Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Der mondhelle Pfad - Petra Wagner

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Die Hüter des weißen Goldes

      Eine sanfte Brise strich durch die Schatten der Wälder, erklomm die sonnigen Bergkuppen, senkte sich hernieder in die kühlen Auen. Jedem Kiesel in den gewundenen Bächen, jedem Grashalm auf den saftigen Wiesen, jedem Blatt in den hohen Wipfeln raunte sie zu:

       „Dreht euch, wiegt euch und tanzt beschwingt, denn seht:

       Dieser Tag der Eiche ist einmalig.

      Selbst der Strahlende strebt heute seinem Zenit besonders gleißend entgegen.“

      Und so wurde es heiß, sehr heiß. Über der Antsanvia begann die Luft zu flimmern. Verlassen lag die breite Straße, wartete.

      Die Alten und Mütter des Hirschclans hatten sich längst vom Wegesrand ins schattige Unterholz zurückgezogen. Auch sie warteten.

      Sie warteten auf diejenigen, wegen deren Mut sie überhaupt noch warten konnten, wegen deren Tapferkeit sie noch ein Leben hatten, eine Heimat, Freiheit.

      Doch vorerst war es noch nicht soweit, die siegreich Heimkehrenden in die Arme zu schließen. Noch wurden gemurmelte Worte ausgetauscht, manchmal erklang auch helles Lachen, ansonsten döste jeder vor sich hin. Nur die Kinder tobten lärmend um die Bäume herum.

      Auch sie warteten – auf ihre Art.

      Drei mal schon hatten sie mitten im Lauf inne gehalten und dem Erschallen der Hörner gelauscht. Jedes mal hatte ihnen eine sanfte Brise den mahnenden Ruf zugetragen – der erste nur eine Ahnung, der zweite bereits laut und vernehmlich, der dritte war das gewohnte Dröhnen.

      Die Berge ringsum hatten den Schall bis tief hinein ins schattige Unterholz geworfen und der dumpfe Klang die Kinder in helle Aufruhr versetzt; ihr Spiel noch ausgelassener gemacht. Ihre Mütter und Großeltern jedoch waren träge liegen geblieben.

      Nun endlich erschallten die Hörner das vierte Mal und bewirkten ein allgemeines Aufsetzen und Glieder strecken, nur die Hunde gähnten gelangweilt.

      Es war immer noch Zeit.

      „Beim Geweih Cernunnos! Halt endlich still, Robin!“

      Im Takt ihrer Worte klatschte Lavinia ihre Hand auf Robins Rücken und schleuderte mit einem „Ich brauch Platz!“ seinen langen roten Zopf über die Schulter nach vorne. „So, freie Bahn und jetzt Ruhe! Wie soll ich denn einen ordentlichen Buchstaben auf deinen Rücken bekommen, wenn du so zappelst!“ Rabiat packte sie seine Schultern und zerrte ihn in eine gerade Sitzposition.

      „He! Lass das Schütteln sein! Ich bin doch kein Apfelbaum!“

      „Mit welchem Buchstaben fängt Apfelbaum an?!“, rief Lavinia sofort und schüttelte noch mehr, so dass jetzt auch ihre eigenen nussbraunen Locken ordentlich mitwippten.

      „Mir ist so heiß!“

      „Von dem Buchstaben hab ich noch nie was gehört und mir reißt jetzt gleich der Geduldsfaden! Also! Konzentriere dich endlich, Robin! Ich habe dich ge …“

      „Ich will jetzt endlich spielen!“

      „Dummes Zeug!“, schnarrte Lavinia und gab ihm einen derben Klaps auf den Rücken.

      Den Schwung nutzte sie schnell noch aus, um sich ein paar hängengebliebene Ringellocken aus dem Mund zu zerren, schon hatte sie ihn wieder gepackt. Robin war allerdings auch nicht untätig geblieben und hatte es geschafft, seinen Zopf zurückzuwerfen, doch der klatschte ihm so schnell gegen die Stirn retour, dass er nicht einmal bis eins zählen brauchte. Lavinia grummelte wesentlich länger und schüttelte noch wilder, da sie eine Abneigung gegen widerspenstige Sprösslinge jedweder Art hatte, die nur mit Gewalt in die richtige Richtung gezogen werden konnten. Bloß gut, dass gerade Sommer war. Bis da die Sonne unterging …

      „Ich will spielen! Ich will sp …“

      „Ruhe! Der Tag ist bereits zur Hälfte um! Die Hörner sind schon ganz laut! Jetzt ist keine Zeit mehr für …“

      „Dafür reicht die Zeit allemal noch! Und seit wann ist Verstecken spielen dummes Zeug?! Du redest Schwachsinn, Lavinia! Ich bin nämlich ein Kind! Genau wie du übrigens! Mit fünf Jahren dürfen wir dummes Zeug machen, soviel wir wollen! Immerzu!“

      „Wer sagt das?!“

      „Medan.“

      „Me-dan!?“, knurrte Lavinia und zog entrüstet die Augenbrauen hoch. Doch dann entschied sie sich für ein herablassendes Schulterzucken und verzog das Gesicht zu einem verheißungsvollen Lächeln.

      „Nun, ja. Medan, als mein jüngster großer Bruder, muss es wohl wissen! Wenn der erst seine Weihe hat, ist die Zeit der Dummheiten vorbei! Einen Mond später, höchstens zwei, und er will wieder ein Kind sein! Garantiert!“

      „Wer sagt das!?“

      „Schwatz nicht so altklug daher!“

      „Nun, ja. Du musst’s ja wissen, Tantchen!“, plusterte sich Robin auf und zupfte einen langen, imaginären Bart an seinem Kinn zurecht. „Das Studium der Altklugheit hast du bekanntlich schon vor drei Jahren mit Bravour gemeistert! Vielleicht wirst du später mal … Druidin der Altklugheit!“

      Lavinia klappte die Kinnlade herunter. Ihre Hand zuckte verdächtig in die Höhe und strich betont würdevoll eine äußerst widerspenstige, nussbraune Locke aus der leicht geröteten Stirn.

      „Wie recht du doch hast, liebster und – bis jetzt – einziger Neffe, Robin!“, säuselte sie honigsüß und leckte sich die Lippen. „Auch du kannst klug werden im Alter. Es ist nicht schwerer, als ein Feld mit einem Holzlöffel zu beackern.“

      Robin brauchte einen Augenblick, um die versteckte Botschaft zu entschlüsseln, doch da hatte sie seinen Gedankengang schon ausgenutzt und versuchte, ihn in die Spur zu lenken. Eigentlich tat sie das immer; im konkreten Fall drückte sie allerdings dermaßen derb in Richtung Gras – je schneller er von ihr wegkam desto besser. Die einzig mögliche Option war Kapitulation – wie jedes Mal – und es war ja nicht so, dass er sich geschlagen gab … oh, nein.

      Höchst betrübt drehte Robin seinen Kopf nach hinten, hielt sich an seinem Zopf fest und konterte Lavinias ironisches Grinsen mit einem bockig-verzweifelten Blick.

      Tief seufzend maulte er: „Ich lerne dieses schwierige Geschreibsel sowieso nie! Da kann ich es auch gleich sein lassen!“ Und damit hatte er ihre Schwachstelle getroffen.

      Wie erwartet tätschelte Lavinia sofort seine leidende Miene, nahm ihn unter ihre Lockenpracht und gurrte beschwichtigend: „Wir schaffen das gemeinsam, Robin! So wahr ich hier sitze, du lernst schreiben! Da gebe ich dir Brief und Siegel drauf.“

      Robins Augen leuchteten ehrlich begeistert auf und er wurde so rot wie seine Haare.

      „So einen Brief wie Afal in der Hand hatte, als er mit Königin Elsbeth bei uns war? Der mit dem Hirsch auf dem Siegel?“

      „Genau so einen meine ich.“ Alles an Lavinia wippte.

      „Aber der war

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