Die unverhoffte Genesung der Schildkröte. Marc Bensch

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Die unverhoffte Genesung der Schildkröte - Marc Bensch

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      © 2019 Carpathia Verlag GmbH, Berlin

      Umschlagillustration: Cordelia Sommhammer unter Verwendung eines Fotos von Adobe Stock / »Elena«

      ISBN 978-3-943709-70-4 (Print)

      ISBN 978-3-943709-71-1 (EPUB)

      ISBN 978-3-943709-72-8 (MOBI)

      ISBN 978-3-943709-73-5 (PDF)

       www.carpathia-verlag.de

       Unseren Vätern gewidmet

      Kapitel null

      Von außen drang kaum Licht durch die Scheiben der verlassenen Lagerhalle. Die einen waren verdreckt, die anderen abgeklebt. Über den drei Männern im Innern flackerten die Neonleuchten. Dann gingen sie aus.

      Alle gleichzeitig.

      »Was ist los? Was soll das?«, jaulte der Schnüffler und griff nach seiner Waffe.

      »Ruhig«, mahnte der Schmierfink.

      Der Lächler sagte nichts. Er knirschte mit den Zähnen.

      Der Spuk dauerte nur ein paar Atemzüge. Dann sah man wieder.

      Sah die Männer, wie sie warteten, zusammen und doch jeder für sich, ihre Gefühle krampfhaft verschleiernd.

      Sah vergessene Fetzen einer Plastikplane neben einem rostenden Stahlträger.

      Sah den Staub, der hier lagerte.

      Und sah den Campingtisch mit den wackligen Beinen. Dazu vier jämmerliche Plastikstühle, drei auf einer Seite, einer auf der anderen. Herangeschafft für ein Treffen, ein Verhandlungsgespräch.

      Vier Stühle, nicht fünf!

      Die Drei hatten keinen Schimmer, was sie erwartete.

      Der Schnüffler klammerte sich an die SIG Sauer P225 und schritt zwischen Tisch und Fenstern hin und her.

      Der Schmierfink stand mit verschränkten Armen neben dem Tisch und kaute Kaugummi, gab dann seine Position ruckartig auf und ging auf den Schnüffler zu. »Das mit der Knarre ist möglicherweise keine so gute Idee. Ist dir selbst klar, oder? Denk mal drüber nach«, sagte er und legte eine Hand auf den Arm des unfreiwilligen Verbündeten.

      Es war der Lächler, der antwortete, den finsteren Blick starr gen Eingang gerichtet, die zittrigen Hände über dem Tisch wie zum Gebet gefaltet. »Wir werden ihn nicht abknallen. Natürlich nicht. Aber wenn er uns nicht gibt, was wir wollen, soll er leiden. Leiden wie wir.«

      Der Schnüffler stockte, betrachtete die Waffe, als fiele ihm erst da auf, dass er sie in der Hand hielt. Er nickte, schob die Pistole zurück in die Halterung und kehrte zu dem einzigen Fenster zurück, das ihm nach draußen zu spähen erlaubte.

      Wolken schoben sich vor die Sonne. Ein Sturm zog auf.

      »Was machen wir, wenn er nicht auftaucht?«, fragte er und seine Stimme vibrierte.

      »Oh, er wird auftauchen. Er wird ganz sicher auftauchen«, antwortete der Schmierfink. Und fügte, die Faust gen Himmel gereckt, als spräche er mit einem Gott, noch einmal etwas polternder, geradezu bedrohlich, hinzu: »Nicht wahr?«

      Er lag damit richtig. Ausnahmsweise.

      Ich weiß, du denkst, du hättest mit all dem nichts zu tun. Dass dies nur eine Geschichte sei, die dich nicht betrifft.

      Aber du täuschst dich. Du bist ein Teil dieser Geschichte. Ob du es willst oder nicht. Du bist sogar ein ganz wesentlicher Teil dieser Geschichte. Denn du bist der einzige, der die Katastrophe abwenden kann.

      Und ja, ich spreche mit dir.

      Kapitel eins

      Düsternis kroch durch Konstantin von Kornwegs Büro. Sie war sein Dauergast. Denn Konstantin von Kornwegs Büro war das einzige mit Vorhängen in der Firma, die seinen Namen trug, aber nur in den seltensten Fällen seine Handschrift. Und diese Vorhänge, in einem gewiss freundlichen, aber eben kaum Helligkeit spendenden Orange gehalten, hatten in Anwesenheit des Finanzbuchhalters stets geschlossen zu sein. Und da Konstantin von Kornweg einer sehr exakten Vorstellung von Tagesabläufen folgte, es nur ganz und gar unvorhersehbaren Ereignissen zähneknirschend erlaubte, sie zu torpedieren, wusste seine Sekretärin stets, wann sie die Vorhänge öffnen durfte und wann sie sie zu schließen hatte. Denn dass die Vorhänge und sogar die Fenster dahinter gelegentlich geöffnet werden mussten, billigte selbst Konstantin von Kornweg, der gegen kohlenstoffdioxidgetränkte Luft immun zu sein schien, insgeheim aber sehr wohl froh darüber war, morgens frischen Sauerstoff einzuatmen.

      Die einzige Lichtquelle um ihn herum war eine Tischleuchte mit geschwungenem Hals. Ihr schmaler Kegel erhellte eine Handvoll Akten inmitten penibel geordneter Stapel aus Belegen und Protokollen. Der Schreibtisch war ein Monstrum. Er nahm den halben Raum ein, und der Mann, der an diesem Freitagnachmittag um 17:58 Uhr mit gekrümmtem Rücken über ihm und den Akten saß, wirkte vergleichsweise zwergenhaft. Das wirkte er von Natur aus, hatte die ihm doch einen knochigen Körper und eine zerbrechliche Statur beschert. Das Monstrum verschärfte den Effekt nur noch.

      Konstantin von Kornweg saß im Halbdunkel und befand sich im Tunnel. Die Quartalsabrechnung verlangte seine vollste Konzentration. Die Zahlen waren nicht gut. Sie waren überhaupt nicht gut. Sie waren annähernd verheerend. Konstantin von Kornweg aber lächelte. Er grinste regelrecht.

      Wer in diesem Moment mit diesem Wissen in den Raum getreten wäre und ihn gesehen hätte, wäre unweigerlich zu dem Schluss kommen, der Buchhalter hecke einen teuflischen Plan aus und müsse der Bösewicht in dieser Geschichte sein. Nichts aber läge weiter entfernt von der Wahrheit als eine solche Schlussfolgerung.

      Beim Arbeiten versorgte ihn das Pendel der Standuhr mit Rhythmus und Ruhe. Ein dröhnender Gong war nun für ihn das Zeichen, dass sein Tagwerk für diese Woche beendet war. Während des zweiten Gongs blickte er auf und vergewisserte sich, dass er nicht irrte. Während des dritten trank er den letzten Schluck des erkalteten Kaffees. Während des vierten, fünften und sechsten sammelte er die Akten zusammen und verstaute sie im Regal links des Tisches. Er tat das mit aller gebotenen Sorgfalt, ganz ohne Eile. Als alles an seinem Platz war, schlenderte er zu dem eisernen Kleiderständer mit Krone, der vor langer Zeit bereits seinem Großvater gedient hatte. Konstantin von Kornweg nahm Mantel und Hut, zog sich an, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und harrte exakt siebzehn Sekunden aus, bevor er zur Bürotür hinausging.

      Seine Sekretärin, eine früh gealterte Endfünfzigerin mit Nickelbrille, weißen Haaren und einem immensen Bauch voll Gutmütigkeit, besaß keine Armbanduhr. Aber ihr Computer lief nach der Atomuhr, also wusste sie genau, wann ihr Chef heraustreten würde und sie dieses Lächeln sehen würde, das im ersten Moment durchaus ansteckend war – wobei sie um Gottes willen niemandem wünschte, er möge sich anstecken. Das Schicksal ihres Chefs war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, ein Drama!

      Sie wünschte Konstantin von Kornweg viel Glück im Spiel und ein angenehmes Wochenende. Er erwiderte natürlich nichts, huschte nur vorbei und lupfte wie

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