Beschädigte Schönheit. Lorenz Jäger

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Beschädigte Schönheit - Lorenz Jäger

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Der Lehrerin des Französischen blieb ich dennoch treu.

      Ähnlich muss es Orson Welles empfunden haben, als er Kafkas Roman 1962 verfilmte, mit Anthony Perkins als Josef K. und Romy Schneider als Leni. Denn hier ist nun aus dem »ein wenig« hinkenden Mädchen eine schwerbehinderte Frau mit einer auffälligen Beinschiene geworden, und die Szenen, in denen sie auftritt, haben sich gegenüber der literarischen Vorlage sehr erweitert. Und sie selbst ist es, die ihre Behinderung thematisiert, als K. ihr nachts folgt oder sie – wie sie glaubt – fast verfolgt.5 Die stärkere, fast obszöne Akzentuierung mag vom Film als Gattung gefordert sein, der künstlerisch zwingend von starken Bildern her denken muss. Gedenken wir auch der Rolle, die Ginette Leclerc als hinkende Verführerin, geradezu als Vamp, in Henri-Georges Clouzots meisterhaftem Kriminalfilm »Der Rabe« (»Le Corbeau«, 1943) spielte.6 Und des Films »Die Wendeltreppe« (»The Spiral Staircase«, Regie Robert Siodmak, 1945): die junge Myrna Dell in der ebenso verführerischen Rolle einer Hinkenden, die nur in Unterwäsche zu sehen ist – vom Zuschauer und von dem Mann, der sie gleich ermorden wird. Myrna Dell erinnerte sich später:

      »I was to play a cripple who gets murdered at the beginning of the picture! ›God‹, I said to Siodmak, ›couldn’t you at least take the limp away?‹ But no.«7 In Erich von Stroheims »Hochzeitsmarsch« (»The Wedding March«, 1928), spielt ZaSu Pitts die reiche hinkende Erbin Cecelia Schweisser, die Prinz Nicki (Nikolas von Wildeliebe-Rauffenburg, dessen Rolle Stroheim selber übernahm) aus finanziellen Motiven heiratet, während ihr Vater auf einen Adelstitel hofft.8 Stets gegenwärtig und auch in der Kirche während der Hochzeitszeremonie nicht endend, ist der harte Kontrast zwischen den zynischen Kommentaren der Gesellschaft und der liebenden, geradezu engelhaften Schönheit und Unschuld Cecelias. Der Filmtheoretiker Rudolf Arnheim hat bei Strohheim geradezu eine Tendenz gesehen: »His heroines are dolls of a more than American sweetness, bedecked with flowers and the bridal veil, but in their pale eyes are sleepless nights and the terrors of rape. Significantly, he frequently uses the theme of the limping woman on crutches.«9

      In diesen Bildern von Fräulein Montag und ihren Schwestern, vor allem in ihren Verwandlungen, steckt eine kleine Geschichte unserer Kultur.

      DIE Menschen Homers sind aus einem homogenen Stoff. Innen und Außen fallen nicht auseinander; wie sie erscheinen, so sind sie auch. Die Antike liebte es deshalb, in körperlichen Behinderungen oder Abweichungen das moralisch Fragwürdige angezeigt zu sehen. Der hinkende, schielende und bucklige Thersites ist ein Mann des Ressentiments, der in der »Ilias« an den anderen nichts Gutes lassen will: »Alles saß nun ruhig, umher auf den Sitzen sich haltend;/​Nur Thersites erhob sein zügelloses Geschrei noch:/​Dessen Herz mit vielen und törichten Worten erfüllt war,/​Immer verkehrt, nicht der Ordnung gemäß, mit den Fürsten zu hadern,/​Wo ihm nur etwas erschien, das lächerlich vor den Argeiern/​Wäre. Der hässlichste Mann vor Ilios war er gekommen:/​Schielend war er, und lahm am anderen Fuß; und die Schultern/​Höckerig, gegen die Brust ihm geengt; und oben erhob sich/​Spitz sein Haupt, auf der Scheitel mit dünnlicher Wolle besäet./​Widerlich war er vor allen des Peleus Sohn und Odysseus;/​Denn sie lästert’ er stets. Doch jetzt Agamemnon dem Herrscher/​Kreischt’ er hell entgegen mit Schmähungen. Rings die Achaier/​Zürnten ihm heftig empört, und ärgerten sich in der Seele.« So die Schilderung Homers in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß.

      Diese Gleich-Stoffigkeit des moralischen und des physischen Menschen findet sich auch im Alten Testament (sie ist also gemeinantik), wenn es in Leviticus 21 heißt: »Und der Herr redete zu Mose und sprach: Rede zu Aaron und sprich: Jemand von deinem Samen bei ihren Geschlechtern, an dem ein Gebrechen ist, soll nicht herzunahen, um das Brot seines Gottes darzubringen; denn jedermann, an dem ein Gebrechen ist, soll nicht herzunahen, es sei ein blinder Mann oder ein lahmer oder ein stumpfnasiger, oder der ein Glied zu lang hat, oder ein Mann, der einen Bruch am Fuße oder einen Bruch an der Hand hat, oder ein Höckeriger oder ein Zwerg, oder der einen Flecken an seinem Auge hat, oder der die Krätze oder Flechte, oder der zerdrückte Hoden hat. Jedermann vom Samen Aarons, des Priesters, der ein Gebrechen hat, soll nicht herzutreten, die Feueropfer Jehovas darzubringen; ein Gebrechen ist an ihm, er soll nicht herzutreten, das Brot seines Gottes darzubringen. Das Brot seines Gottes von dem Hochheiligen und von dem Heiligen mag er essen; allein zum Vorhang soll er nicht kommen, und zum Altar soll er nicht nahen, denn ein Gebrechen ist an ihm, dass er nicht meine Heiligtümer entweihe; denn ich bin der Herr, der sie heiligt.«

      Andernorts ist es der hinkende Schmiedegott Hephaistos-Vulkan, paradoxerweise Gatte von Aphrodite-Venus, der Schönsten, der zum Gelächter der Götter wird. Die römische Literatur vor allem macht aus diesem Lachen ein Formgesetz ihrer Satiren. Ein Beispiel aus Martial: »Zähne kaufst Du, und Busen und Haare, Du alte Susanne?/​Tausch’ doch Dein schielendes Aug’ gegen ein schönes Dir um!«1 Das »Schielen als Zeichen des Missgönnens, Beneidens ist auch aus den römischen Schriftstellern zu beweisen«, schrieb Heinrich Düntzer.2 Das war gleichsam das letzte Wort der Antike zur Sache. Die Satire war die einzige dichterische Gattung, die Rom nicht von den Griechen übernommen hatte; das Privileg der Götter, über Vulkan zu lachen, fällt nun verallgemeinernd an den römischen Bürger. Nur bei Ovid gab es die Andeutung einer anderen Auffassung. In der »Liebeskunst« lässt er auch Venus, parodierend, den hinkenden Gang des Gatten nachahmen. Die Szene spielt unmittelbar vor ihrem Ehebruch mit Mars: »Wie oft belachte sie nicht des Mannes hinkende Füße/​Und die von Arbeit und Gluth harte, schwielige Hand!/​Reitzend hinkte sie oft vor ihrem Mars dem Vulkan nach./​Mit vieler Anmuth war ihre Schönheit gepaart.«3 Aber auch hier wird die Szene komisch und satirisch angetönt, das Gelächter färbt auf die Anmut ab.

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