlin-Bücher von Olaf Leitner (West-Berlin! Westberlin! Berlin (West)!), Ulf Mailänder und Ulrich Zander (Das kleine Westberlin-Lexikon) und auch – erfrischend unprätentiös – jenes von Kerstin Schilling (Insel der Glücklichen).

      Nun zu dem, was den West-Berliner recht eigentlich geschaffen hat: dem Kalten Krieg und seinem eigenen Kampf gegen die kommunistische Bedrohung.

      Die Angst des West-Berliners vor den Russen und ihren Erfüllungsgehilfen in der SBZ beziehungsweise DDR war ebenso berechtigt wie hysterisch. Der RIAS, ein (Propaganda-)Sender der Amerikaner, berichtete Tag für Tag ausführlich über die Missstände und Menschenrechtsverletzungen in der »Zone«, und auch die West-Berliner Tageszeitungen waren eindeutig parteiisch. Es war aber auch wirklich ein Horrorszenarium, was sich dem West-Berliner ringsum darbot. Da gab es die Aktion »Ossawakim«, bei der Tausende von deutschen Spezialisten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die UdSSR verschleppt wurden; da existierten die sowjetischen Sonderlager – wie das mit der Nr. 7 im ehemaligen KZ Sachsenhausen –, in denen Regimegegner gefangen gehalten wurden, manche fast noch Kinder und manchmal wegen lächerlicher Vergehen; da hatte man in der SBZ Tausende von Großbauern, Ärzten, Apothekern, Hoteliers und Firmeninhabern unter aberwitzigen Vorwänden verhaftet, eingesperrt und enteignet; da waren immer wieder unliebsame Journalisten in den Osten entführt worden; und da hatte man in Schauprozessen angeblich nicht mehr linientreue Genossen nach Art eines Roland Freisler angeklagt, verurteilt und hingerichtet. Unvergessen waren auch die Massenvergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee, aber auch die Bilder, die die NS-Propaganda über die »kommunistischen Untermenschen« verbreitet hatte. Kein Wunder, dass unter diesen Umständen die Devise »Lieber tot als rot« die Runde machte. Curt Riess schreibt von den West-Berlinern: »(…) schließlich wussten sie: An dem Tage, an dem die Westmächte die Stadt räumten, würden viele von ihnen aufgehängt werden.«

      Der West-Berliner ahnte natürlich, warum die Russen die Blockade einsetzten. Erstens aus Rache für die Niederlage, die sie und ihre deutschen Handlanger bei den Wahlen am 20. Oktober 1946 erlitten hatten. Man kannte ja noch das alte Motto: »Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag’ ich dir den Schädel ein!« Zweitens, um die Amerikaner, Briten und Franzosen aus West-Berlin zu vertreiben. Im Osten wussten sie, dass der West-Berliner nicht aufgeben würde, solange er sich des Beistands dieser Länder sicher sein konnte. Drittens passte es den Russen gar nicht, dass die Westalliierten ihnen mit dem Außenposten West-Berlin so genau dabei zusehen konnten, wie sie versuchten, ihre Besatzungszone und Ost-Berlin zu »bolschewisieren«. Die Russen mussten die (Halb-)Stadt als Pfahl im Fleische empfinden. Und viertens war es eine Kraftprobe, die Aufschluss über die Strategie und Stärke des Westens geben konnte. Die Russen rechneten damit, dass die Amerikaner, Briten und Franzosen aus West-Berlin abziehen und nicht riskieren würden, dass zweieinhalb Millionen Menschen verhungerten. Damit hätte Moskau sein Spiel gewonnen, in Europa und weltweit.

      Wie Moskau die Sache sah, konnte der West-Berliner, wenn er diese Blätter denn jemals in die Hand nahm, im Neuen Deutschland oder der Täglichen Rundschau nachlesen oder im östlichen Berliner Rundfunk hören. Dass das so war, dafür wurde gesorgt.

      So schildert Curt Riess, wie ein mit ihm befreundeter ADN-Korrespondent »zum Befehlsempfang« in Karlshorst weilt und von einem Major Faktorowitsch und einer seiner Mitarbeiterinnen auf die richtige »Sprachregelung« eingestimmt wird. Besondere Zielscheiben sind dabei zwei Amerikaner: General Lucius D. Clay, der die Luftbrücke organisiert, und Stadtkommandant Oberst

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