Willy Garaventa. Rebekka Haefeli

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Willy Garaventa - Rebekka Haefeli

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fortschrittlichsten Seilbahnsystem der Welt».7 In jeder Zeile kommt die Bewunderung für die Konstrukteure zum Ausdruck: «Das Meisterstück moderner Ingenieurskunst umfasst Meilen von Drahtseilen, komplexe elektrische und mechanische Systeme und unzählige Tonnen Zement und Stahl.» Die Bahn wird aufgrund der neuartigen Dimensionen in den USA auch «The Monster» genannt. Der Rummel in der Presse und in der Bevölkerung ist gross, und entsprechend wird der Eröffnungsanlass als Spektakel inszeniert. Um die Grösse und die Bedeutung der Seilbahn zu unterstreichen, wird «Bertha the Elephant» engagiert. Der Zirkuselefant unterhält die Gäste, während diese launig an ihren Cocktails nippen.

      Irgendwo in diesem fröhlichen Trubel befindet sich an diesem Dezembertag im zu Ende gehenden Jahr 1968 auch Willy Garaventa. Er hat in Squaw Valley mit seinen Monteuren seit Wochen auf die Inbetriebsetzung der Seilbahn hingearbeitet. Die Eröffnung des Bauwerks erfüllt ihn mit Stolz und Genugtuung. Der Bau der Squaw-Valley-Bahn ist der bis dahin mit Abstand grösste Auftrag für Karl Garaventa’s Söhne, die Firma, die er zusammen mit seinem Bruder führt. Das Geschäft sichert bis auf Weiteres die Existenz des Unternehmens. Die wahre, noch viel grössere Bedeutung dieses Auftrags zeigt sich aber erst etwas später: Mit dem Bau der Luftseilbahn in den USA ist der kleinen Goldauer Firma der Durchbruch im Weltmarkt gelungen.

      Wer hoch aufsteigt, riskiert allerdings auch, tief zu fallen. Zehn Jahre nach der Inbetriebnahme der Bahn, 1978, ereignet sich in Squaw Valley ein Unfall, bei dem vier Menschen sterben und rund dreissig verletzt werden.8 Während eines Sturms entgleist eines der beiden Tragseile und schlitzt eine der Kabinen auf. Es folgt eine dramatische, elfstündige Rettungsaktion im Schnee. Erneut berichten Zeitungen in den ganzen USA über die Bahn; diesmal allerdings mit Negativschlagzeilen. Der Unfall hat weitreichende Folgen. Nach dem Unglück versuchen die Amerikaner, den Garaventas eine Schuld nachzuweisen. Allen Beteiligten in Goldau ist klar, dass ein Schuldspruch mit Millionenforderungen den Ruin der Firma bedeuten würde. Doch das Verfahren endet mit einem Freispruch. Die Erfolgsgeschichte geht weiter.

      Die Geschichte von Garaventa, heute zusammen mit Doppelmayr ein Weltunternehmen, begann klein und bescheiden, Hunderte Kilometer südlich von Goldau – in Italien.

      Ein Italiener sucht Arbeit in der Schweiz

      Die Abenteuerlust und das Fernweh, die Willy Garaventa umtreiben, kommen nicht von ungefähr. Bereits sein Grossvater, Nonno Giuseppe Garaventa, verliess als junger Mann die Heimat Italien, um im nördlichen Nachbarland zu arbeiten und Geld zu verdienen. Es ist die Geschichte eines Einwanderers, der es in der Schweiz durch Tüchtigkeit, schlaues Wirtschaften und Hartnäckigkeit zum erfolgreichen Unternehmer brachte. Ob Giuseppe als junger Mann davon geträumt hatte? Es ist nicht anzunehmen. Er nahm das Leben wohl einfach so, wie es kam. Und versuchte stets, das Beste daraus zu machen.

      Giuseppe Garaventa kommt 1836 in Savignone, einem malerischen kleinen Dorf nördlich von Genua, zur Welt. Die Häuser liegen eingebettet in grüne Hügel in sanften Tälern und sind umgeben von Weinreben. Doch die Situation in Italien ist unruhig, geprägt von politischen und wirtschaftlichen Spannungen, bis 1861 schliesslich das italienische Königreich ausgerufen wird. Die Familie, aus der Giuseppe Garaventa stammt, gehört der Unterschicht an. Ob neben Not und Armut politische Motive zur Auswanderung führen, bleibt Spekulation.

      Auch, wann genau Giuseppe Garaventa in Savignone sein Bündel packt und den Marsch in Richtung Norden antritt, weiss man nicht. Vermutlich verlässt er zwischen 1855 und 1860 die Heimat, in der Hoffnung, in der Ferne eine Arbeit zu finden. In der Familie erzählt man sich noch heute, ein Bruder von Giuseppe Garaventa sei mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter nach Amerika ausgewandert. Die Tochter – auch sie eine Garaventa – heiratete später einen Mann namens Sinatra; ihr gemeinsamer Sohn, Frank Sinatra, wurde weltweit bekannt als Sänger, Schauspieler und Entertainer. Opernsänger Ottavio Garaventa, der 2014 verstarb, ist ebenfalls mit der Familie verwandt.

      Die jungen Männer aus Italien besitzen kaum etwas ausser den Kleidern, die sie am Leib tragen. Den Rest ihrer Güter knoten sie in ein Tuch und machen sich mit einem Stock in der Hand auf den Weg über den San Bernardino. Die Eltern und Grosseltern in Savignone haben Giuseppe Garaventa einen gewissen Stolz anerzogen. Er hat gelernt, dass ein Garaventa kein Dieb oder Bettler ist. Aber er weiss, dass jede ehrliche Arbeit ihren Teller Suppe wert ist. Giuseppe Garaventa kann weder lesen noch schreiben, doch er ist ein gesunder, kräftiger Mann und verdient nun seinen Sold als Pflasterträger und Mineur beim Bau von Bahnen, Brücken und Strassen.

      Der Südländer befindet sich damals in zahlreicher Gesellschaft. Die Industrialisierung und der Eisenbahnbau in der Schweiz, der stark vorangetrieben wird, führen zu einer ersten Migrationswelle aus dem Süden. Der 1848 gegründete Bundesstaat und der einheitliche Wirtschaftsraum bilden den Boden für diese Entwicklung, die sich später noch akzentuieren wird. Im Jahr 1872 unterschreibt Louis Favre den Bauvertrag mit der Gotthardbahn-Gesellschaft. Innerhalb von nur acht Jahren soll der Gotthardtunnel gebaut werden. Vermutlich gehört auch Giuseppe Garaventa zeitweise zu den rund 3000 Beschäftigten, die im Tunnel im Einsatz sind. Das «Jahrhundert der Italiener» beginnt, in dessen Verlauf schätzungsweise fünf Millionen Italienerinnen und Italiener als Arbeitsuchende vorübergehend oder für immer in die Schweiz einwandern.9 Sie prägen fortan die Gesellschaft und den Alltag der Menschen in der Schweiz.

      Über die Arbeitsbedingungen im Gotthardtunnel zwischen Airolo und Göschenen weiss man, dass sie unmenschlich hart waren; Hitze, Lärm, Staub und Nässe machten den Arbeitern zu schaffen. Die Sicherheitsmassnahmen waren ebenso ungenügend wie die hygienischen Bedingungen. Es fehlten Toiletten, und die Exkremente blieben bei grösster Hitze zusammen mit dem Abfall im Tunnel liegen. Infektionskrankheiten verbreiteten sich, und die Forderung der Arbeiter nach besseren Arbeitsbedingungen führte schliesslich zum Streik, den die Urner Polizei niederschlug. Sie schossen auf die Streikenden, es gab mehrere Tote und Verletzte.

      Giuseppe Garaventa bleibt von Verletzungen und von Krankheiten verschont. Im Winter, wenn die Arbeit in der Schweiz eingestellt wird, schnürt der Saisonnier jeweils sein Bündel und macht sich auf den Weg nach Savignone, wo er sein mühsam verdientes Geld der Familie abliefert. Wie viele Personen die Familie in Italien zu dieser Zeit zählt, ist nicht bekannt, doch es müssen ledige Onkel, Tanten, Söhne und Töchter gewesen sein – eine ganze Sippschaft, die kein eigenes Heim hatte. Sie wohnten dort zusammen und mussten sich der Grossmutter fügen, denn die Nonna verwaltete auch die Finanzen.

      Die Jahre gehen dahin, immer wieder zieht Giuseppe Garaventa zum Geldverdienen in die Schweiz. Mittlerweile ist er über dreissig Jahre alt. Sehr darauf bedacht, möglichst viel Geld zu verdienen, wagt er manche gefährliche Arbeit. Er unternimmt kleinere Akkorde, arbeitet also als Subunternehmer, in eigener Regie. Aber nicht immer geht seine Rechnung auf. Und vor lauter Geldverdienen hat er keine Zeit für anderes – weder zum Schreibenlernen noch zum Heiraten.

      Giuseppe Garaventa macht sich selbstständig

      Während der Zeit, als der Gotthardtunnel gebaut wurde, lebten die italienischen Arbeiter in einfachsten Baracken und in erbärmlichen Verhältnissen. Es ist anzunehmen, dass Giuseppe Garaventa wie die meisten Eisenbahnarbeiter in der ganzen Zentralschweiz herumreist und auf verschiedenen Baustellen arbeitet.

      Nach dem Durchstich des Tunnels wird im Jahr 1882 die Gotthardbahn als Nord-Süd-Verbindung zwischen Immensee im Kanton Schwyz und Chiasso im Tessin in Betrieb genommen. Damals verkehren noch Dampfzüge. Der Bahnhof von Immensee – dem heutigen Wohnort von Willy Garaventa – ist als Kilometer null der Gotthardbahn bekannt. Die Gegend von Arth-Goldau ist schon damals ein Bahnknotenpunkt. Das Dorf floriert während des Baus der Eisenbahnlinien. Es gibt zahlreiche sogenannte Cantinas, kleine Restaurants, die von den Frauen der Bahnarbeiter und von Bauersfrauen geführt werden. Goldau wird heute noch als «Eisenbahnerdorf» bezeichnet.

      Der Alltag im Dorf ist Giuseppe Garaventa zu teuer, so orientiert er sich in Richtung Berg. Er verdingt sich unter anderem als Mineur, als Tunnelbauer, beim Bau der

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