Die drei Geschichten: »Am Rande von Bethlehem«, »Der Rattenfänger« und »Die Chinesische Nachtigall« sind aus dem Spielprogramm des Marionetten-Theaters »Wieslocher Puppenstube«. Peter Schneider
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Am Rand von Bethlehem
1. Szene: Gehorsam und Freude
Die Bühne ist dunkel, nur schwach erkennt man einen Stern, der rechts außen hängt. Ein Hirte mit einer Laterne kommt langsam suchend herein. In der Mitte der Bühne findet er einen Holzstapel, an den er sich setzt. Er facht die Glut etwas an. Es folgen der erste Hirte, ein schon etwas älterer Mann und der dritte Hirte, ein Knabe noch, der nach kurzer Begrüßung seine Flöte ansetzt und eine leise, einfache Melodie spielt. Der erste Hirte kniet, auf den Stock gestützt, wiegt sich leicht im Rhythmus der Melodie. Der zweite Hirte rutscht nervös hin und her und klopft ungeduldig den Takt mit der Hand, manchmal ruckweise mit dem Kopf. Der flötenspielende dritte Hirte steht in der Mitte hinter dem Holzhaufen.
1. Hirte: „Es ist schön, was er spielt. – So friedlich alles.“
Der 2. Hirte erhebt sich, geht einen Schritt nach hinten und schaut nach den Schafen. Er kommt wieder und wendet sich an die Anderen.
2. Hirte: „Die Schafe schlafen schon. (dreht sich zu dem 1. Hirten) Ein bisschen könnte schon was passieren. (schaut sich um) Es ist wirklich alles sehr still.“
Der 1. Hirte steht auf, neigt den Kopf andächtig lauschend zur Flöte.
1. Hirte: „Ich mag es, wenn die Flöte mit der Stille spielt.“
Johann Sebastian Bachs Kantate „Jesus meine Freude“ erklingt langsam anschwellend von oben und steigert sich zu einem Fortissimo. Ein Stern leuchte an der rechten Seite des Bühne schwach auf und beginnt immer heller werdend zu strahlen. Alle drehen sich ruckartig nach dem Licht, alle halten Arme oder Hände vor die Augen. Plötzlich hört die Musik auf und eine hallende Stimme ertönt vom Himmel. Die drei Hirten waren bei der unerwarteten Musik zusammengefahren und senken tief die Köpfe. Beim Erklingen der himmlischen Stimme kniet der 1. Hirte nieder, bedeckt die Augen mit dem Ärmel. Der 2. Hirte setzt sich, beugt sich während der Botschaft immer tiefer, schaut zwischendurch aber ruckartig nach oben. Der kleine Hirte lässt sich mit Ertönen der Stimme fallen und vergräbt den Kopf zwischen den Armen.
Stimme von oben: „Fürchtet Euch nicht, ich verkünde Euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen. Ihr werdet finden, das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
Auf nach Bethlehem!“
Mit den letzten befehlenden Worten beginnt ein Lobgesang des Engels, der sich leiser werdend entfernt. Das grelle Licht verlöscht und es bleibt der Stern, der hell leuchtet. Der 1. Hirte steht als erster auf, dreht sich schnell zu seinen Gefährten und schüttelt sich.
1. Hirte: „Was war das? Ich kann nichts mehr sehen?“
2. Hirte (blickt auf): „Ich auch nicht. (steht auf) Bin fast blind und taub.“
1. Hirte: „– und diese Stimme.“ (schüttelt sich wieder, wie schaudernd)
3. Hirte (hebt nur den Kopf): „Ich habe Angst!“
1. Hirte (nickt mit dem Kopf): „Mir schlottern jetzt noch die Knie. (3. Hirte steht langsam auf) Hatte sich der Himmel geöffnet? Waren das vielleicht die himmlischen Heerscharen? (zeigt um sich) Schaut unsere Schafe, (alle drehen sich ruckartig nach hinten) wie sie sich ängstlich gegen den Boden drücken. - Man könnte meinen, ein Wolf schliche um die Herde …
Nachdenklich schüttelt er dabei den Kopf.
Hm, aber die Stimme hat doch gesagt, fürchtet Euch nicht.“
Er schüttelt wieder den Kopf.
2. Hirte: „Richtig, richtig, richtig! Fürchtet Euch nicht, hat sie gesagt, gut, ja gut, ja gut, auch mir ist angst, aber gehen wir lieber.
Er geht vor dem Feuer vorbei, dreht sich dann zum Publikum und hebt den Finger.
Den Mächtigen soll man nicht widersprechen, nur gehorchen. Egal ob der Befehl von oben, – von unten – oder hier von der Erde kommt.
Er geht zwei Schritte weiter, ist nun rechts vom Feuer, der 1. Hirte hat in die Mitte gewechselt.
Also kommt, auf geht’s – nach Bethlehem. Es liegt dort hinter dem Hügel, dort wo man den (er zeigt nach rechts) Stern hell leuchten sieht. Was warten wir noch, los ab mit Euch!
Solange der Stern leuchtet, sehen wir auch, wohin wir gehen, stolpern nicht über irgend etwas.“
Der 1. Hirte folgt ihm zögernd, dreht sich dann aber um.
1. Hirte: „He, Amos, komm, was wartest Du?“
Der dritte Hirte schüttelt den Kopf.
1. Hirte (geht auf ihn zu, nickt bedächtig mit dem Kopf, klopft ihm auf die Schulter): „Glaub uns, Amos, das war ein göttliches Zeichen, da hat ein Engel gesprochen, oder es war der Herr selbst. Man hat uns den Heiland angekündigt, man hat uns große Freude gemeldet, er soll in Bethlehem geboren worden sein.“
3. Hirte: „Ich habe es auch gehört, aber ich bleibe hier!“
2. Hirte (kommt zurück, steht etwa hinter dem Feuer): „Verstehst Du nicht, es ist uns befohlen worden, man hat es uns gesagt. Also gehen wir, sonst kommt statt Freude vielleicht dicker Ärger – von da oben.“
3. Hirte: „Ich habe auch eine Stimme gehört, aber ich fühle nichts in meinen Herzen.“
2. Hirte (wendet sich zu dem 1. Hirten, hebt die Hände und schüttelt den Kopf): „Sieh an, der kleine Amos, Hirt mit nur zehn Schafen. Er braucht eine besondere Einladung. Gibt es etwas Stärkeres als die göttliche Stimme?“
3. Hirte: „Meine Ohren haben eine laute Stimme vernommen, aber mein Herz hat nichts gehört. Ich möchte etwas im Herzen hören, ein Raunen, ein Murmeln.“
2. Hirte (ironisch): „Und was soll diese Stimme Dir ins Ohr murmeln?“
3. Hirte (geht einen Schritt vor, spricht bestimmt) : „Ich bin auch ein Herr, ich bin auch ein Retter, aber nur für meine Schafe. Schaut, wie sie sich fürchten.“
Alle drehen sich um und schauen zu den Schafen.
„Gott kann gut von Rettern reden und uns nach Bethlehem schicken. Aber wer hütet die Schafe, wer ist ihr Herr, wer ist ihr Retter? -(sehr bestimmt) Ich bleibe hier.“
2. Hirte: „Also hört Euch diesen Lauser an …“
Der 1.