Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels. Silvia Stolzenburg

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Die Salbenmacherin und der Fluch des Teufels - Silvia Stolzenburg

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versprach, vermutlich hatte der halb verbrannte Zettel überhaupt nichts mit der Entführung zu tun. Dennoch zog ihn der Hof an wie ein Magnet.

      »Ich glaube nicht, dass wir so weit weggehen sollten«, gab Cristin zu bedenken.

      Jona ignorierte sie und steuerte zielstrebig auf eine Ansammlung von verfallenen Gebäuden in der Nähe des Flussufers zu.

      »Jona?«, quengelte sie.

      »Geh Pappelrinde sammeln«, brummte er.

      »Aber wir sollen doch Schafgarbe mitbringen!«

      »Jetzt mach schon!« Er zeigte ungehalten auf die Bäume und wartete, bis Cristin sich widerstrebend trollte. Dann sah er sich um. Dicht beim Ufer stand ein windschiefer Holzschuppen, dessen Dach an einigen Stellen eingefallen war. Überall wucherten mannshohe Disteln und auf dem Schornstein des Hauptgebäudes hatten Störche ihr Nest gebaut. In den Wänden klafften Durchbrüche, wo die Nürnberger Holz und Steine herausgebrochen hatten, um sie anderweitig zu verwenden. Trotz des frischen Windes lag der Geruch von Schimmel, Fäulnis und Tierkot schwer in der Luft. Jona rümpfte die Nase. War er auf dem Holzweg? Er betrat das Gebäude und blinzelte, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht im Inneren gewöhnt hatten. Im Erdgeschoss befand sich nichts außer einer gewaltigen Feuerstelle und einigen alten Töpfen. In einer Ecke türmten sich kaputte Stühle und Bänke, die zum Teil zu Feuerholz zerkleinert worden waren. Das Obergeschoss war ebenfalls verwaist, die Treppe so morsch, dass er mehrmals fast eingebrochen wäre. Zurück im Erdgeschoss sah er sich nach einem Keller um und entdeckte eine Luke.

      »Was ist das denn?«, murmelte er, ging näher und kniete sich auf den Boden. Die Klappe der Luke war aufgestoßen und lag auf einem Haufen schwerer Steine. Bei näherem Hinsehen wurde deutlich, dass sich jemand mit einem Messer daran zu schaffen gemacht hatte. Ein Loch klaffte in der Mitte der Bretter, an einem rostigen Nagel hing ein Stück Stoff. Jona befreite es und runzelte die Stirn. Er überlegte gerade, ob er in den Keller klettern sollte, als ein gellender Schrei an sein Ohr drang.

      »Cristin!«, keuchte er. Mit einem Satz kam er zurück auf die Beine und rannte zur Tür.

      Kapitel 2

      Nürnberg, September 1412

      Olivera richtete sich mit einem Seufzen auf und legte die Hand an den schmerzenden Rücken. Sie stand schon mehrere Stunden in der Salbenküche, gebückt über Hackblock, Mörser und Tiegel verarbeitete sie die frischen Heilpflanzen, die Jona und Cristin in den letzten Tagen gesammelt hatten. Seit dem vergangenen Sommer überließ sie Jona viele der einfacheren Arbeiten in der Offizin und auch Cristin hatte sich inzwischen zu einer tauglichen Helferin gemausert. Dank der Unterstützung der beiden konnte Olivera viel Zeit im Heilig-Geist-Spital verbringen, wo sich immer mehr reiche Pfründner in den Kreis ihrer Kunden einreihten. Nach der Enttäuschung über das angebliche Allheilmittel, das der Adept Alphonsius den Alten und Kranken für teures Geld verkauft hatte, waren ihre Arzneien beliebter denn je. Kein Wunder, dachte sie. Immerhin halfen ihre Tränke und Salben, die Zipperlein der Insassen des Spitals zu lindern.

      Da der Gedanke an den Adepten unweigerlich schlimme Erinnerungen zurückbrachte, schüttelte sie ihn ab und warf eine Handvoll getrocknete Blüten der Akelei in einen Mörser. Sie zerstieß sie mit geübten Bewegungen und füllte sie in kleine Säckchen. Vermischt mit Apfelmus half diese Heilpflanze gegen das Fieber, das bald wieder in Nürnberg grassieren würde. Mit Beifuß und Brennnessel gegen Magen- und Darmbeschwerden, Tausendgüldenkraut zur Linderung von Ohrensausen und Eisenkraut für Kompressen verfuhr sie genauso. Außerdem legte sie Apfelbaumblätter zum Trocknen auf ein Gestell, mischte eine Lärchensalbe zur Behandlung von Ekzemen und bereitete ein Elixier aus grünen Wacholderbeeren. Immer wieder wischte sie sich dabei den Schweiß von der Stirn, da das Feuer unter der Kochstelle dafür sorgte, dass es in der Salbenküche drückend heiß war. Bald würde sie mehr Platz benötigen, denn die Regale an den Wänden des Raumes würden nicht mehr viele Tiegel, Töpfe und Flaschen fassen. Das Geschäft brummte, obwohl Götz aufgrund seines Sitzes im Stadtrat weniger Zeit hatte, im Verkaufsraum zu stehen.

      Als hätten diese Überlegungen ihn angelockt, betrat in diesem Moment ein Käufer den angrenzenden Raum, begleitet vom Bimmeln des Glockenspiels über der Tür.

      »Ich komme gleich!«, rief Olivera und griff nach einem Tuch, um sich die Hände zu säubern. Dann rückte sie die Haube auf ihrem Haar zurecht, verstaute eine Strähne hinter dem Ohr und ging nach nebenan.

      Ein vornehmer Herr in einer von Silberfäden durchwirkten Schecke blickte ihr entgegen. Er trug einen gezwirbelten Bart. »Seid Ihr die Salbenmacherin?«, fragte er ohne Begrüßung.

      Olivera nickte.

      »Ich brauche Eure Hilfe!«

      Olivera trat hinter den Tresen. »Was kann ich für Euch tun?«

      »Ihr müsst mit mir kommen! Meine Tochter ist krank!«

      Olivera runzelte die Stirn. »Habt Ihr Euch an den Medicus gewandt?«

      Der Mann nickte. »Er hat ihr lauter nutzloses Zeug gegeben, das nicht hilft!«

      »Mein Gemahl …«, hob Olivera an, aber der Patrizier schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab.

      »Ihr müsst mit mir kommen! Eure Arzneien haben meiner Mutter das Leid vor dem Tod erspart.«

      »Eurer Mutter?«

      »Sie war Pfründnerin im Spital«, erklärte er. »Ohne Euch hätte sie furchtbar unter ihrem Krebs gelitten. Ihr müsst auch meiner Tochter helfen!«

      »Ich kann Eurer Tochter nur in Absprache mit dem Medicus Arzneien geben«, hielt Olivera entgegen. »Alles andere könnte vom Rat als Kurpfuscherei angesehen werden.« Obwohl sich ihre Feinde in den vergangenen zweieinhalb Jahren ruhig verhalten hatten, wollte sie niemandem die Möglichkeit geben, erneut gegen sie oder Götz zu intrigieren.

      »Lasst das meine Sorge sein.« Der Mann zog eine Geldkatze aus der Tasche und legte sie vor ihr auf den Tresen. »Ich bezahle Euch fürstlich.«

      Olivera schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich kann nur helfen, wenn Ihr auch nach dem Medicus schicken lasst.«

      »Verdammt!«, schimpfte er, hob jedoch sofort beschwichtigend die Hände. »Es tut mir leid. Meine Tochter … Sie ist …« Er suchte nach Worten.

      »Wie alt ist sie?«, wollte Olivera wissen.

      »Neun.« Tränen traten in seine Augen.

      Wider besseres Wissen beschloss Olivera, seinem Wunsch nachzugeben. Der Medicus Matthäus war weder abweisend noch hochmütig wie sein Vorgänger und würde es vermutlich nicht missbilligen, wenn man auch sie zu Rate zog. Dennoch würde sie darauf bestehen, dass man nach ihm schickte. »Ich werde sie mir ansehen«, sagte sie.

      Der Ratsherr wirkte erleichtert.

      »Beschreibt mir ihren Zustand ganz genau«, forderte sie ihn auf.

      Er fuhr sich mit der Hand durch den Bart. »Sie hat furchtbare Krämpfe. Immer wieder krümmt sie sich schreiend zusammen, hat Schaum vor dem Mund und erbricht sich. Vor zwei Tagen hat sie wie wild um sich geschlagen und etwas vom Feuer der Hölle gestammelt. Es ist, als ob Gott sie für etwas bestrafen wollte.« Seine Augen wurden feucht. »Sie ist doch unschuldig!«

      Olivera überlegte einen Augenblick. »Wie lange leidet sie schon an den Krämpfen?«

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