Bischof Reinhold Stecher. Martin Kolozs

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Bischof Reinhold Stecher - Martin Kolozs

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die Geschehnisse von damals wie folgt: „Am gleichen Abend des 22. Juli wurden die Bestände der Seminarbibliotheken aufgenommen, die Fakultätsräume blieben unter Polizeiaufsicht, und am 4./​5. August fand die Übergabe der ehemaligen Fakultät an die Leitung der Universität statt. Das schien das Ende zu sein.“

      Ein symbolträchtiges – wenn letzten Endes auch hoffnungsloses – Ankämpfen gegen die neuen Umstände war ein Placet des Vatikans, welches erlaubte, im Konvikt Canisianum den Lehrbetrieb weiterzuführen, da es durch Papst Pius XI. zur „Pontificia Facultas Theologica“ mit dem Recht, akademische Grade zu erteilen, erhoben wurde. Dennoch wurde „das Internat für Weltpriestertheologen, das Canisianum, das wir geleitet haben, enteignet“. Aufgrund des „Gesetzes über die Unterbringung von öffentlichen Dienststellen“ exekutierte Gauleiter Franz Hofer die vom Reichsstatthalter in Österreich erlassene Order vom 22. November 1938, das Gebäude des Canisianums mit den dazugehörigen Grundstücken dem Oberfinanzpräsidenten von Tirol zur Nutzung auf unbestimmte Zeit zu übergeben. Bis Jahresende hatten die Innsbrucker Jesuiten sämtliche Zimmer des Konvikts zu räumen, und letztlich nützte ihnen auch aller Widerstand und alles kompromissbereite Taktieren nichts mehr; sie hatten lediglich etwas Zeit gewonnen. Bereits am 1. März 1939 erfolgte die Übergabe des gesamten Canisianums, in dem auch jeglicher Lehrbetrieb eingestellt wurde. Unterdessen hatten die neuen Machthaber die Maske von Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft fallengelassen, fanden offene politische Repressionen gegen die Societas Jesu und ihre Niederlassungen in ganz Österreich statt, und es wurde den Jesuiten generell verboten, an Schulen zu unterrichten.28

      Derartiges und noch Schlimmeres stand an der Tagesordnung und provozierte aufseiten des katholischen Widerstandes unterschiedlichste Reaktionen: „Ich muss gestehen, dass ich als 18-Jähriger ein Feindbild hatte“, erinnerte sich Reinhold Stecher an diese Jahre, weil für ihn, wie für viele andere seiner Generation, Christentum und Nationalsozialismus fundamental unvereinbar waren. „Die Verfolgung hatte ein Schwarz-Weiß-Denken hervorgebracht: ‚Wer nicht für mich ist, ist wider mich.‘ Es gab so etwas wie eine Schlachtreihenmentalität. Es hat die Reife der späteren Jahre gebraucht, von diesem einseitigen Schema abzukommen, mildere Urteile zu fällen und Gemeinsamkeiten neu aufzubauen. Es gilt für jede Epoche die Bitte nach der heiligen Wandlung: Herr, lass deine Kirche wachsen in der Liebe!“29

      Dieses Zitat ist menschlich umso beeindruckender zu lesen, führt man sich die weiteren Geschehnisse und das traumatisierende Durchlebenmüssen der folgenden Kriegsjahre vor Augen, die Reinhold Stecher folgendermaßen wiedergibt: „Meine Familie gehörte zu jenem Teil der österreichischen Bevölkerung, der dieses Regime von der ersten Stunde an als Schrecken erlebt hat.“30 So kamen alle drei Brüder hintereinander in Gestapo-Haft und wurden anschließend in den Kampfeinsatz geschickt.

      Helmut Stecher, der Älteste, der 1938 als junger Franziskaner in Salzburg war und sich am sogenannten „Salzburger Fenstersturz“31 beteiligt hatte, schreibt darüber in seinen Erinnerungen: „Der Salzburger Fenstersturz, der uns vier Wochen Exerzitien in der Polizeikaserne und im Landesgericht kostet, leitet diese bewegte Zeit ein. Trauer, Langeweile und andere Gefangenenhauspflanzen überwinden wir dank unserer Jugend und der erblichen Belastung franziskanischen Frohsinns.“ Später wird er nach Frankfurt an der Oder verlegt: „Zwei Wochen treibe ich in Sonderausbildung Bodenkultur. Dann tauche ich in der Masse der RAD-Männer unter, eine Nummer von den vielen. Manches wird mir am Anfang recht hart. Ausgang gibt es lange keinen und später einige Male am Sonntagabend. Zweimal gelingt es uns wenigen, einen Gottesdienst im kleinen Diasporakirchlein des Preußenstädtchens besuchen zu dürfen. Wir exerzieren mehr, als wir arbeiten … Ja, unsere Waffe ist weniger der Spaten, mehr die Hoffnung, dass es auch vorübergeht, ein guter Humor, wenn es nicht gar zu sinnlos, seelenlos und brutal zugeht und man mit dem Verbeißen und Hinunterschlucken nicht mehr nachkommt. … Am 2. November 1938 heißt es Einrücken zum Gebirgs-Pionier-Ersatzbataillon 82 in Salzburg, Lager Alpenstraße. Später ging es dann in die Steiermark, und dann kam der Einsatz an der Front in Finnland und im hohen Norden.“32

       Adolf Hitler, vermutlich gezeichnet von Gottfried Stecher

      Gottfried Stecher, der jüngere und kongeniale Bruder von Reinhold, der wie dieser künstlerisch begabt war und gerne zeichnete, wurde 1941 verhaftet: „Er ist noch nicht sechzehn. Aber er hat eine Führerstelle in der ‚Pflicht-HJ‘ aus weltanschaulichen Gründen abgelehnt, und er hat die Ministrantengruppe in Wilten geführt. Und außerdem fand die Gestapo einige seiner wenig schmeichelhaften Karikaturen von Adolf dem Großartigen … Und darum ist er jetzt im Gefängnis und wird von vier Gestapoleuten mit Stock auf dem Tisch die halbe Nacht verhört.“33

      Am 4. April 1945 fällt Gottfried Stecher, erst zwanzigjährig, bei einem Gefecht „irgendwo in der Gegend zwischen Oberschlesien und der Tschechei“, kurz nachdem er seiner Mutter eine ermutigende Karte aus dem Kampfgebiet geschrieben hatte, die Reinhold Stecher über alle Jahre hinweg aufgehoben hat:

       „2. April 1945. Liebe Mama, mach’ dir ja keine Sorgen um mich. Eben habe ich bei der heiligen Messe, die ein Divisionspfarrer feierte, ministriert und vorgebetet wie daheim. Ich war auch bei der heiligen Kommunion. Wir sind in Gottes Hand. Es kann kommen was will. Mit herzlichem Gruß, dein Gottfried … “34

      Derselbe Geist erfüllte wohl auch den Seminaristen Reinhold Stecher, dessen Glaube damals ebenfalls einen eindeutigen Hang zur Eschatologie hatte: „Man hatte auf weiten Strecken kaum eine Hoffnung, dass sich das Blatt wenden würde. Wer in der Sache Jesu Christi stehen wollte, musste den Blick auf die Ewigkeit richten und darauf, dass Jesus der Herr der Geschichte ist … “35

      Vielleicht wurde dieser endzeitliche Eindruck auch durch den gewaltsamen Tod des Pfarrers von Götzens, Otto Neururer, am 30. Mai 1940 im KZ Buchenwald verstärkt, der seiner priesterlichen Pflicht gehorchend das Martyrium unter der Nazidiktatur erlitten hatte – wie nach seinem christlichen Vorbild die Tiroler Priester Jakob Gapp und Franz Reinisch sowie der Provikar der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch, Carl Lampert – und unmittelbar danach bereits in der Heimat als Seliger verehrt wurde. Reinhold Stecher, der die Beisetzung der Asche seines ehemaligen Volksschulkatecheten in Götzens, unter der Beteiligung von zahlreichen Beamten der Geheimen Staatspolizei, mitverfolgt hat36 und der sich unter anderem später für dessen Seligsprechung bei Papst Johannes Paul II. verwendete, verspürte dabei sehr wahrscheinlich das Anwachsen seines eigenen inneren Widerstandes, der ihn dazu drängte, selbst ein Zeichen nach außen hin zu setzen, auch wenn er von sich nie behauptete, ein Held gewesen zu sein: „In Wirklichkeit [kann man sich] nicht vorstellen, in welcher Lage ein ‚Dissident‘ in einem tödlich totalitären Staat ist. Man kann sich nicht vorstellen, mit welcher Urgewalt der Nationalsozialismus über die Menschen hereingebrochen ist, zum Teil mit imponierenden Veränderungen für das Elend der Arbeitslosen, mit neuen Machtgefühlen, ja Großmachtgefühlen in der Erinnerung an die dümmlichen Friedensdiktate von Versailles und St. Germain, die letztlich dem nationalen Fanatismus nur auf die Beine geholfen haben. Man kann sich nicht vorstellen, wie allein man in der Rolle des Nicht-Mitlaufens, des Menschen im Untergrund ist. Nur wenigen kann man trauen – und selbst denen, denen man trauen kann, darf man manches nicht sagen, damit sie nicht in den brutalen Verhörmethoden der Gestapo sich das herausholen lassen. Mein kleiner Bruder, der auch gefallen ist, war in der Gruppe der Prof. [Franz] Mayr [sic!], der bei Kriegsende vor dem Landhaus noch erschossen wurde. Mein Bruder hat davon weder uns Brüdern noch der Mutter etwas gesagt, weil wir alle schon in den Händen der Gestapo gewesen waren und darum sofort ins KZ gekommen wären. Die da heute ihre Vorwürfe an die Nicht-Nazis von damals schreiben, haben keine Ahnung, wie die Situation war. Polittyrannen muss man Widerstand leisten, bevor sie im Sattel sitzen. Und das war damals schon vorbei. Es gab nur noch eine einzige Macht, die effizient hätte auftreten können: die Wehrmacht. Und wir haben gesehen, dass das auch schiefgegangen ist. Sonst gibt es nur den moralischen Widerstand – und den mit hohem Einsatz: Verlust von Existenz, Laufbahn, Zukunft, Rechtsschutz, Freiheit, bis zum Leben.“37

      Dennoch

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