Das Engel-Prinzip. Paul Eichendorff
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Wir fürchten, nicht mehr dazuzugehören und aus der Geborgenheit der Gruppe herauszufallen. Das, was alle erstreben, »muss ja wohl irgendwie erstrebenswert sein, sonst hätte doch wohl längst mal irgendjemand auf die Bremse getreten«. Oder?
Aber dieser »Irgendjemand« sind wir in Wirklichkeit selbst. Ebenso wie wir ja auch die »anderen« sind (nämlich aus der Sicht aller anderen!). Solange wir also nicht selbst auf die Bremse treten, geht die Fahrt einfach in halsbrecherischem Tempo weiter.
Geben wir es zu: Der Leistungsdruck, unter dem wir uns täglich bewegen und der uns so oft zu zermalmen droht, ist selbstgemacht.
Noch ein kleines Beispiel dazu aus meinem Leben: Als Junge hatte ich einen Freund, Mike, der ein ziemlicher Rabauke war. Er war in unserer Schule sehr angesehen, weil er sich freche Sachen traute, die sonst keiner machte. Er war beliebt, weil er ein »harter Kerl« war und weil alle Respekt vor seinen Respektlosigkeiten hatten. Eigentlich steckte dahinter nichts als Angst. Also war er beliebt, obwohl, oder gerade weil er eigentlich unbeliebt war! Eines Tages überredete er mich, im Schultreppenhaus einen mit Wasser gefüllten Luftballon auf unseren Physik-Lehrer fallen zu lassen. Ich machte mit, weil ich auf die Anerkennung von Mike und den anderen Jungs hoffte. Der Luftballon fiel und platzte mit Karacho auf der Anzugjacke des armen Lehrers. Ich wurde erwischt und bekam mächtigen Ärger. Der Schuldirektor kam sogar zu uns nach Hause und führte ein ernstes Gespräch mit meinen Eltern. Anschließend fragte meine Mutter mich mit sehr besorgter Miene:
»Meine Güte, wieso hast du das nur getan?«
Und ich antwortete kleinlaut:
»Naja, weil Mike es doch gesagt hat.«
Meine Mutter reagierte mit dem weltberühmten Spruch: »Und wenn Mike sagt ›Spring von der Brücke‹, springst du dann auch?«
Mir scheint, wir alle stehen mit Mike auf der Brücke und hoffen, dass er das mit dem Springen eben nicht sagt. Aber so ganz sicher können wir da nicht sein.
Nochmals: Tief in uns steckt diese Angst, nicht »dazuzugehören«, die Angst zu versagen, nicht mithalten zu können. Angst, nicht geliebt, nicht anerkannt, also nicht erfolgreich zu sein und deshalb unser persönliches Glück nicht finden zu können. Deshalb tun und erstreben wir Dinge, die eigentlich nur sehr wenig oder rein gar nichts mit uns selbst zu tun haben.
Tatsächlich funktioniert es aber genau andersherum: Nicht Erfolg macht glücklich, sondern: Glück macht erfolgreich. Nein, nicht unbedingt und nicht nur im geschäftlichen Sinne (obwohl auch das statistisch erwiesen ist). Auch nicht automatisch auf den Laufstegen der internationalen Modewelt, aber in unseren Herzen.
Wir können endlich »erfolgreich« darin sein, wir selbst zu werden.
Es macht nämlich glücklich, sich auf die »richtige Seite« zu stellen. Und die ist nicht unbedingt da, wo alle stehen. Die richtige Seite ist immer da, wo man selbst ist. Dazu gehört es, sich zu fragen: Bin ich einer, der von der Brücke springt, wenn Mike es sagt? Bin ich einer, der aus freien Stücken einen Wasserballon auf einen Lehrer werfen würde, wenn Mike es nicht sagt? Werden die Menschen mich tatsächlich mehr lieben, wenn ich fünfzehn Kilo weniger wiege? Wer bin ich eigentlich wirklich unter all diesem Druck des Gefallenmüssens? Wer sind wir alle? Eine Meute von Lemmingen, die als Grüppchen stets dem lautesten Blöken folgt? Oder sind wir Individuen, jeder Einzelne von uns mit einem wunderbaren und einzigartigen Wert versehen, der womöglich rein gar nichts mit dem Leistungsprinzip, nichts mit Schönsein, nichts mit tollen Aufträgen und schicken teuren Autos zu tun hat?
Ob sich diese Spirale des destruktiven Erfolgs-Denkens wohl umdrehen lässt? Einfach so? Können wir diese negative Weltsicht durch eine positive ersetzen?
Ja, wir können! Natürlich! Aber wie? Wie sollen wir das hinkriegen, wenn unsere Vorbilder – unsere Eltern, unsere Popstars, unsere Politiker, unsere Gurus – es uns seit Ewigkeiten anders vorleben?
Die Antwort kann nur sein: Suchen wir uns einfach andere Vorbilder! Wir brauchen dafür allerdings jemanden, von dem wir ganz sicher sein können, dass er nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Jemanden, der sich nicht über Leistung definiert. Jemanden, der selbstlos ist und der uns einfach nur Gutes will, ohne sich davon selbst Anerkennung oder Karrierechancen oder Ruhm zu versprechen.
Wir brauchen dafür einen Engel. Oder am besten: viele Engel.
* * *
Kapitel 2
Die feine »eng-lische« Art
»Moment mal«, hört man schon die Skeptiker rufen, »sind diese Engel denn überhaupt wirklich qualifiziert, unsere Vorbilder zu sein?«
Und die Antwort könnte wohl nicht deutlicher sein: »Ja, aber natürlich sind sie das!«
»Na, dann beweisen Sie uns das aber mal!«
Das wiederum geht natürlich – im wissenschaftlichen Sinne – nicht. Und ist trotzdem ganz leicht zu machen. Der »Beweis« ist in unseren Herzen. Er schlummert in unserer Sehnsucht und bedarf schon deshalb absolut keiner wissenschaftlichen Untermauerung.
Es ist nämlich nicht nur praktisch und sinnvoll, sondern auch bereichernd und schön, an Engel zu glauben. Das könnte doch eigentlich schon »Beweis« genug sein, oder? Wir müssen ja auch nicht wissenschaftlich beweisen, dass es schön ist, von jemandem umarmt zu werden, der uns liebt. Und der Begriff »Engel« ist weltweit Synonym für solche liebevollen Umarmungen und Handlungen, für all das Gute, das uns widerfährt, sei es überraschende Hilfe in ausweglosen Situationen oder wirksam gespendeter Trost in tiefer Trauer.
Und noch ein Beweis: Wenn wir über jemanden sagen, er sei »ein Engel«, dann ist das wohl das schönste Kompliment, das ein Mensch einem anderen machen kann.
Engel haben einen unglaublich guten Ruf. Es ist das Heilige, das Wundervolle und Gottesnahe, das ihnen stets anhaftet. Immer wenn es in Filmen, Literatur, Kunst und Musik darum geht, etwas wirklich Reines, Tugendhaftes, »absolut« Gutes darzustellen, werden folgerichtig Engel als Protagonisten oder wenigstens als Metaphern eingesetzt: Wenn das Menschliche versagt, müssen die Engel aushelfen.
Die Vorstellung von Engeln rührt uns, wahrscheinlich auch, weil sie uns einen Windhauch der Verheißung auf »Erlösung« in unser Leben weht. Engel stehen in unserem Leben für: »Alles kann doch irgendwie gut werden.«
Der Gedanke an sie bringt uns Hoffnung, Stärke und Trost. Die Gewissheit, dass sie »da irgendwo sind«, ermutigt und hilft uns über so manches unüberwindbar scheinende Hindernis hinweg.
Engel sind uns dabei auf geheimnisvolle Weise nah, obwohl sie doch gleichzeitig so fern scheinen. Sie wohnen irgendwo in unseren Herzen und zeigen sich immer dann, wenn wir bereit sind, unsere rationale Weltsicht für einen Moment an der Garderobe abzugeben. Natürlich, das sei hier gern noch zugegeben, gibt es auch Menschen, die solche Gedanken ganz abwegig finden und die behaupten, dass nur »trostsuchende Schwächlinge und überspannte Hippies an so etwas glauben«. (ein ehemaliger Kollege von mir hat das vor Jahren mal bei einem Betriebsausflug exakt so formuliert).
Aber das würde ja im Umkehrschluss